§2. Die natürliche Lebendigkeit als schöne

 

Als die sinnlich objektive Idee nun ist die Lebendigkeit in der Natur schön, insofern das Wahre, die Idee, in ihrer nächsten Naturform als Leben unmittelbar in einzelner gemäßer Wirklichkeit da ist. Dieser nur sinnlichen Unmittelbarkeit wegen ist jedoch das lebendige Naturschöne weder schön für sich selber, noch aus sich selbst als schön und der schönen Erscheinung wegen produziert. Die Naturschönheit ist nur schön für anderes, d. h. für uns, für das die Schönheit auffassende Bewußtsein. Es fragt sich deshalb, in welcher Weise und wodurch uns denn die Lebendigkeit in ihrem unmittelbaren Dasein als schön erscheint.

a) Betrachten wir das Lebendige zunächst in seinem praktischen Sichhervorbringen und -erhalten, so ist das erste, was in die Augen fällt, die willkürliche Bewegung. Diese als Bewegung überhaupt angesehen ist nichts als die ganz abstrakte Freiheit der zeitlichen Ortsveränderung, in welcher sich das Tier als durchaus willkürlich und seine Bewegung als zufällig erweist. Die Musik, der Tanz dagegen haben zwar auch Bewegung in sich; diese jedoch ist nicht nur zufällig und willkürlich, sondern in sich selbst gesetzmäßig, bestimmt, konkret und maßvoll - wenn wir auch noch ganz von der Bedeutung, deren schöner Ausdruck sie ist, abstrahieren. Sehen wir die tierische Bewegung ferner als Realisierung eines inneren Zwecks an, so ist auch dieser als ein erregter Trieb selber durchaus zufällig und ein ganz beschränkter Zweck. Schreiten wir aber weiter vor und beurteilen die Bewegung als zweckmäßiges Tun und Zusammenwirken aller Teile, so geht solche Betrachtungsweise nur aus der Tätigkeit unseres Verstandes hervor. - Derselbe Fall tritt ein, wenn wir darauf reflektieren, wie das Tier seine Bedürfnisse befriedigt, sich ernährt, wie es die Speise ergreift, verzehrt, verdaut und überhaupt alles vollbringt, was zu seiner Selbsterhaltung notwendig ist. Denn auch hier haben wir entweder nur den äußeren Anblick einzelner Begierden und deren willkürliche und zufällige Befriedigungen - wobei noch dazu die innere Tätigkeit des Organismus nicht einmal zur Anschauung kommt -; oder alle diese Tätigkeiten und ihre Äußerungsweisen werden Gegenstand des Verstandes, der das Zweckmäßige darin, das Zusammenstimmen der tierischen inneren Zwecke und der dieselben realisierenden Organe, zu verstehen sich bemüht.

Weder das sinnliche Anschauen der einzelnen zufälligen Begierden, willkürlichen Bewegungen und Befriedigungen noch die Verstandesbetrachtung der Zweckmäßigkeit des Organismus machen für uns die tierische Lebendigkeit zum Naturschönen, sondern die  Schönheit betrifft das Scheinen der einzelnen Gestalt in ihrer Ruhe wie in ihrer Bewegung, abgesehen von deren Zweckmäßigkeit für die Befriedigung der Bedürfnisse wie von der ganz vereinzelten Zufälligkeit des Sichbewegens. Die Schönheit kann aber nur in die Gestalt fallen, weil diese allein die äußerliche Erscheinung ist, in welcher der objektive Idealismus der Lebendigkeit für uns als Anschauende und sinnlich Betrachtende wird. Das Denken faßt diesen Idealismus in seinem Begriffe auf und macht denselben seiner Allgemeinheit nach für sich, die Betrachtung der Schönheit aber seiner scheinenden Realität nach. Und diese Realität ist die äußere Gestalt des gegliederten Organismus, der für uns ebenso ein Daseiendes als ein Scheinendes ist, indem die bloß reale Mannigfaltigkeit der besonderen Glieder in der beseelten Totalität der Gestalt als Schein gesetzt sein muß.

b) Nach dem bereits erläuterten Begriff der Lebendigkeit ergeben sich nun als nähere Art dieses Scheinens folgende Punkte: Die Gestalt ist räumliche Ausbreitung, Umgrenzung, Figuration, unterschieden in Formen, Färbung, Bewegung usf., und eine Mannigfaltigkeit solcher Unterschiede. Soll sich nun aber der Organismus als beseelt kundtun, so muß sich zeigen, daß derselbe an dieser Mannigfaltigkeit nicht seine wahre Existenz habe. Dies geschieht in der Art, daß die verschiedenen Teile und Weisen der Erscheinung, die für uns als sinnliche sind, sich zugleich zu einem Ganzen zusammenschließen und dadurch als ein Individuum erscheinen, das ein Eins ist und diese Besonderheiten, wenn auch als unterschiedene, dennoch als übereinstimmende hat.

α) Diese Einheit aber muß sich erstens als absichtslose Identität dartun und deshalb sich nicht als abstrakte Zweckmäßigkeit geltend machen. Die Teile müssen weder nur als Mittel eines bestimmten Zweckes und als in seinem Dienste zur Anschauung kommen, noch dürfen sie ihre Unterscheidung in Bau und Gestalt gegeneinander aufgeben.

β) Im Gegenteil erhalten die Glieder zweitens für die Anschauung den Schein der Zufälligkeit, d. h. an dem einen ist nicht die Bestimmtheit auch des anderen gesetzt. Keines erhält diese oder jene Gestalt, weil sie das andere hat, wie dies z. B. bei der Regelmäßigkeit als solcher der Fall ist. In der Regelmäßigkeit bestimmt irgendeine abstrakte Bestimmtheit die Gestalt, Größe usf. aller Teile. Die Fenster z. B. an einem Gebäude sind alle gleich groß oder wenigstens die in ein und derselben Reihe stehenden; ebenso sind die Soldaten in einem Regimente regelmäßiger Truppen überein gekleidet. Hier erscheinen die besonderen Teile der Kleidung, ihre Form, Farbe usf. nicht als gegeneinander zufällig, sondern der eine hat seine bestimmte Form des anderen wegen. Weder der Unterschied der Formen noch ihre eigentümliche Selbständigkeit kommt hier zu ihrem Recht. Bei dem organisch-lebendigen Individuum ist dies ganz anders. Da ist jeder Teil unterschieden, die Nase von der Stirn, der Mund von den Wangen, die Brust vom Halse, die Arme von den Beinen usf. Indem nun für die Anschauung jedes Glied nicht die Gestalt des anderen, sondern seine eigentümliche Form hat, welche nicht durch ein anderes Glied absolut bestimmt ist, so erscheinen die Glieder als in sich selbständig und dadurch gegeneinander frei und zufällig. Denn das materielle Zusammenhängen betrifft ihre Form als solche nicht.

γ) Drittens nun aber muß für die Anschauung dennoch ein innerer Zusammenhang in dieser Selbständigkeit sichtbar werden, obschon die Einheit nicht wie bei der Regelmäßigkeit abstrakt und äußerlich sein darf, sondern die eigentümlichen Besonderheiten, statt dieselben auszulöschen, vielmehr hervorrufen und bewahren muß. Diese Identität ist nicht sinnlich und unmittelbar für die Anschauung wie die Unterschiedenheit der Glieder gegenwärtig und bleibt deshalb eine geheime, innere Notwendigkeit und Übereinstimmung. Als nur innere, nicht auch äußerlich sichtbare aber wäre sie nur durch das Denken zu erfassen und entzöge sich der Anschauung gänzlich. Dann würde sie jedoch dem Anblick des Schönen mangeln und das Anschauen in dem Lebendigen nicht die Idee als real erscheinende vor sich sehen. Die Einheit deshalb muß auch ins Äußere heraustreten, wenn sie als das ideell Beseelende nicht bloß sinnlich und räumlich sein darf. Sie erscheint am Individuum als die allgemeine Idealität seiner Glieder, welche die haltende und tragende Grundlage, das Subjektum des lebendigen Subjektes ausmacht. Diese subjektive Einheit kommt im organischen Lebendigen als die Empfindung hervor. In der Empfindung und deren Ausdruck zeigt sich die Seele als Seele. Denn für sie hat das bloße Nebeneinanderbestehen der Glieder keine Wahrheit, und die Vielheit der räumlichen Formen ist für ihre subjektive Idealität nicht vorhanden. Sie setzt zwar die Mannigfaltigkeit, eigentümliche Bildung und organische Gliederung der Teile voraus; doch indem an ihnen die empfindende Seele und deren Ausdruck hervortritt, erscheint die allgegenwärtige innere Einheit gerade als das Aufheben der bloßen realen Selbständigkeiten, welche nun nicht mehr sich selbst allein, sondern ihre empfindende Beseelung darstellen.

 


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