C. Mangelhaftigkeit des Naturschönen


Unser eigentlicher Gegenstand ist die Kunstschönheit als die der Idee des Schönen allein gemäße Realität. Bisher galt das Naturschöne als die erste Existenz des Schönen, und es fragt sich deshalb jetzt, worin denn das Naturschöne vom Kunstschönen sich unterscheide.

Man kann abstrakt sagen, das Ideal sei das in sich vollkommene Schöne und die Natur dagegen das unvollkommene. Mit solchen leeren Prädikaten jedoch ist nichts getan, denn es handelt sich gerade um eine bestimmte Angabe dessen, was diese Vollkommenheit des Kunstschönen und die Unvollkommenheit des nur Natürlichen ausmacht. Wir müssen deshalb unsere Frage so stellen: warum ist die Natur notwendig unvollkommen in ihrer Schönheit, und woran tritt diese Unvollkommenheit heraus? Erst dann wird sich uns die Notwendigkeit und das Wesen des Ideals näher ergeben.

Indem wir bisher bis zur tierischen Lebendigkeit emporgestiegen sind und gesehen haben, wie die Schönheit hier sich kann dartun, so ist das Nächste, was vorliegt, daß wir dies Moment der Subjektivität und Individualität am Lebendigen bestimmter ins Auge fassen.

Wir sprachen vom Schönen als Idee in gleichem Sinne, als man von dem Guten und Wahren als Idee spricht, in dem Sinne nämlich, daß die Idee das schlechthin Substantielle und Allgemeine, die absolute - nicht etwa sinnliche - Materie, der Bestand der Welt sei. Bestimmter gefaßt ist aber, wie wir bereits sahen, die Idee nicht nur Substanz und Allgemeinheit, sondern gerade die Einheit des Begriffs und seiner Realität, der innerhalb seiner Objektivität als Begriff hergestellte Begriff. Platon war es, welcher, wie schon in der Einleitung berührt ist, die Idee als das allein Wahre und Allgemeine hervorhob, und zwar als das in sich konkret Allgemeine. Die Platonische Idee jedoch ist selber noch nicht das wahrhaft Konkrete, denn in ihrem Begriffe und ihrer Allgemeinheit aufgefaßt, gilt sie schon für das Wahrhaftige. In dieser Allgemeinheit genommen, ist sie jedoch noch nicht verwirklicht und das in ihrer Wirklichkeit für sich selbst Wahre. Sie bleibt beim bloßen Ansich stehen. Wie aber der Begriff nicht ohne seine Objektivität wahrhaft Begriff ist, so ist auch die Idee nicht ohne ihre Wirklichkeit und außerhalb derselben wahrhaft Idee. Die Idee muß deshalb zur Wirklichkeit fortgehen und erhält dieselbe nur erst durch die an sich selbst begriffsgemäße wirkliche Subjektivität und deren ideelles Fürsichsein. So ist die Gattung z. B. nur erst als freies konkretes Individuum wirklich; das Leben existiert nur als einzelnes Lebendiges, das Gute wird von den einzelnen Menschen verwirklicht, und alle Wahrheit ist nur als wissendes Bewußtsein, als für sich seiender Geist.

Denn nur die konkrete Einzelheit ist wahrhaft und wirklich, die abstrakte Allgemeinheit und Besonderheit nicht. Dieses Fürsichsein, diese Subjektivität ist der Punkt, den wir deshalb wesentlich festzuhalten haben. Die Subjektivität nun aber liegt in der negativen Einheit, durch welche sich die Unterschiede in ihrem realen Bestehen zugleich als ideell gesetzt erweisen. Die Einheit der Idee und ihrer Wirklichkeit deshalb ist die negative Einheit der Idee als solcher und ihrer Realität, als Setzen und Aufheben des Unterschiedes beider Seiten. Nur in dieser Tätigkeit ist sie affirmativ fürsichseiende, sich auf sich beziehende unendliche Einheit und Subjektivität. Wir haben daher auch die Idee des Schönen in ihrem wirklichen Dasein wesentlich als konkrete Subjektivität und somit Einzelheit aufzufassen, indem sie nur als wirklich Idee ist und ihre Wirklichkeit in der konkreten Einzelheit hat.

Hier ist nun sogleich eine gedoppelte Form der Einzelheit zu unterscheiden, die unmittelbare natürliche und die geistige. In beiden Formen gibt die Idee sich Dasein, und so ist in beiden der substantielle Inhalt, die Idee und in unserem Gebiet die Idee als Schönheit, dasselbe. In dieser Beziehung steht zu behaupten, das Schöne der Natur habe mit dem Ideal den gleichen Inhalt. Auf der entgegengesetzten Seite aber bringe die angegebene Zwiefachheit der Form, in welcher die Idee Wirklichkeit erlangt, der Unterschied der   natürlichen und geistigen Einzelheit, in den Inhalt selbst, der in der einen oder anderen Form erscheint, einen wesentlichen Unterschied herein. Denn es fragt sich, welche Form die der Idee wahrhaft entsprechende ist, und nur in der ihr wahrhaft gemäßen Form expliziert die Idee die ganze wahrhafte Totalität ihres Inhalts.

Dies ist der nähere Punkt, den wir jetzt zu betrachten haben, insofern in diesen Formunterschied der Einzelheit auch der Unterschied des Naturschönen und des Ideals fällt.

Was zunächst die unmittelbare Einzelheit angeht, so gehört sie sowohl dem Natürlichen als solchem als auch dem Geiste an, da der Geist erstens seine äußere Existenz im Körper hat und zweitens auch in geistigen Beziehungen zunächst nur eine Existenz in der unmittelbaren Wirklichkeit gewinnt. Wir können deshalb die unmittelbare Einzelheit hier in dreifacher Rücksicht betrachten.



Inhalt:


1. Das Innere im Unmittelbaren als nur Inneres
2. Die Abhängigkeit des unmittelbaren einzelnen Daseins
3. Die Beschränktheit des unmittelbaren einzelnen Daseins


 © textlog.de 2004 • 24.04.2024 23:29:43 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
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