II. Lehrsatz. Die unsichtbaren Atome


Nunmehr, da ich gelehrt, daß nichts aus dem Nichts wird geboren,

Und daß ebenso auch das Gewordene nicht in das Nichts fällt,

Daß dich nicht Mißtraun etwa zu meinen Worten beschleiche,

Weil man die Urelemente mit Augen zu sehn nicht imstand ist:

Höre nun weiter von Körpern, die eingestandenermaßen

Zwar in der Welt sich befinden und doch sich nicht sichtbar bekunden.

 

Erstlich denk' an des Windes Gewalt! Wild peitscht er die Meerflut,

Senkt die gewaltigsten Schiffe hinab und zerspaltet die Wolken.

Oft durchsaust er die Felder in rasendem Wirbel und Sturme,

Fällt dort Riesen von Bäumen und geißelt die Gipfel der Berge

Wälder zerschmetternd im Wehn. So rast im grimmigen Schnauben

Durch das Gelände der Sturm und tobt mit bedrohendem Brüllen.

Was sind also die Winde? Doch wohl nichtsichtbare Körper,

Welche die Länder und Meere, nicht minder die Wolken des Himmels

Fegen und mit sich reißen in plötzlichem Wirbel verheerend.

     Ebenso flutet auch plötzlich die sanfte Natur der Gewässer

Heftig empor und verpflanzt weithin das Werk der Zerstörung.

Wenn sie durch reichliche Regen geschwollen ihr Bette verlassen

Und von den Bergen herab ein gewaltiger Tobel herabstürzt

Trümmer von Wäldern entführend und Riesen von Bäumen entwurzelnd.

Festeste Brücken vermögen des plötzlich kommenden Wassers

Übergewalt nicht zu hemmen. So stößt vom Regen geschwollen

Gegen die Dämme der Fluß mit übergewaltigen Kräften,

Alles zerstört er mit lautem Gebrüll und wälzt in den Wogen

Riesige Felsen: er stürzt, was gegen die Fluten sich anstaut.

     So muß also sich auch das Wehen des Windes erklären.

Wie ein gewaltiger Strom so zermalmet er alles und wälzt es

Vor sich mit häufigem Stoße einher, wo immer er einfällt,

Oder bisweilen ergreift er mit drohendem Strudel die Dinge

Und trägt rasenden Fluges sie fort im rollenden Wirbel.

Also noch einmal: die Winde sind auch nichtsichtbare Körper,

Da sie in Taten und Sitten als Nebenbuhler erscheinen

Zu den gewaltigen Strömen, die sichtbare Körper besitzen.

 

Ferner empfinden wir auch gar manche Gerüche von Dingen,

Die doch nie in die Nähe der riechenden Nase gelangen.

Auch die glühende Hitze ist unsichtbar und die Kälte

Können wir sichtbar nicht sehn, noch pflegen wir Worte zu schauen,

Gleichwohl muß dies alles ein körperlich Wesen besitzen,

Da es die menschlichen Sinne ja doch zu erregen imstand ist;

Denn nichts kann, als der Körper, Berührung wirken und leiden.

 

Hängst du ferner ein Kleid an dem flutenumbrandeten Strand auf,

Feucht wird es dort, doch es trocknet auch wieder in glühender Sonne;

Aber man hat nicht gesehn, wie des Wassers Nässe hineinkam

In das Gewand, noch andererseits, wie sie floh vor der Hitze.

Also muß sich das Naß in winzige Teilchen zerteilen,

Die auf keinerlei Weise das Auge zu sehen imstand ist.

 

Ja auch der Fingerreif wird innen durch stetiges Tragen

Immer dünner im Laufe der wiederkehrenden Jahre.

Gleich wie der fallende Tropfen den Stein höhlt, also vernutzt sich

Auch an dem Pfluge die eiserne Schar unmerklich im Boden.

Ferner das steinerne Pflaster wird bald durch die Füße der Leute

Abgetreten, am Tore die ehernen Bilder der Götter

Zeigen verscheuerte Hände. Denn immer berühret in Andacht,

Wenn es vorüberwandert, das Volk zur Begrüßung die Rechte.

Also wir sehen nun klar: Dies mindert sich, weil es sich abnützt;

Doch was in jedem Momente an Körperchen gehet verloren,

Hat die Natur uns neidisch verwehrt mit den Augen zu schauen.

     Schließlich, was Tag um Tag die Natur allmählich den Dingen

Zulegt, wie sie allmählich das Wachstum also befördert.

Das kann nimmer ein Auge erspähn mit gespanntestem Blicke.

Ebensowenig vermagst du zu sehn, was das dörrende Alter

Wegnimmt, oder am Meer, was die überhängenden Felsen,

Welche das Salz zernaget, in jedem Momente verlieren.

Unsichtbar sind also die Körper, durch die die Natur wirkt.


 © textlog.de 2004 • 03.12.2024 00:46:20 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2005 
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