Raimunds »Rappelkopf«


(14.2.1915)

 

Die Frucht eines Dichterlebens. Die Melone einer Umgebung. Die alles Wasser dieser Umgebung in sich gesogen, andern entzogen hat. Das Wesentliche der Lebensführung eines Zaubermachers und maniakalisch Verdächtigen. Das ist dieses Stück. Wenn solches Ereignis zustande kommt (und rein herausgepellt wird), vermag es immerhin nach Jahrzehnten noch auszustrahlen.

Raimund litt (sein ganzes Leben lang) an einer seltsamen Phobie. Er hatte Feindschaft mit den Hunden. Er betrachtete die Hunde als eine Art mystischer Wesen. Er wollte nicht von ihnen gebissen sein. Als er eines Tages eine Butterstulle verzehrte, woran canis domesticus geleckt hatte, bekam er einen Nervenchok. Auch biß ihn eines Tags eine Frau (in den Finger). Die Komplexe vermischten sich. Ein Freund wurde gebissen. Er (Raimund) verschrieb dem Freund sofort: 1 Flasche aqua destillata, ½i Liter Milch. (Vorbeuge gegen Wutausbruch.) Am 15. August. (1836) ereignete es sich, daß (Raimund) selber gebissen wurde. Es war sein Ende. Er war entsetzt. Er bekam Zustände. Er schoß sich mit einer Pistole in den Mund (woran er verstarb).

Das Stück, das seine ganze Rappelköpfigkeit enthält, ist der Rappelkopf. Die Handlung zu erzählen, gehört nicht zur Sache. Reinhardt spielt sie. Dort kann man sie sehen. Es ist ein klassisches Stück (man hätte das gar nicht gedacht). Etwas einfach Gegliedertes, à la Meisterstück. Alles klappt, auch in der Auflösung. Grillparzer (der Mann mit dem europäisch unaussprechlichen Namen) beneidete ihn drum. Mit einer moralischen Grundidee. Was dem Publikum gefällt. Ein Exempel, das aufgeht. Man hat seinen Spaß dran.

Im Ernst: Es sind Ansätze drin: Zu Strindberg (in der Figur dieses ganz rabiaten Rappelkopf, der überall Camorras wittert und keine Räsong annehmen will); zu Hauptmann (in einer scharf, aber christlich gesehenen Köhlerszene); zu Shakespirr (im Kontrast eines söhr gschwolln daherredenden »Alpenkönigs« und eines »Laß-mi-aus«-Staberls aus der Puppenkomödie).

Er macht Jokus, Freund Raimund. Das ist sympathisch an ihm. Geistige Formalitäten finden am Theater ja heute nicht mehr statt (sondern anderswo). Die Brahmse sind tot. Die Stanislawskis fern.

Reinhardt scheint resolut zum Volkstheater oder Komödienhaus überzugehen. Bassermann, va! Pallenberg, entfalte dich! Wie selig man den letzten Strindberg spielte! (»Wetterleuchten.«) Ein Wetterleuchten fürs Schaufenster. (Und das Stück ist so wundervoll!) Die Kleinstädter: gut. Raimund: gut. Stücke, wo man nicht zu denken braucht. Sondern nur zu erfinden. Der Clou des Abends: Pallenberg. Was soll man noch sagen, da Jacobsohn über ihn geschrieben hat? Er ist klassisch (in der Geste), fanatisch (im Umriß), pathologisch (in der Vehemenz). Ja, das ist er. Ein gefährlicher Herr für die Dichter. Ein Archifanatikus, ein Revoltär unter den Mimen. Er hat Zinnober im Hirn (und Kobalt im Herzen). Er prägt sich in die Schädeldecken derer, die ihn gesehen haben. Auch die Eibenschütz: Bon, bon. Wie sie die Arme schlenkert! Es gibt keine Schlüsselbeine mehr und sonstige Hemmungen. Sie ist vollendete Schwebe. (Aber Herr Jacobsohn sagt, daß sie sich in den Mittelpunkt gepfeffert hat. »Gepfeffert« sagt er.) Sie ist süß und geliebt, die Eibenschütz. Die Kammerkätzchen werden sie zu ihrer Patronin machen.

Apropos Rappelkopf: Das ist schon ein Kerl! Lassen Sie den man gehen! Gar kein Grund, sich über ihn lustig zu machen. Eine Perfidie (von dem Wiener Dichter), ihn mürbe zu kriegen. Als ob Mißtrauen, Argwohn, Skepsis, Stierigkeit, Rechtlichkeit, Nervosität — als ob all das Hekuba wäre! Molluskeriche ringsum. Die bejohlen das (natürlich). Jenne Rappelköppe ihrerseits indessen mögen Geltung haben.


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