Grabbe


(9.5.1915)

 

Man spielte »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«. Das ist sehr verdienstlich und auch lustig anzusehen. Regie: Altman. Auch das war hübsch. Rotlivrierte Lakaien blättern die Szenenbilder als Bilderbuchseiten auf und zu. Das Ganze frisch, heiter und keß. Das hätte dem Dietrich Grabbe Spaß gemacht. Da lachte die Welt. Das freute die Affen.

»Auf der einen Seite die Schöpfer, auf der anderen die Zappler«, sagt Kerr. Das stimmt hier nicht. Das stimmt überhaupt nie. Weil Strindberg z. B. »sowohl als auch« ist. Und hundert andere ebenso. Grabbe hätte gesagt: »Auf der einen Seite die Lacher, auf der andern die Muffligen.« Oder: »Auf der einen Seite die Gesäß-Gesetz-Besitz-Besessenen. Auf der anderen die Schwirrend-Schwebend-Schwanenhaften.«

Meine Damen und Herrn! Grabbe: Das heißt: sich maßlos besaufen. Weil man's nicht ändern kann. Weil nichts zu machen ist. Weil alles umsonst ist. Grabbe: Das heißt: »Vorschriften gibt es nicht. Regeln gibt es nicht. Gesetze gibt es nicht. Schule gib es nicht. Wenn es sie aber doch gibt, dann ist das so was gottsjämmerliches, daß man sich in eine Ecke legen muß und besaupfen, restlos besaupfen.« Er kollidierte mit einem Jahrzehnt von Macherleins. Alle »machten« Literatur. Jahraus, jahrein. Und jemand, der in seinem Stück eine Hauptrolle spielt, wickelte seine Heringe darein und las bei der Gelegenheit jene »Literatur«. Was soll man da machen? Man legt sich hin und saupft. Es ist alles umsonst.

Herr Dietrich Christian Grabbe gehört zu unserer Armee der lokomobilen Exzessionisten. Hätte er heute gelebt, so würde er sich beteiligen an Expressionistenabenden und würde trillernd auf dem Podium erscheinen, all wo er den Vogel abschösse. Herr Christian Grabbe hat das Lachen aus käsiger Verzweiflung. Das ist gut. Das ist sehr gut. Viel besser wie Ibsen, oder Hebbel (hoppla), als welcher keine Größe, sondern eine Bürgerschule ist.

Eine methodologische Bemerkung: Es ist (heute) nicht wichtig, »Kunstkritik« zu schreiben, kerriologisch, sondern Leute zu suchen. Mit der Laterne. Lacher. Beweger. Aufrufer. Lustigmacher. Je skurriler, desto besser. Für andere Zeiten mag was anderes gelten. Was sollen wir heute mit unserer Tante machen? Wir lassen sie Cancan tanzen. Wir wollen Fahnen, Bünde, Kerle (spitzwinklig), die sich den Kopf einrennen. Lasset uns einen (neuen) Journalismus gründen. Der Tag hat das Recht. Nicht die »Ewigkeit«. Die Ewigkeit — was geht sie uns an? Sie geht uns gar nichts an. Journalist ist Grabbe in diesem Scherzspiel. Journalist ist (damals) Heinrich Heine. Man beschäftige sich mit dem, was auf die Nägel brennt. Intensivest. Man mische sich ein.

Und ist zu sagen: Daß er (dieser Grabbe) kein Relativsatz gewesen ist. Noch ein Konditionalsatz. Sondern ein Imperativ. Und ein Superlativ. Sein eigener Herr. Daß er keine Zeit hatte, für die »Ewigkeit« zu schreiben. Sondern in Unterhosen den Segen erteilte. In Glanzpantoffeln den Fahneneid abnahm.

Antisemit scheint er gewesen zu sein. Und die »Kritiker« haßte er. Er scheint noch einiges andere auf dem Herzen gehabt zu haben, was er nicht sagen wollte (oder konnte). Eins ist sicher: Er ahnte voraus: Dreidimensionige Plackaterie. Irrationale Postulatoren. »Ceterum censeo«, sagt er, »die Marquis Posas müssen gelüftet werden.«


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 10:04:53 •
Seite zuletzt aktualisiert: 01.05.2008 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright   Theater, Kunst und Philosophie  Geschichte und Politik