Die Londoner Putzmacherinnen und Nähterinnen


Es ist eigentümlich, daß gerade die Verfertigung derjenigen Artikel, welche zum Schmuck der Damen von der Bourgeoisie dienen, mit den traurigsten Folgen für die Gesundheit der dabei beschäftigten Arbeiter verknüpft ist. Wir sahen dies schon oben bei der Spitzenfabrikation und haben jetzt wieder die Putzmacherläden von London zum Beweise für diese Angabe. Diese Etablissements beschäftigen eine Menge junger Mädchen - es sollen ihrer im ganzen 15 000 sein -, welche im Hause wohnen und essen, meist vom Lande herkommen und so die vollständigen Sklaven der Brotherrschaft sind. Während der fashionablen Saison, die etwa vier Monate im Jahre dauert, sind selbst in den besten Etablissements die Arbeitsstunden täglich fünfzehn und, wenn dringende Geschäfte vorkommen, achtzehn; in den meisten Läden indes wird während dieser Zeit ohne alle feste Zeitbestimmung gearbeitet, so daß die Mädchen nie mehr als sechs, oft nur drei oder vier, ja zuweilen nur zwei Stunden in vierundzwanzig zur Ruhe und zum Schlaf frei haben und neunzehn bis zweiundzwanzig Stunden gearbeitet wird, wenn sie nicht, was oft genug vorkommt, die ganze Nacht durcharbeiten müssen! Die einzige Grenze, die ihrer Arbeit gesetzt wird, ist die positive physische Unfähigkeit, die Nadel auch nur eine Minute länger zu führen. Es kommen Fälle vor, wo diese hülflosen Geschöpfe neun Tage lang hintereinander nicht aus den Kleidern kamen und nur gelegentlich dann und wann ein paar Augenblicke auf einer Matratze ausruhen konnten, wo man ihnen das Essen kleingeschnitten vorsetzte, damit sie es in der kürzestmöglichen Zeit verschlucken könnten; kurz, diese unglücklichen Mädchen werden durch die moralische Sklavenpeitsche - die Drohung der Entlassung - in einer so anhaltenden und unablässigen Arbeit erhalten, wie sie kein starker Mann, geschweige denn zarte Mädchen von 14 bis 20 Jahren ertragen können. Dazu die dumpfige Luft der Arbeitszimmer und ebenfalls der Schlafsäle, die gebückte Stellung, die schlechte, schwerverdauliche Kost - alles das, aber vor allem die lange Arbeit und Absperrung von der freien Luft, erzeugt die traurigsten Resultate für die Gesundheit der Mädchen. Mattigkeit und Erschlaffung, Schwäche, Verlust des Appetits, Schmerzen in den Schultern, dem Rücken und den Hüften, besonders aber Kopfschmerzen treten sehr bald ein; dann Verkrümmung des Rückgrats, hohe, verwachsene Schultern, Abmagerung, geschwollene, fließende und schmerzhafte Augen, die bald kurzsichtig werden, Husten, Engbrüstigkeit und kurzer Atem sowie alle weiblichen Entwicklungskrankheiten. Die Augen leiden in vielen Fällen so stark, daß unheilbare Blindheit, gänzliche Desorganisation des Auges eintritt, und wenn das Gesicht gut genug bleibt, um eine Fortsetzung der Arbeit möglich zu machen, so endigt gewöhnlich die Schwindsucht das kurze, traurige Leben dieser Putzmacherinnen. Selbst bei denjenigen, die diese Arbeit früh genug verlassen, bleibt die körperliche Gesundheit für immer zerstört, die Kraft der Konstitution gebrochen; sie sind fortwährend, besonders in der Ehe, siech und schwächlich und bringen kränkliche Kinder zur Welt. Alle Ärzte, die von dem Kommissär (der Ch. Empl. Comm.) befragt wurden, äußerten sich einstimmig dahin, daß keine Lebensweise erfunden werden könne, die mehr als diese dahin ziele, die Gesundheit zu vernichten und einen frühen Tod herbeizuführen.

Mit derselben Grausamkeit, nur etwas mehr indirekt, werden die Nähterinnen überhaupt in London ausgebeutet. Die Mädchen, welche sich mit der Anfertigung von Schnürleibchen beschäftigen, haben eine harte, mühsame, das Auge anstrengende Arbeit, und was ist der Lohn, den sie bekommen? Ich weiß es nicht, aber das weiß ich, daß der Unternehmer, der Bürgschaft für das ihm überlieferte Material geben muß und die Arbeit an die einzelnen Nähterinnen verteilt, 1 1/2 Penny, 15 Pfennig preußisch, für das Stück erhält. Davon geht sein Nutzen noch ab, und der ist mindestens 1/2 Penny - höchstens also 1 Penny geht in die Tasche des armen Mädchens. Die Mädchen, welche Halsbinden nähen, müssen sich zu sechzehnstündiger Arbeit verpflichten und erhalten wöchentlich 4 1/2 sh., 1 1/2 Taler preußisch, wofür sie etwa soviel kaufen können wie für 20 Silbergroschen in der teuersten Stadt Deutschlands.1) Am schlimmsten aber ergeht es denen, die Hemden nähen. Sie bekommen für ein gewöhnliches Hemd 1 2/2 Pence - früher bekamen sie 2 bis 3 Pence, aber seitdem das Armenhaus von St. Pancras, das von einer bourgeoisie-radikalen Behörde verwaltet wird, anfing zu 1 1/2 Pence Arbeit zu übernehmen, mußten die armen Frauenzimmer es auch tun. Für feine, verzierte Hemden, die bei achtzehnstündiger Arbeit in einem Tage fertiggemacht werden können, wird 6 Pence, 5 Silbergroschen, bezahlt. Der Lohn dieser Nähterinnen beträgt hiernach und nach vielseitigen Aussagen von Arbeiterinnen und Übernehmern, bei sehr angestrengter, tief in die Nacht hinein fortgesetzter Arbeit wöchentlich 2 1/2 bis 3 Shilling! Und was dieser schändlichen Barbarei die Krone aufsetzt, ist, daß die Nähterinnen den Betrag der ihnen anvertrauten Materialien teilweise deponieren müssen, was sie natürlich nicht anders können, als wenn sie - wie dies auch die Eigentümer wissen - einen Teil derselben verpfänden und entweder mit Verlust einlösen, oder, wenn sie die Stoffe nicht auslösen können, vor das Friedensgericht wandern müssen, wie dies einer Nähterin im November 1843 geschah. Ein armes Mädchen, das in diesem Falle war und nicht wußte, was es anfangen sollte, ertränkte sich im August 1844 in einem Kanal. Diese Nähterinnen leben gewöhnlich in kleinen Dachstübchen im größten Elende, wo sich ihrer so viele in einem Zimmer zusammendrängen, als der Raum nur eben erlaubt, und wo im Winter meist die animalische Wärme der Anwesenden das einzige Heizungsmittel ist. Dort sitzen sie über ihre Arbeit gebückt und nähen von morgens vier oder fünf bis Mitternacht, verwüsten ihre Gesundheit in ein paar Jahren und bringen sich in ein frühes Grab, ohne sich auch nur die allerdringendsten Bedürfnisse verschaffen zu können,2) während unten zu ihren Füßen die glänzenden Karossen der hohen Bourgeoisie vorbeirollen und während vielleicht zehn Schritt weiter ein erbärmlicher Dandy an einem Abend mehr Geld im Pharo verliert, als sie sich im ganzen Jahre erwerben können.

 

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Das ist die Lage des englischen industriellen Proletariats. Überall, wohin wir uns wenden, finden wir dauerndes oder temporäres Elend, Krankheiten, die aus der Lage oder der Arbeit entstehen, Demoralisation; überall Vernichtung, langsame, aber sichere Untergrabung der menschlichen Natur in körperlicher wie geistiger Beziehung. Ist das ein Zustand, der dauern kann?

Dieser Zustand kann und wird nicht dauern. Die Arbeiter, die große Majorität des Volks, wollen es nicht. Sehen wir zu, was sie von diesem Zustande sagen.

 

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1) Vgl. "Weekly Dispatch", 17. März 1844.

2) Thomas Hood, der talentvollste aller jetzigen englischen Humoristen und, wie alle Humoristen, voll menschlichen Gefühle, aber ohne alle geistige Energie, veröffentlichte im Anfange des Jahres 1844, als das Elend der Nähterinnen alle Zeitungen füllte, ein schönes Gedicht: "The Song of the Shirt", das Lied vom Hemde, das manche mitleidige, aber nutzlose Träne den Augen der Bourgeoisietöchter entlockte. Ich habe nicht Raum genug, um es hier wiedergeben zu können; es stand ursprünglich im "Punch" und machte dann die Runde durch die Zeitungen. Da die Lage der Nähterinnen damals in allen Zeitungen besprochen wurde, sind spezielle Zitate überflüssig.


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