III. [Größe und Kleinheit, Lockerheit und Konzentriertheit des Wirtschaftskreises in ihrer Bedeutung für den Substanzcharakter des Geldes]

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Die Hauptsache aber ist, daß die Bedeutung des Metalls für das Geldwesen immer mehr hinter die Sicherung seines funktionellen Wertes durch die Organisation des Gemeinwesens zurücktritt. Denn das Metall ist eben ursprünglich immer Privatbesitz und darum können die öffentlichen Interessen und Kräfte nie absolut Herr darüber werden. Man kann sagen, daß das Geld immer mehr eine öffentliche Einrichtung in immer strengerem Sinne des Wortes wird: es besteht mehr und mehr aus dem, was die öffentliche Macht, die öffentlichen Institutionen, die von der Gesamtheit getragenen Verkehrsarten und Garantien daraus machen und wozu sie es legitimieren. Es ist deshalb bezeichnend, daß in früheren Epochen das Geld gleichsam noch nicht allein, auf seiner abstrakten Funktion, stehen kann; das Geldgeschäft lehnt sich entweder an spezifische Betriebe oder an die technische Herstellung der Münze oder an den Handel mit Edelmetallen an. So waren es in Wien anfangs des 13. Jahrhunderts die flämischen Tuchfärber, die regelmäßige Wechselgeschäfte besorgten, wie in England und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel, der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der »Münzer Hausgenossen«. Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechselgeschäft und der Edelmetallhandel von der Münze getrennt. Die Funktion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert, wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und zwar gerade in dem Maße, in dem ihre Funktion als Geld überindividuell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes, sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten größten Sozialkreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Akzentuierung seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert. Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittelbare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt eine Analogie zu einer wenig beachteten Nuance des Wertempfindens vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daß es uns ein anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffizienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns vermittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung des ändern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geisteswissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann man seinen Wert ausschließlich von dem seines Objekts abhängen lassen. So ist der Wert eines Lotterieloses ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daß es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daß es seinen Zweck erreicht und der Wichtigkeit dieses Zweckes, so der Wert eines Rentenpapiers zusammengesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung. Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte, deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daß mit der steigenden Sicherung seiner Verwertbarkeit sein anderer Wertkoeffizient, der innere Metallwert, unbestimmt weit sinken kann, ohne seinen Gesamtwert zu alterieren. Andrerseits ergibt sich unmittelbar als Ursache wie als Wirkung der soziologischen Stellung des Geldes, daß es die Beziehungen zwischen der Zentralgewalt der Gruppe und ihren einzelnen Elementen zahlreicher, stärker und enger machen muß, weil eben jetzt die Beziehungen dieser Elemente untereinander gleichsam durch jenes hindurchgeleitet werden. So haben schon die Karolinger ein deutliches Bestreben, den Natural- oder Viehtausch durch Geldwirtschaft zu verdrängen. Sie verordnen oft, die Münzen dürften nicht zurückgewiesen werden und bestrafen ihre Nichtannahme hart. Das Münzrecht war ausschließlich Königsrecht, und so bedeutete das Durchsetzen des Verkehrs in Münze die Erstreckung der königlichen Macht dahin, wo früher rein privater, persönlicher Verkehrsmodus bestand. Es ist ganz in dem gleichen Sinne, wenn die römischen Gold- und Silbermünzen seit Augustus ausschließlich im Namen und Auftrag des Kaisers geprägt wurden, wogegen das Recht, Scheidemünze auszugeben, einerseits dem Senat, andrerseits den Kommunalverbänden verblieb; und es verallgemeinert diesen Zusammenhang nur, daß große Fürsten so oft auch gewaltige Münzsysteme geschaffen haben: Darius I., Alexander d. Gr., Augustus, Diokletian, bis zu Napoleon I. Die ganze Technik, durch die in naturalwirtschaftlichen Zeiten eine große soziale Machtbestehen kann, weist sie darauf hin, sich selbst zu genügen, sich wie es z.B. von den Großgrundherrschaften seit den Merovingern gilt - zum Staat im Staate zu machen; wogegen entsprechende Machtgebilde in der Geldwirtschaft gerade im Anschluß an die Staatsorganisation erwachsen sind und sich erhalten haben. Der moderne zentralistische Staat wurde deshalb auch an dem ungeheuren Aufschwung der Geldwirtschaft groß, den die beginnende Neuzeit aus der Erschließung der amerikanischen Metallvorräte gewann. Die Selbstgenügsamkeit feudaler Verhältnisse wurde zerstört, indem sich in jede Transaktion die auf die Zentralgewalt hinweisende, die Beziehungen der Kontrahenten über sich hinausweisende Münze schob: so daß man diese Macht des Geldes, die einzelnen mehr an die Krone zu drängen, enger an sie zu binden, als den tieferen Sinn des Merkantilsystems angesprochen hat. Andrerseits gilt die Tatsache, daß die deutschen Kaiser sich dieses Zentralisierungsmittel von den Territorialherren entreißen ließen, als einer der wesentlichen Gründe für die Zersplitterung des Reiches - während die französischen und englischen Könige des 13. und 14. Jahrhunderts die Einheit ihrer Reiche mit Hilfe der geldwirtschaftlichen Bewegung gründeten. Als das russische Reich im ganzen schon als ein unteilbares galt, stattete Iwan III. doch seine jüngeren Söhne noch mit Landesteilen aus, in denen sie souverän schalten konnten, und für die er der Zentralgewalt außer der höheren Gerichtsbarkeit nur das Münzrecht vorbehielt. Ja, die lockere Sphäre, die, aus den Handelsbeziehungen eines Landes bestehend, es jenseits seiner politischen Grenzen umgibt, gewinnt außerordentlich an Ausdehnung und, Konsistenz, sobald das Landesgeld durch seine Solidität allenthalben gültig wird und so alle Punkte dieses Kreises mit dem Ursprungsland verbindet und immer wieder auf dasselbe zurückweist. So verlieh der Kurs des englischen Sovereigns in Portugal und Brasilien dem englischen Handel ein großes Prestige und hielt die in diese Länder ausstrahlenden Handelsbeziehungen einheitlich zusammen. In Deutschland war der Gang der, daß bald nach der Karolingerzeit der König einzelnen Personen und Stiften das Prägerecht verlieh, wobei er indes noch selbst Schrot, Korn und Form der Münzen bestimmte. Aber schon vor dem 12. Jahrhundert dürfen die so Beliehenen Münzfuß und Stempel beliebig festsetzen und also so viel Profit, wie sie wollen, dabei herausschlagen. So geht die Lösung des Münzwesens von der Zentralgewalt und die Verschlechterung der Münze Hand in Hand: d.h. das Geld ist um so weniger wirklich Geld, je weniger der größte soziologische Kreis bzw. dessen Zentralorgan es garantiert. Die Rückläufigkeit dieses Zusammenhanges bestätigt ihn nur: die Verelendung des Geldes wirkte ihrerseits auf die Auflösung und den Auseinanderfall des größten Kreises, auf dessen Einheit es angewiesen gewesen wäre. Ja sogar eine rein formale und symbolische Beziehung mag in diesen Erscheinungen irgendwie mitgewirkt haben. Zu den wesentlichen Charakterzügen von Gold und Silber gehört ihre relative Unzerstörbarkeit, in deren Konsequenz ihr Gesamtquantum lange Perioden hindurch fast stetig bleibt, weil jedes durch Schürfung hinzukommende Quantum im Verhältnis zu dem bereits vorhandenen nur minimal ist. Während die Mehrzahl aller anderen Objekte verbraucht wird, in ewigem Flusse verschwindet und sich wieder ersetzt, bleibt das Geld in seiner fast unbegrenzten Dauerhaftigkeit von diesem Wechsel der individuellen Dinge unberührt. Damit aber erhebt es sich über diese, wie die objektive Gruppeneinheit über die Fluktuation der Persönlichkeiten. Denn das eben Ist ja die charakteristische Lebensform jener konkret gewordenen Abstraktionen der Gruppenfunktionen, daß sie jenseits der einzelnen Verwirklichungen dieser stehen, ruhende Gebilde in der Flucht der individuellen vorüberfließenden Erscheinungen, die gleichsam in sie aufgenommen, von ihnen geformt und wieder entlassen werden: das ist die Unsterblichkeit des Königs, die jenseits seiner zufälligen Persönlichkeit, seiner einzelnen Maßregeln, der wechselnden Schicksale seiner Gruppe steht und für die die relative Ewigkeit der Münze, die sein Bild trägt, sowohl als Symbol wie als Beweis wirkt. Die Geschäfte mit Fürsten waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst das reine Geldgeschäft großen Stiles schufen; der Verkehr mit dem Fürsten, den es bewirkte, ließ den bis dahin damit verbundenen Warenhandel als etwas Plebejisches erscheinen, über das sich der Geldkaufmann in einer Analogie zu königlicher Würde erhob. So mag auch der Haß der Sozialisten gegen das Geldwesen nicht nur der diesem zugeschriebenen privatwirtschaftlichen Übermacht des Kapitalisten über den Arbeiter gelten, sondern auch ihren antimonarchischen Instinkten entspringen; denn so wenig die Objektivierung der Gruppengesamtheit, deren das Geld bedarf, in monarchischer Form geschehen muß, so hat doch in der neueren Geschichte gerade diese Form aufs kräftigste der Einschiebung der Zentralgewalt in die wirtschaftlichen Funktionen der Gruppe gedient. Auch die festen Residenzen der Fürsten, die die Zentralisation so sehr fördern, sind erst bei Geldsteuern möglich; den nicht transportabeln Naturalsteuern entspricht das Herumziehen des Hofes, der sie überall in natura verzehrt. Es ist durchaus in diesem Sinn, wenn moderne Steuerpolitik vielfach dahin strebt, den Kommunen die Realsteuern zu überlassen, den Staat aber auf Einkommensteuer zu stellen. Indem die Steuerforderung der Zentralgewalt sich auf das reine Geldeinkommen der einzelnen richtet, erfaßt sie gerade dasjenige Besitzobjekt, zu dem sie von vornherein das strikteste Verhältnis hat. Die Ausbildung des Beamtenwesens mit seiner engen Beziehung zum Geldwesen ist insofern nur ein Symptom dieser zentralistischen Entwicklung; das Beamtentum des Lehenswesens ist ein dezentralisiertes, der räumlich ferne Landbesitz des Belehnten führt sein Interesse von der Zentralstelle ab, während die immer von neuem erfolgende Geldentlohnung ihn zu dieser hinführt, seine Abhängigkeit von dieser immer von neuem eindringlich macht. Deshalb war die Pforte bei ihrer ständigen Münzverschlechterung doch anfangs des 19. Jahrhunderts einmal genötigt, für ihre Beamten und Offiziere doppelt schwere Münzen schlagen zu lassen, weil es gerade den eigentlichen Staatsfunktionären gegenüber eines wirklich gültigen Geldes bedurfte. Darum war die ungeheure Vermehrung und Verfeinerung des Beamtentums erst bei der Geldwirtschaft möglich; sie ist aber nichts als eines der Symptome der Beziehung, die zwischen dem Geld und der Objektivierung des Gruppenzusammenhanges zu einem besonderen zentralen Gebilde besteht. Bei den Griechen wurde diese ursprünglich nicht von einer staatlichen, sondern von der religiösen Einheil getragen. Alles hellenische Geld war einmal sakral, ebenso von der Priesterschaft ausgegangen, wie die ändern allgemein gültigen Maßbegriffe: Gewichte, Umfangsmaße, Zeiteinteilungen. Und diese Priesterschaft repräsentierte zugleich die Verbandseinheit der Landschaften; die ältesten Verbände ruhten durchaus auf religiöser Grundlage, die manchmal für relativ weite Gebiete die einzige blieb. Die Heiligtümer hatten eine überpartikularistische, zentralisierende Bedeutung, und diese war es, die das Geld, das Symbol der gemeinsamen Gottheit auf sich tragend, zum Ausdruck brachte. Die religiöse soziale Einheit, die im Tempel kristallisiert war, wurde in dem Gelde, das er ausgab, gleichsam wieder flüssig und gab diesem ein Fundament und eine Funktion, weit über die Metallbedeutung des individuellen Stückes hinaus. Von diesen soziologischen Konstellationen getragen und sie tragend, realisiert sich die steigende Bedeutung der Geldfunktionen auf Kosten der Geldsubstanz. Einige Beispiele und Überlegungen mögen diesen Prozeß verdeutlichen, und zwar knüpfe ich dieselben, unter den vielen, seinen Inhalt bildenden Diensten des Geldes, an die folgenden: an die Erleichterung des Verkehrs, an die Beständigkeit des Wertmaßstabes, an die Mobilisierung der Werte und die Beschleunigung ihrer Zirkulation, an ihre Kondensierung in möglichst kompendiöse Form.
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