Home  Impressum  Copyright

III. [Sinkende Substanzbedeutung und steigende Wertbedeutung des Geldes]

 

Wenn nun in den oben geschilderten Entwicklungen das Geld einem Punkte zustrebt, wo es, zum reinen Symbol geworden, ganz in seinen Tausch- und Meßzweck aufginge, so zeigen mannigfache Parallelen die allgemeine geistesgeschichtliche Tendenz, die es in jene Richtung führt. Das Interesse, das wir primärer und unbefangener Weise an den Erscheinungen nehmen, pflegt dieselben als ungeschiedene Ganze zu umfassen: wie sie uns als Einheit von Form und Inhalt entgegentreten, so knüpft sich unser Wertgefühl auch an ihre Form, weil sie die Form dieses Inhalts, an ihren Inhalt, weil er der Inhalt dieser Form ist. Auf höheren Stufen sondern sich diese Elemente, und es wenden sich besondere Schätzungsweisen an die Funktion als bloße Form. Die Mannigfaltigkeit des Inhalts, die von dieser getragen wird, erscheint ihr gegenüber oft irrelevant. So schätzen wir z.B. die religiöse Stimmung, unter Gleichgültigkeit gegen ihren dogmatischen Inhalt. Daß diese bestimmte Erhebung, Spannung und Versöhnung der Seele überhaupt vorhanden sei, die, als ein Allgemeines, die unendliche Verschiedenheit der historischen Glaubensinhalte trägt, - empfinden wir als wertvoll. So flößt uns die Kraftbewährung als solche oft einen Respekt ein, den wir ihren Ergebnissen versagen müssen. So wendet sich das verfeinerte ästhetische Interesse immer mehr dem zu, was am Kunstwerk bloß Kunst ist, der Kunstform im weitesten Sinne, unter wachsender Gleichgültigkeit gegen seine Materie, d.h. gegen seinen Vorwurf und gegen die ursprünglichen Gefühle, in deren Sublimierung und Objektivierung erst die eigentlich ästhetische Funktion, in Produktion wie Konsumtion, verläuft. So empfinden wir die Erkenntnis als wertvoll, rein als die formale Funktion des Geistes, die Welt in sich zu spiegeln, und insoweit gleichgültig dagegen, ob die Gegenstände und Resultate des Erkennens erfreuliche oder unerfreuliche, verwertbare oder rein ideelle sind. Diese Differenzierung der Wertgefühle hat nun eine weitere bemerkenswerte Seite. Die ganze Entwicklung des modernen naturalistischen Geistes geht auf die Entthronung der Allgemeinbegriffe und die Betonung des Einzelnen als des allein legitimen Vorstellungsinhaltes. In der Theorie wie in der Praxis des Lebens wird das Allgemeine als bloß Abstraktes behandelt, das seine Bedeutung nur an seinem Stoffe, d.h. an greifbaren Einzelheiten finden kann; indem man sich über diese erhebt, glaubt man ins Leere zu fallen. Dennoch aber ist das Gefühl für die Bedeutsamkeit des Allgemeinen, das einst in Plato seinen Höhepunkt erreichte, nicht verschwunden, und eine völlig befriedigende Stellung zur Welt würden wir erst gewinnen, wenn jeder Punkt unseres Bildes von ihr die stoffliche Realität des Singulären mit der Tiefe und Weite des Formal- Allgemeinen versöhnte. So ist der Historismus und die soziale Weltanschauung ein Versuch, das Allgemeine zu bejahen und doch seine Abstraktheit zu verneinen; ein Erheben über das Einzelne, ein Ableiten des Einzelnen aus einem Allgemeinen, das doch volle und gediegene Wirklichkeit besitzt; denn die Gesellschaft ist das Allgemeine, das nicht abstrakt ist. In dieser Richtung liegt nun auch jene Wertung der Funktion in ihrer Sonderung vom Inhalte. Die Funktion ist das Allgemeine gegenüber dem speziellen Zweck, dem sie dient: das religiöse Gefühl ist das Allgemeine gegenüber seinem Glaubens Inhalte, das Erkennen das Allgemeine gegenüber seinen einzelnen Objekten, jede Kraft überhaupt das Allgemeine gegenüber den speziellen Aufgaben, zu deren Mannigfaltigkeit sie sich als die immer gleiche verhält - gleichsam eine Form und Fassung, die die verschiedenartigsten Stoffe aufnimmt. An dieser Entwicklungstendenz scheint das Geld teilzunehmen, wenn das daran geknüpfte Wertgefühl sich von seinem Stoffe unabhängig macht und auf seine Funktion übergeht, die ein Allgemeines und doch kein Abstraktes ist. Die Schätzung, welche anfangs den in bestimmter Weise funktionierenden Stoff als Einheit betraf, differenziert sich, und während das Edelmetall als solches immer weiter geschätzt wird, gewinnt nun auch seine Funktion, die jedem ihrer stofflichen Träger gegenüber ein Überindividuelles ist, eine besondere und selbständige Wertung. Daß das Geld Tausche vermittelt und Werte mißt, ist gleichsam die Form, in der es für uns existiert; indem das Metall diese Form annimmt, wird es Geld - wie Vorstellungen über das Überirdische zur Religion werden, indem die religiöse Gefühlsfunktion sie aufnimmt, und wie der Marmorblock zum Kunstwerk wird, wenn die künstlerische Produktivität ihm die Form verleiht, die nichts anderes als eben diese Funktion in räumlichem Festgewordensein ist. Die Verfeinerung des Wertempfindens löst dies ursprüngliche Ineinander und läßt die Form oder Funktion sich zu einem selbständigen Werte für uns entwickeln. Gewiß muß auch dieser Wert des Geldes einen Träger haben; aber das Entscheidende ist, daß er nicht mehr aus seinem Träger quillt, sondern umgekehrt der Träger das ganz Sekundäre ist, auf dessen an sich seiende Beschaffenheit es nur noch aus technischen, jenseits des Wertempfindens liegenden Gründen ankommt.

 


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 15:55:12 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004