Home  Impressum  Copyright

II. [Der sozial fixierte Preis als Vorstufe des sachlich regulierten]

 

Es gibt, wie man von vornherein vermuten muß, eine Reihe vermittelnder Erscheinungen zwischen der reinen Subjektivität des Besitzwechsels, die der Raub und das Geschenk darstellen, zu seiner Objektivität in der Form des Tausches, in dem die Dinge gemäß dem gleichen, in ihnen enthaltenen Wertquantum getauscht werden. Dahin gehört die traditionelle Gegenseitigkeit des Schenkens. Bei vielen Völkern besteht die Vorstellung, daß man ein Geschenk nur dann annehmen dürfe, wenn man es durch ein Gegengeschenk erwidern, sozusagen nachträglich erwerben könne. Dies geht direkt in den regulären Tausch über, wenn dieser, wie oft im Orient, so vor sich geht, daß der Verkäufer das Objekt dem Käufer »schenkt« - aber wehe diesem, wenn er nicht das entsprechende »Gegengeschenk« macht. Dahin gehört die sogenannte Bittarbeit, die sich in der ganzen Welt findet: das Zusammentreten von Nachbarn oder Freunden zur Beihilfe bei dringenden Arbeiten, ohne daß dafür ein Lohn gezahlt würde. Aber es ist wenigstens durchgehends üblich, die Bittarbeiter reichlich zu bewirten und ihnen möglichst ein kleines Fest zu geben, so daß z.B. von den Serben berichtet wird, nur Wohlhabende könnten es sich leisten, eine solche freiwillige Arbeitsgenossenschaft zusammenzurufen. Freilich existiert noch heute im Orient und vielfach sogar in Italien der Begriff des angemessenen Preises nicht, der für Käufer wie Verkäufer eine Schranke und Fixierung der subjektiven Vorteile bilde. Jeder verkauft so teuer und kauft so billig, wie er es vom Gegenpart durchsetzen kann, der Tausch ist ausschließlich subjektive Aktion zwischen zwei Personen, deren Ausgang nur von der Schlauheit, der Begierde, der Beharrlichkeit der Parteien, aber nicht von der Sache und ihrem überindividuell begründeten Verhältnis zum Preise abhängt. Darin eben bestünde ein Geschäft - so setzte mir ein römischer Antiquitätenhändler auseinander - daß der Kaufmann zu viel forderte und der Käufer zu wenig böte und man sich so allmählich bis zu einem akzeptabeln Punkt einander näherte. Hier sieht man also deutlich, wie sich das objektiv Angemessene aus dem Gegeneinander der Subjekte herausstellt - das Ganze ein Hineinragen der vortauschlichen Verhältnisse in eine schon durchgängige, aber noch nicht zu ihrer Konsequenz gelangte Tauschwirtschaft. Der Tausch ist schon da, es ist schon ein objektives Geschehen zwischen den Werten - aber seine Ausführung ist durchaus subjektiv, sein Modus und seine Quanten hängen ausschließlich an der Relation der personalen Qualitäten. - Hier liegt wohl auch das letzte Motiv für die sakralen Formen, die gesetzliche Fixiertheit, die Sicherung durch Öffentlichkeit und Tradition, mit der das Kaufgeschäft wohl in allen frühen Kulturen ausgestattet ist. Damit erreichte man die aus dem Wesen des Tausches geforderte Über-Subjektivität, die man noch nicht durch das sachliche Verhältnis der Objekte selbst herzustellen wußte. Solange der Tausch und die Idee, daß es zwischen den Dingen so etwas wie Wertgleichheit gebe, noch etwas Neues war, wäre es zu einer Verständigung überhaupt nicht gekommen, wenn je zwei Individuen untereinander sie hätten treffen müssen. Deshalb finden wir überall und bis tief in das Mittelalter hinein nicht nur Öffentlichkeit der Tauschgeschäfte, sondern vor allem genaue Festsetzungen über die Austauschquanten der gebräuchlichen Waren, denen kein Kontrahentenpaar sich durch private Abmachungen entziehen durfte. Freilich ist diese Objektivität eine mechanische und äußerliche, die sich auf Motive und Mächte außerhalb des einzelnen Tauschaktes stützt. Die sachlich angemessene enthebt sich solcher apriorischen Festlegung und bezieht in die Berechnung die Gesamtheit der besonderen Umstände ein, die durch jene Form vergewaltigt wurden. Aber Absicht und Prinzip sind die gleichen: die übersubjektive Wertfixierung im Tausche, die eben später nur einen sachlicheren, immanenteren Weg fand. Der von Individuen frei und selbständig vollzogene Tausch setzt eine Taxierung nach in der Sache gelegenen Maßstäben voraus, und darum muß in dem vorhergehenden Stadium der Tausch inhaltlich fixiert und diese Fixierung sozial garantiert sein, weil sonst dem Individuum jeder Anhaltspunkt für die Schätzung der Gegenstände gefehlt hätte; wie das gleiche Motiv wohl auch der primitiven Arbeit allenthalben eine sozial geregelte Richtung und Vollzugsweise verliehen hat, auch hier die Wesensgleichheit zwischen Tausch und Arbeit, richtiger: die Zugehörigkeit der letzteren zu dem ersteren als höherem Begriff, erweisend. Die mannigfaltigen Beziehungen zwischen dem objektiv Gültigen - in praktischer wie in theoretischer Hinsicht - und seiner sozialen Bedeutung und Anerkennung stellen sich auch sonst vielfach in dieser Weise historisch dar: daß die soziale Wechselwirkung, Verbreitung, Normierung dem Individuum diejenige Dignität und Festigkeit eines Lebensinhaltes gewährt, die es später aus dessen sachlichem Recht; und Beweisbarkeit gewinnt. So glaubt das Kind jeden beliebigen Sachverhalt nicht aus inneren Gründen, sondern weil es den mitteilenden Personen vertraut; nicht etwas, sondern jemandem wird geglaubt. So sind wir in unserem Geschmack von der Mode, d.h. von der sozialen Verbreitung eines Tuns und Schätzens abhängig, bis wir, spät genug, die Sache selbst ästhetisch zu beurteilen wissen. So stellt; sich die Notwendigkeit für das Individuum, sich über sich selbst zu erweitern und zugleich in dieser Erweiterung einen überpersönlichen: Halt und Festigkeit zu gewinnen: im Recht, in der. Erkenntnis, in der Sittlichkeit - als die Macht der Tradition dar; an Stelle dieser zuerst unentbehrlichen Normierung, die zwar über das Einzelsubjekt, aber noch nicht über Subjekte überhaupt hinausgeht, wächst allmählich die aus der Kenntnis der Dinge und dem Ergreifen der idealen Normen hervorgehende auf. Das Außer-Uns, dessen wir zu unserer Orientierung bedürfen, nimmt die leichter zugängliche Form der sozialen Allgemeinheit an, ehe es uns als objektive Bestimmtheit der Realitäten und der Ideen entgegentritt. In diesem die Kulturentwicklung durchgängig charakterisierenden Sinne also ist der Tausch ursprünglich Sache der sozialen Festsetzung, bis die Individuen die Objekte und ihre eigenen Wertungen hinreichend kennen, um die Tauschraten selbst von Fall zu Fall zu fixieren. Hier liegt das Bedenken nahe, daß diese gesellschaftlich-gesetzlichen Preistaxen, nach denen der Verkehr in allen Halbkulturen vor sich zu gehen pflegt, doch nur das Resultat vieler vorangegangener Tauschaktionen sein könnten, die zuerst in singulärer und noch unfixierter Form unter Individuen stattgefunden hätten. Allein dieser Einwand trägt nicht weiter als gegenüber der Sprache, Sitte, Recht, Religion, kurz allen grundlegenden Lebensformen, die in der Gruppe als ganzer entstehen und herrschen, und die man sich lange nur durch die Erfindung Einzelner zu erklären wußte; während sie sicher von vornherein als interindividuelle Gebilde entstanden sind, als Wechselwirkung zwischen den Einzelnen und den Vielen, so daß keinem Individuum für sich ihr Ursprung zuzuschieben ist. Ich halte es durchaus für möglich, daß der Vorgänger des sozial fixierten Tausches nicht der individuelle Tausch gewesen ist, sondern eine Art des Besitzwechsels, die überhaupt nicht Tausch war, etwa der Raub. Dann wäre der interindividuelle Tausch nichts anderes als ein Friedensvertrag gewesen, und Tausch und fixierter Tausch wären als eine einheitliche Tatsache entsprungen. Eine Analogie hierzu würden die Fälle bieten, wo der primitive Frauenraub dem exogamischen Friedensvertrag mit Nachbarn - der den Kauf und Austausch der Weiber gründet und regelt - vorangegangen ist. Die hiermit eingeführte, prinzipiell neue Eheform wird also sogleich in ihrer, das Individuum präjudizierenden Fixiertheit gesetzt. Freie Sonderverträge der gleichen, Art zwischen Einzelnen brauchen dabei keineswegs vorausgegangen zu sein, sondern zugleich mit dem Typus ist auch eine soziale Regelung gegeben. Es ist ein Vorurteil, daß jede sozial geregelte Beziehung sich aus der inhaltlich gleichen, aber in nur individueller, sozial ungeregelter Form stattfindenden, historisch entwickelt haben müsse. Was ihr vorangegangen ist, kann vielmehr derselbe Inhalt in einer der Art nach ganz anderen Beziehungsform gewesen sein. Der Tausch geht über die subjektiven Aneignungsformen fremden Besitzes, den Raub und das Geschenk, hinaus - ganz dem entsprechend, daß die Geschenke an den Häuptling und die von ihm erhobenen Strafgelder die Vorstufen der Steuer sind - und findet auf diesem Wege als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale Regelung vor, welche ihrerseits erst die Objektivität im sachlichen Sinne vorbereitet; zuerst mit dieser gesellschaftlichen Normierung wächst in jene freien Besitzwechsel zwischen Individuen die Objektivität ein, die das Wesen des Tausches ist.

 


 © textlog.de 2004 • 18.04.2024 03:35:51 •
Seite zuletzt aktualisiert: 27.09.2004