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XXXIII. Epoptische Farben

 

429. Haben wir bisher uns mit solchen Farben abgegeben, welche zwar sehr lebhaft erscheinen, aber auch bei aufgehobener Bedingung sogleich wieder verschwinden, so machen wir nun die Erfahrung von solchen, welche zwar auch als vorübergehend beobachtet werden, aber unter gewissen Umständen sich dergestalt fixieren, daß sie auch nach aufgehobenen Bedingungen, welche ihre Erscheinung hervorbrachten, bestehen bleiben und also den Übergang von den physischen zu den chemischen Farben ausmachen.

430. Sie entspringen durch verschiedene Veranlassungen auf der Oberfläche eines farblosen Körpers, ursprünglich, ohne Mitteilung, Färbe, Taufe (baphê) und wir werden sie nun, von ihrer leisesten Erscheinung bis zu ihrer hartnäckigsten Dauer, durch die verschiedenen Bedingungen ihres Entstehens hindurch verfolgen, welche wir zu leichterer Übersicht hier sogleich summarisch anführen.

431. Erste Bedingung. Berührung zweier glatten Flächen harter durchsichtiger Körper.

Erster Fall, wenn Glasmassen, Glastafeln, Linsen aneinander gedrückt werden.

Zweiter Fall, wenn in einer soliden Glas-, Kristalloder Eismasse ein Sprung entsteht.

Dritter Fall, indem sich Lamellen durchsichtiger Steine voneinander trennen.

Zweite Bedingung. Wenn eine Glasfläche oder ein geschliffner Stein angehaucht wird.

Dritte Bedingung. Verbindung von beiden obigen, daß man nämlich die Glastafel anhaucht, eine andre drauf legt, die Farben durch den Druck erregt, dann das Glas abschiebt, da sich denn die Farben nachziehen und mit dem Hauche verfliegen.

Vierte Bedingung. Blasen verschiedener Flüssigkeiten, Seife, Schokolade, Bier, Wein, feine Glasblasen.

Fünfte Bedingung. Sehr feine Häutchen und Lamellen mineralischer und metallischer Auflösungen; das Kalkhäutchen, die Oberfläche stehender Wasser, besonders eisenschüssiger; ingleichen Häutchen von Öl auf dem Wasser, besonders von Firnis auf Scheidewasser.

Sechste Bedingung. Wenn Metalle erhitzt werden. Anlaufen des Stahls und andrer Metalle.

Siebente Bedingung. Wenn die Oberfläche des Glases angegriffen wird.

432. Erste Bedingung, erster Fall. Wenn zwei konvexe Gläser oder ein Konvex- und Planglas, am besten ein Konvex- und Hohlglas sich einander berühren, so entstehn konzentrische farbige Kreise. Bei dem gelindesten Druck zeigt sich sogleich das Phänomen, welches nach und nach durch verschiedene Stufen geführt werden kann. Wir beschreiben sogleich die vollendete Erscheinung, weil wir die verschiedenen Grade, durch welche sie durchgeht, rückwärts alsdann desto besser werden einsehen lernen.

433. Die Mitte ist farblos; daselbst, wo die Gläser durch den stärksten Druck gleichsam zu einem vereinigt sind, zeigt sich ein dunkelgrauer Punkt, um denselben ein silberweißer Raum, alsdann folgen in abnehmenden Entfernungen verschiedene isolierte Ringe, welche sämtlich aus drei Farben, die unmittelbar miteinander verbunden sind, bestehen. Jeder dieser Ringe, deren etwa drei bis vier gezählt werden können, ist inwendig gelb, in der Mitte purpurfarben und auswendig blau. Zwischen zwei Ringen findet sich ein silberweißer Zwischenraum. Die letzten Ringe gegen die Peripherie des Phänomens stehen immer enger zusammen. Sie wechseln mit Purpur und Grün, ohne einen dazwischen bemerklichen silberweißen Raum.

434. Wir wollen nunmehr die sukzessive Entstehung des Phänomens vom gelindesten Druck an beobachten.

435. Beim gelindesten Druck erscheint die Mitte selbst grün gefärbt. Darauf folgen bis an die Peripherie sämtlicher konzentrischer Kreise purpurne und grüne Ringe. Sie sind verhältnismäßig breit und man sieht keine Spur eines silberweißen Raums zwischen ihnen. Die grüne Mitte entsteht durch das Blau eines unentwickelten Zirkels, das sich mit dem Gelb des ersten Kreises vermischt. Alle übrigen Kreise sind bei dieser gelinden Berührung breit, ihre gelben und blauen Ränder vermischen sich und bringen das schöne Grün hervor. Der Purpur aber eines jeden Ringes bleibt rein und unberührt, daher zeigen sich sämtliche Kreise von diesen beiden Farben.

436. Ein etwas stärkerer Druck entfernt den ersten Kreis von dem unentwickelten um etwas weniges und isoliert ihn, so daß er sich nun ganz vollkommen zeigt. Die Mitte erscheint nun als ein blauer Punkt: denn das Gelbe des ersten Kreises ist nun durch einen silberweißen Raum von ihr getrennt. Aus dem Blauen entwickelt sich in der Mitte ein Purpur, welcher jederzeit nach außen seinen zugehörigen blauen Rand behält. Der zweite, dritte Ring, von innen gerechnet, ist nun schon völlig isoliert. Kommen abweichende Fälle vor, so wird man sie aus dem Gesagten und noch zu Sagenden zu beurteilen wissen.

437. Bei einem stärkern Druck wird die Mitte gelb, sie ist mit einem purpurfarbenen und blauen Rand umgeben. Endlich zieht sich auch dieses Gelb völlig aus der Mitte. Der innerste Kreis ist gebildet und die gelbe Farbe umgibt dessen Rand. Nun erscheint die ganze Mitte silberweiß, bis zuletzt bei dem stärksten Druck sich der dunkle Punkt zeigt und das Phänomen, wie es zu Anfang beschrieben wurde, vollendet ist.

438. Das Maß der konzentrischen Ringe und ihrer Entfernungen bezieht sich auf die Form der Gläser, welche zusammengedrückt werden.

439. Wir haben oben bemerkt, daß die farbige Mitte aus einem unentwickelten Kreise bestehe. Es findet sich aber oft bei dem gelindesten Druck, daß mehrere unentwickelte Kreise daselbst gleichsam im Keime liegen, welche nach und nach vor dem Auge des Beobachters entwickelt werden können.

440. Die Regelmäßigkeit dieser Ringe entspringt aus der Form des Konvexglases, und der Durchmesser des Phänomens richtet sich nach dem größern oder kleinern Kugelschnitt, wornach eine Linse geschliffen ist. Man schließt daher leicht, daß man durch das Aneinanderdrücken von Plangläsern nur unregelmäßige Erscheinungen sehen werde, welche wellenförmig nach Art der gewässerten Seidenzeuge erscheinen und sich von dem Punkte des Drucks aus nach allen Enden verbreiten. Doch ist auf diesem Wege das Phänomen viel herrlicher als auf jenem und für einen jeden auffallend und reizend. Stellt man nun den Versuch auf diese Weise an, so wird man völlig wie bei dem oben beschriebenen bemerken, daß bei gelindem Druck die grünen und purpurnen Wellen zum Vorschein kommen, beim stärkeren aber Streifen, welche blau, purpurn und gelb sind, sich isolieren. In dem ersten Falle berühren sich ihre Außenseiten, in dem zweiten sind sie durch einen silberweißen Raum getrennt.

441. Ehe wir nun zur fernern Bestimmung dieses Phänomens übergehen, wollen wir die bequemste Art, dasselbe hervorzubringen, mitteilen.

Man lege ein großes Konvexglas vor sich auf den Tisch gegen ein Fenster und auf dasselbe eine Tafel wohlgeschliffenen Spiegelglases, ungefähr von der Größe einer Spielkarte, so wird die bloße Schwere der Tafel sie schon dergestalt an drücken, daß eins oder das andre der beschriebenen Phänomene entsteht, und man wird schon durch die verschiedene Schwere der Glastafel, durch andre Zufälligkeiten, wie zum Beispiel wenn man die Glastafel auf die abhängende Seite des Konvexglases führt, wo sie nicht so stark aufdrückt als in der Mitte, alle von uns beschriebenen Grade nach und nach hervorbringen können.

442. Um das Phänomen zu bemerken, muß man schief auf die Fläche sehen, auf welcher uns dasselbe erscheint. Äußerst merkwürdig ist aber, daß, wenn man sich immer mehr neigt und unter einem spitzeren Winkel nach dem Phänomen sieht, die Kreise sich nicht allein erweitern, sondern aus der Mitte sich noch andre Kreise entwickeln, von denen sich, wenn man perpendikulär auch durch das stärkste Vergrößerungsglas darauf sah, keine Spur entdecken ließ.

443. Wenn das Phänomen gleich in seiner größten Schönheit erscheinen soll, so hat man sich der äußersten Reinlichkeit zu befleißigen. Macht man den Versuch mit Spiegelglasplatten, so tut man wohl, lederne Handschuh anzuziehen. Man kann bequem die innern Flächen, welche sich auf das genaueste berühren müssen, vor dem Versuche reinigen und die äußern bei dem Versuche selbst unter dem Drücken rein erhalten.

 


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