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X. Dioptrische Farben der ersten Klasse

 

169. Das angerauchte Glas gehört auch hieher und ist gleichfalls als ein trübes Mittel anzusehen. Es zeigt uns die Sonne mehr oder weniger rubinrot; und ob man gleich diese Erscheinung der schwarz-braunen Farbe des Rußes zuschreiben könnte, so kann man sich doch überzeugen, daß hier ein trübes Mittel wirke, wenn man ein solches mäßig angerauchtes Glas, auf der vordern Seite durch die Sonne erleuchtet, vor einen dunklen Gegenstand hält, da wir denn einen blaulichen Schein gewahr werden.

170. Mit Pergamentblättern läßt sich in der dunkeln Kammer ein auffallender Versuch anstellen. Wenn man vor die Öffnung des eben von der Sonne beschienenen Fensterladens ein Stock Pergament befestigt, so wird es weißlich erscheinen; fügt man ein zweites hinzu, so entsteht eine gelbliche Farbe, die immer zunimmt und endlich bis ins Rote übergeht, je mehr man Blätter nach und nach hinzufügt.

171. Einer solchen Wirkung der getrübten Kristallinse beim grauen Star ist schon oben gedacht (132).

172. Sind wir nun auf diesem Wege schon bis zu der Wirkung eines kaum noch durchscheinenden Trüben gelangt, so bleibt uns noch übrig, einer wunderbaren Erscheinung augenblicklicher Trübe zu gedenken.

Das Porträt eines angesehenen Theologen war von einem Künstler, welcher praktisch besonders gut mit der Farbe umzugehen wußte, vor mehrern Jahren, gemalt worden. Der hochwürdige Mann stand in einem glänzenden Samtrocke da, welcher fast mehr als das Gesicht die Augen der Anschauer auf sich zog und Bewunderung erregte. Indessen hatte das Bild nach und nach durch Lichterdampf und Staub von seiner ersten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man übergab es daher einem Maler, der es reinigen und mit einem neuen Firnis überziehen sollte. Dieser fängt nun sorgfältig an, zuerst das Bild mit einem feuchten Schwamm abzuwaschen; kaum aber hat er es einigemal überfahren und den stärksten Schmutz weggewischt, als zu seinem Erstaunen der schwarze Samtrock sich plötzlich in einen hellblauen Plüschrock verwandelt, wodurch der geistliche Herr ein sehr weltliches, obgleich altmodisches Ansehn gewinnt. Der Maler getraut sich nicht weiter zu waschen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde des tiefsten Schwarzen liegen, noch weniger wie er eine Lasur so schnell könne weggescheuert haben, welche ein solches Blau, wie er vor sich sah, in Schwarz zu verwandeln imstande gewesen wäre.

Genug, er fühlte sich sehr bestürzt, das Bild auf diesen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geistliches mehr daran zu sehen, als nur die vielgelockte runde Perücke, wobei der Tausch eines verschossenen Plüschrocks gegen einen trefflichen neuen Samtrock durchaus unerwünscht blieb. Das Übel schien indessen unheilbar, und unser guter Künstler lehnte mißmutig das Bild gegen die Wand und legte sich nicht ohne Sorgen zu Bette.

Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als er das Gemälde wieder vornahm und den schwarzen Samtrock in völligem Glanze wieder erblickte. Er konnte sich nicht enthalten, den Rock an einem Ende abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder erschien und nach einiger Zeit verschwand.

Als ich Nachricht von diesem Phänomen erhielt, begab ich mich sogleich zu dem Wunderbilde. Es ward in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme überfahren, und die Veränderung zeigte sich sehr schnell. Ich sah einen zwar etwas verschossenen, aber völlig hellblauen Plüschrock, auf welchem an dem Ärmel einige braune Striche die Falten andeuteten.

Ich erklärte mir dieses Phänomen aus der Lehre von den trüben Mitteln. Der Künstler mochte seine schon gemalte schwarze Farbe, um sie recht tief zu machen, mit einem besondern Firnis lasieren, welcher beim Waschen einige Feuchtigkeit in sich sog und dadurch trübe ward, wodurch das unterliegende Schwarz sogleich als Blau erschien. Vielleicht kommen diejenigen, welche viel mit Firnissen umgehen, durch

Zufall oder Nachdenken auf den Weg, diese sonderbare Erscheinung den Freunden der Naturforschung als Experiment darzustellen. Mir hat es nach mancherlei Proben nicht gelingen wollen.

173. Haben wir nun die herrlichsten Fälle atmosphärischer Erscheinungen, sowie andre geringere, aber doch immer genugsam bedeutende, aus der Haupterfahrung mit trüben Mitteln hergeleitet, so zweifeln wir nicht, daß aufmerksame Naturfreunde immer weiter gehen und sich üben werden, die im Leben mannigfaltig vorkommenden Erscheinungen auf eben diesem Wege abzuleiten und zu erklären; so wie wir hoffen können, daß die Naturforscher sich nach einem hinlänglichen Apparat umsehen werden, um so bedeutende Erfahrungen den Wißbegierigen vor Augen zu bringen.

174. Ja wir möchten jene im allgemeinen ausgesprochene Haupterscheinung ein Grund- und Urphänomen nennen, und es sei uns erlaubt, hier, was wir darunter verstehen, sogleich beizubringen.

175. Das, was wir in der Erfahrung gewahr werden, sind meistens nur Fälle, welche sich mit einiger Aufmerksamkeit unter allgemeine empirische Rubriken bringen lassen. Diese subordinieren sich abermals unter wissenschaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobei uns gewisse unerläßliche Bedingungen des Erscheinenden näher bekanntwerden. Von nun an fügt sich alles nach und nach unter höhere Regeln und Gesetze, die sich aber nicht durch Worte und Hypothesen dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene dem Anschauen offenbaren. Wir nennen sie Urphänomene, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, daß man stufenweise, wie wir vorhin hinaufgestiegen, von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann. Ein solches Urphänomen ist dasjenige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finsternis, das Dunkle, wir bringen die Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mit Hülfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald durch einen Wechselbezug unmittelbar auf ein Gemeinsames wieder zurück.

176. In diesem Sinne halten wir den in der Naturforschung begangenen Fehler für sehr groß, daß man ein abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle, das Urphänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte und an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das Einfache für ein Zusammengesetztes gelten ließ; durch welches Hinterstzuvörderst die wunderlichsten Verwicklungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen sind, an welchen sie noch leidet.

177. Wäre denn aber auch ein solches Urphänomen gefunden, so bleibt immer noch das Übel, daß man es nicht als ein solches anerkennen will, daß wir hinter ihm und über ihm noch etwas Weiteres aufsuchen, da wir doch hier die Grenze des Schauens eingestehen sollten. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen, der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Fällen, allgemeinen Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund- und Urphänomen ein würdiger Stoff zu weiterer Behandlung und Bearbeitung überliefert werde.

 


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