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III. [Entwicklung des Geldes von der Substanz zur Funktion]

 

Ich beobachte nun zunächst gewisse Strukturverhältnisse des Wirtschaftskreises.

In welchem Maße es von diesen und nicht von der Substanz des Geldes abhängt, inwieweit es wirklich Geld ist, d.h. als Geld wirkt, das mag aus einem negativen, an eine prinzipielle Überlegung anzuknüpfenden Beispiel hervorgehen. Wir bemerken, daß in einem Verhältnis zwischen zwei Menschen die äußere Form selten der genau angepaßte Ausdruck seines inneren Intensitätsmaßes ist; und zwar pflegt sich die Inadäquatheit beider so darzustellen, daß sich die inneren Beziehungen kontinuierlich, die äußeren aber sprungweise entwickeln. Wenn also selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt beide einander entsprechen, so beharren die letzteren in ihrer einmal gewonnenen Form, während die ersteren sich steigern. Von einem gewissen Grade ab erfolgt nun ein plötzliches Wachstum jener, das - und hier liegt nun das Charakteristische - in der Regel nicht bei dem Punkte haltmacht, der dem gleichzeitigen inneren Verhältnis entspricht, sondern über diesen hinaus eine noch vorgeschrittenere Innerlichkeit antizipiert. So wird z.B. das Du zwischen Freunden, das als der endliche Ausdruck einer schon lange bestehenden Zuneigung auftritt, doch in der ersten Zeit oft noch als ein wenig exaggeriert empfunden und schafft mit einem Schlage eine äußere Intimität, der die ganz entsprechende innere erst in einiger Zeit nachzukommen pflegt. Sie kommt ihr aber manchmal auch nicht nach; es gehen manche Verhältnisse darüber zugrunde, daß ihre Form, obgleich durch ihre Innerlichkeit bis zu einem gewissen Grade berechtigt, von dieser nicht völlig eingeholt werden kann. Etwas Entsprechendes findet auch im Unpersönlichen statt. Kräfte des sozialen Lebens, die auf ihren Ausdruck in bestimmten Konstellationen von Recht. Austauschformen, Herrschaftsverhältnissen usw. hindrängen, finden denselben oft lange nicht, weil die einmal erlangten Formen dieser Gebiete leicht erstarren. Tritt nun die innerlich erforderte äußere Änderung dennoch ein, so erfolgt sie oft in einem Maße, für das die innerlichen Kräfte doch noch nicht ganz reif sind, und dessen nachträgliche Legitimierung nicht immer gelingt. So ist die Geldwirtschaft manchmal aufgekommen. Nachdem die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse schon lange auf sie hindrängten, tritt sie dann in Erscheinungen so gewaltigen Umfanges hervor, daß nun wieder jene ihr nicht ganz genügen; dann können solche Erscheinungen ein tragisches Ende finden, wenn die Entwicklung der inneren ökonomischen Kräfte die Form, die sie vorweggenommen hat, nicht schnell genug einholen. Das war die Situation, in der die Fugger, ja alle die großen oberdeutschen Bankiers des 16. Jahrhunderts zugrunde gingen. Ihre Geldgeschäfte, vollkommen den Transaktionen moderner Weltbankiers vergleichbar, fielen in eine Zeit, die zwar der naturalwirtschaftlichen Enge des Mittelalters entwachsen war, aber doch noch nicht die Kommunikationen, Sicherheiten und Usancen besaß, die das notwendige Korrelat solcher Geschäfte sind. Die allgemeinen Verhältnisse lagen noch nicht so, daß man Außenstände in Spanien und bei regierenden Herren ohne weiteres hätte einziehen können. Die neuen geldwirtschaftlichen Formen verleiteten Anton Fugger, sie weit über das Maß zu spannen, in dem sie der adäquate Ausdruck der damaligen realen Verfassung Europas gewesen wären. Den Schuldnern jener Finanzmächte ging es aus dem selben Grunde nicht besser. Die spanische Finanznot des 16. Jahrhunderts entstand dadurch, daß das Geld zwar in Spanien oft genug vorhanden war, aber nicht dort, wo es großenteils gebraucht wurde: in den Niederlanden. Dadurch entstanden Schwierigkeiten, Verzögerungen, Kosten, die zum Ruin der spanischen Finanzen sehr viel beitrugen. Bei anderen lokalen Bedingungen stellt sich auch sofort eine ganz andere Funktionierung des Geldes ein: die Niederlande ihrerseits hatten in ihrem Kriege gegen Spanien den ungeheuren Vorteil, daß ihr Geld eben da, wo es war, auch seine Verwendung fand. In den Händen der Niederländer war es wirklich erst »Geld«, weil es hier ungehindert funktionieren konnte - obgleich sie, auch relativ, sehr viel weniger Geldsubstanz besaßen als Spanien und ihre Existenz auf den Kredit gestellt war. Je günstiger die lokalen Bedingungen der Geldfunktion sind, mit desto weniger Substanz können sie ausgeübt werden, so daß man paradoxerweise sagen kann: je mehr es wirklich Geld (seiner wesentlichen Bedeutung nach) ist, desto weniger braucht es Geld (seiner Substanz nach) zu sein.

Neben dem Einfluß lokaler Bedingungen ist es nun weiterhin die Festigkeit und Zuverlässigkeit der sozialen Wechselwirkungen, gleichsam die Konsistenz des Wirtschaftskreises, die die Auflösung der Geldsubstanz vorbereitet. Das zeigt sich etwa gelegentlich der Tatsache, daß das Geld eine immer steigende Anzahl von Wirkungen hervorbringt, während es selbst ruht. Die manchmal auftretende Vorstellung, daß die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch bloße Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeutsamen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als bloße Idee. Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend, und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psychologischen Vertretung volle Wirkungen zu stände bringt; hier ist es wirklich als der »unbewegte Beweger« zu bezeichnen. Nun liegt es auf der Hand, daß diese Wirkung des Geldes als bloßer Potenzialität von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation überhaupt abhängt. Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch, träge sind, da wird nicht nur bloß gegen bar verkauft, sondern auch das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch die hin es wirken kann. Hierhin gehört auch die Doppelexistenz des ausgeliehenen Geldes: einmal in der ideellen, aber doch höchst bedeutungsvollen Form des Außenstandes, und außerdem als Realität in der Hand des Schuldners. Als Forderung gehört es in dem Vermögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser Stelle vorhanden ist, doch an ihr äußerst wirksam; andrerseits, obgleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers befindet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen üben, als ob das der Fall wäre. So wird durch das Ausleihen des Geldes seine Wirksamkeit in zwei Teile zerlegt und damit der Ertrag seiner wirtschaftlichen Energie außerordentlich gesteigert. Aber die intellektuelle Abstraktion, die diese Zerlegung bewirkt, kann ihre Erfolge eben nur unter einer so gefesteten und verfeinerten Gesellschaftsverfassung üben, daß man in ihr überhaupt mit relativer Sicherheit Geld ausleihen und wirtschaftliche Aktionen auf jene Teilfunktionen seiner gründen kann. Wie es einer gewissen Extensität und Intensität der sozialen Beziehungen bedarf, um Geld überhaupt wirksam werden zu lassen - vorher unterscheidet es sich nicht von anderen Tauschwaren - so einer sehr verstärkten, um seine Wirkungen zu vergeistigen. An diesen gesteigerten Erscheinungen dokumentiert sich besonders durchsichtig, wie wenig das Geld seinem Innersten Wesen nach an die Körperhaftigkeit seines Substrates gebunden ist; da es nun aber ganz und gar eine soziologische Erscheinung ist, eine Form der Wechselwirkung unter den Menschen, so tritt seine Art um so reiner hervor, je kondensierter, zuverlässiger, leichter ansprechend die sozialen Verbindungen sind. Ja, bis in alle Äußerlichkeiten der Geldform hinein wirkt die allgemeine Festigkeit und Sicherheit der Verkehrskultur. Daß ein so feiner und leicht zerstörbarer Stoff wie Papier zum Träger höchsten Geldwertes wird, ist nur in einem so fest und eng organisierten und gegenseitigen Schutz garantierenden Kulturkreise möglich, daß eine Reihe elementarer Gefahren für dasselbe - sowohl äußerer wie namentlich psychologischer Natur - ausgeschlossen sind; bezeichnenderweise hat deshalb das Mittelalter ziemlich häufig Ledergeld verwendet. Wenn das Papiergeld wegen seines gleichsam unsubstanziellen Wesens die vorschreitende Auflösung des Geldwertes in bloßen Funktionswert bezeichnet, so mag das Ledergeld eine Vorstufe dazu symbolisieren: von den Qualitäten, die das substanzielle Geld charakterisieren, hat das Ledergeld wenigstens die der relativen Unzerstörbarkeit noch bewahrt und kann sie erst bei einer bestimmten vorgeschrittenen Struktur der individuellen und sozialen Verhältnisse abgeben.

 


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