2. Lebensweise. Sitten. Tracht
| Sie spinnen. Haben Linnen, Sie regeln Den Fluß und das Wehr, Und mit Schiffen und Segeln Sind sie zu Hause auf offnem Meer. |
Die Frage ist oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirklich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden Deutschen gestanden hätten, und diese Frage ist nicht immer mit einem bestimmten »Ja« beantwortet worden. Sehr wahrscheinlich war die Superiorität der Deutschen, die man schließlich wird zugeben müssen, weniger groß, als deutscherseits vielfach behauptet worden ist.
Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hausten keineswegs, wie ein mir vorliegender Stich sie darstellt, in verpalisadierten Erdhöhlen, um sich gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu schützen; sie hatten vielmehr Bauten mannigfacher Art, die durchaus wirklichen Häusern entsprachen. Daß von ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges bestimmt nachweisbar auf uns gekommen ist, könnte dafür sprechen, daß diese Bauten von einer inferioren Beschaffenheit gewesen wären; wir dürfen aber nicht vergessen, daß die siegreichen Deutschen natürlich alle hervorragenden Gebäude, die sämtlich Tempel oder Festen waren, sei es aus Rache oder sei es zu eigner Sicherheit, zerstörten, während die schlichten Häuser und Hütten im Laufe der Jahrhunderte sich natürlich ebensowenig erhalten konnten, wie deutsche Häuser und Hütten aus jener Zeit.
Die Wenden, so viel steht fest, hatten verhältnismäßig wohleingerichtete Häuser, und die Frage bleibt zunächst nur, wie waren diese Häuser. Wahrscheinlich sehr verschiedener Art. Wie wir noch jetzt, oft bunt durcheinander, noch häufiger nach Distrikten geschieden, Lehmkaten, Fachwerk-, Feldstein- und Backsteinhäuser finden, der Stroh-, Schilf-, Schindel- und Ziegeldächer ganz zu geschweigen, so war es auch in alten Wendenzeiten, nur noch wechselnder, nur noch abhängiger von dem Material, das gerade zur Hand war. In den Fischerdörfern an der Spree und Havel hin, in den Sumpfgegenden, die kein anderes Material kannten als Elsen und Eichen, waren die Dörfer mutmaßlich Blockhäuser, wie man ihnen bis diesen Tag in den Spreewaldgegenden begegnet; auf dem feldsteinübersäten Barnimplateau richteten sich, wie noch jetzt vielfach in den dortigen Dörfern geschieht, die Wohnungen höchstwahrscheinlich aus Feldstein auf; in fruchtbaren Gegenden aber, wo der Lehm zutage lag, wuchs das Lehm- und das Ziegelhaus auf, denn die Wenden verstanden sich sehr wohl auf die Nutzung des Lehms und sehr wahrscheinlich auch auf das Ziegelbrennen. Daß sie unter ihrem Gerät nachweisbar auch den Mauerhammer hatten, deutet wenigstens darauf hin. Einzelne dieser Dinge sind nicht geradezu zu beweisen, aber sie müssen so gewesen sein nach einem Naturgesetz, das fortwirkt bis auf diesen Tag. Armes oder unkultiviertes Volk baut sich seine Wohnungen aus dem, was es zunächst hat: am Vesuv aus Lava, in Irland aus Torf, am Nil aus Nilschlamm, an den Pyramiden aus Trümmern vergangener Herrlichkeit. So war es immer, wird es immer sein. Und so war es auch bei den Wenden.
Die Wenden aber hatten nicht nur Häuser, sie wohnten auch in Städten und Dörfern, die sich zu vielen Hunderten durch das Land zogen. Die wendischen Namen unserer Ortschaften beweisen dies zur Genüge. Manche Gegenden haben nur wendische Namen. Um ein Beispiel statt vieler zu geben, die Dörfer um Ruppin herum heißen: Karwe, Gnewikow, Garz, Wustrau, Bechlin, Stöffin, Kränzlin, Metzeltin, Dabergotz, Ganzer, Lenzke, Manker usw., lauter wendische Namen. Ähnlich ist es überall in der Mark, in Lausitz und Pommern. Selbst viele deutsch klingende Namen, wie Wustrau, Wusterhausen usw., sind nur ein germanisiertes Wendisch.
Wie die Dörfer waren, ob groß oder klein, ob stark bevölkert oder schwach, kann, da jegliche bestimmte Angabe darüber fehlt, nur mittelbar herausgerechnet, nur hypothetisch festgestellt werden. Die große Zahl der Totenurnen, die man findet, außerdem die Mitteilungen Thietmars u.a., daß bei Lunkini 100000 Wenden gefallen seien, scheinen darauf hinzudeuten, daß das Land allerdings stark bevölkert war.
Unsicher, wie wir über Art und Größe der wendischen Dörfer sind, sind wir es auch über die Städte. Einzelne galten für bedeutend genug, um mit den Schilderungen ihres Glanzes und ihres Unterganges die Welt zu füllen, und wie geneigt wir sein mögen, der poetischen Darstellung an diesem Weltruhme das beste Teil zuzuschreiben, so kann doch das Geschilderte nicht ganz Fiktion gewesen sein, sondern muß in irgend etwas Vorhandenem seine reale Anlehnung gehabt haben. Besonderes Ansehen hatten die Handelsstädte am Baltischen Meere. Unter diesen war Jumne, wahrscheinlich am Ausfluß der Swine gelegen, eine der gefeiertsten. Adam von Bremen erzählt von ihr: sie sei eine sehr angesehene Stadt und der größte Ort, den das heidnische Europa aufzuweisen habe. »In ihr – so fährt er fort – wohnen Slawen und andere Nationen, Griechen und Barbaren. Und auch den dort ankommenden Sachsen ist, unter gleichem Rechte mit den Übrigen, zusammenzuwohnen verstattet, freilich nur, solange sie ihr Christentum nicht öffentlich kundgeben. Übrigens wird, was Sitte und Gastlichkeit anlangt, kein Volk zu finden sein, das sich ehrenwerter und dienstfertiger bewiese. Jene Stadt besitzt auch alle möglichen Annehmlichkeiten und Seltenheiten. Dort findet sich der Vulkanstopf, den die Eingeborenen das »griechische Feuer« nennen; dort zeigt sich auch Neptun in dreifacher Art, denn von drei Meeren wird jene Insel bespült, deren eines von ganz grünem Aussehen sein soll, das zweite aber von weißlichem; das dritte ist durch ununterbrochene Stürme beständig in wutvoll brausender Bewegung.«
Diese Beschreibungen zeitgenössischer Schriftsteller, wie auch die Beschreibung von Vineta oder Julin (die beide dasselbe sind) beziehen sich auf wendische Handels- und Küstenstädte. Es ist indessen wahrscheinlich, daß die Binnenstädte wenig davon verschieden waren, wenn auch vielleicht etwas geringer. An Handel waren sie gewiß unbedeutender, aber dafür standen sie dem deutschen Leben und seinem Einfluß näher.
Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, wie lebten die Wenden in ihren Dörfern und Städten, wie kleideten, wie beschäftigen sie sich, so wird das Wenige, was wir bis hierher sagen konnten, auch ein gewisses Licht auf diese Dinge werfen. Wie beschäftigten sie sich? Neben der Führung der Waffen, die Sache jedes Freien war, gab es ein mannigfach gegliedertes Leben. Die Ausschmückung der Tempel – Ausschmückungen, wie man ihnen noch jetzt in altrussischen Kirchen begegnet und wie sie in den alten Schriftstellern der Wendenzeit vielfach beschrieben werden – lassen keinen Zweifel darüber, daß die Wenden eine Art von Kunst, wenigstens von Kunsthandwerk, kannten und übten. Sie schnitzten ihre Götzenbilder in Holz oder fertigten sie aus Erz und Gold, sie bemalten ihre Tempel und färbten das Schnitzwerk, das als groteskes Ornament die Tempel zierte. Den Schiffbau kannten sie, wie die kühnen Seeräuberzüge der Ranen zur Genüge beweisen, und ihr Haus- und Kriegsgerät war mannigfacher Art. Sie kannten den Haken zur Beackerung und die Sichel, um das Korn zu schneiden. Die feineren Wollenzeuge, so berichten die Chronisten, kamen aus Sachsen; aber eben aus dieser speziellen Anführung geht hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinewand, in welche die Nation sich kleidete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die Bienenzucht. Das Land wies darauf hin. Noch jetzt, in den slawischen Flachlanden Osteuropas, auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Heiden mir Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen der Met gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste gebraut. Die Fische wurden frisch oder eingesalzen gegessen, denn man benutzte die Solquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen aus dem Erze zu schmelzen verstanden.
Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wenden. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß sie so gewesen sei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendische Tracht entwickelte sich in den wendisch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs und Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die alten ursprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickelstrümpfe, weder Manchestermieder noch Überfallkragen gekannt haben. All dies ist ein in spätern Kulturzeiten Gewordenes, an dem die Wendenüberreste nolens volens teilnehmen mußten. Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung wie folgt: »Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Obergewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefel; barfuß gehen wurde als ein Zeichen der äußersten Armut betrachtet. Die Unterkleider konnten gewaschen werden; der Stoff, aus dem sie bestanden, war also vermutlich Leinewand. Das Oberkleid war wollen.« Über Schnitt und Kleidung und die bevorzugten Farben wird nichts gesagt, doch dürfen wir wohl annehmen, daß sich eine Vorliebe für das Bunte darin aussprach. Der kleine Hut und die leinenen Unterkleider: Rock, Weste, Beinkleid, finden sich übrigens noch bis diesen Tag bei den Spreewaldswenden vor. Nur die Frauentrachten weichen völlig davon ab.