Valentin von Massow


Valentin von Massow ward am 24. März 1793 zu Berlin geboren. Er erhielt eine sorgfältige Erziehung und teilte diese, sowie den Unterricht der Haus- und Privatlehrer, mit dem Grafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg, dem späteren Ministerpräsidenten, dessen Erziehung König Friedrich Wilhelm der Dritte 1797 dem Obermarschall von Massow anvertraut hatte. Außer dem Grafen von Brandenburg war der zweite Bruder unseres Valentin, der spätere Hausminister von Massow, der einzige Gefährte seiner Knabenzeit.

Dreizehn Jahre alt machte er als Junker im Regiment Rudorfhusaren die unglückliche Kampagne von 1806 mit, wurde bei Lübeck gefangen und auf Ehrenwort in die Heimat entlassen. Das band ihn bis zum Tilsiter Frieden. Nach dem Friedensschlusse seines Versprechens ledig, trat er ins Brandenburgische Husarenregiment und war im März 1812 mit unter den dreihundert Offizieren, die den Abschied nahmen, um nicht unter den Fahnen Frankreichs kämpfen zu müssen. Die Mehrzahl jener dreihundert trat bekanntlich in russischen Dienst. Unser Massow aber begab sich mit zwei gleichgesinnten Freunden: von Barner und von Scharnhorst (Sohn des Generals) nach England und von da nach Spanien. Er focht unter Wellington und wurde vor Burgos durch einen Lanzenstich in die Lunge lebensgefährlich verwundet. Er genas indes und kehrte 1813 nach Preußen zurück. Er trat hier bei den braunen Husaren ein, die damals der Oberst von Blücher, Sohn des Feldmarschalls, kommandierte, und machte in diesem Regimente die Kämpfe jenes schlachtenreichen Sommers und Herbstes mit. Am Schluß des Jahres ward er in den Generalstab versetzt. 1815 befand er sich im Hauptquartier des Fürsten Blücher, dessen Kommunikationen mit Wellington vor und während der Schlacht bei Belle-Alliance durch unsern Massow vermittelt wurden. Welch besserer Vertrauensmann hätte sich finden lassen als eben er, der schon drei Jahre früher unter den Augen des Herzogs gefochten hatte und dessen volle Kenntnis des Englischen ihn ohnehin empfahl.

Der Niederwerfung Napoleons folgte bekanntlich eine Besetzung Frankreichs durch englische und preußische Truppen. Den Oberbefehl über dieselben führte Herzog Wellington, in dessen unmittelbare Umgebung unser Massow kommandiert wurde. Drei Jahre lang verblieb er in dieser Stellung, in der er sich die Zuneigung und das besondere Vertrauen des »Siegesherzogs« zu erwerben wußte. Die Berichte, die Massow während dieser drei Jahre von Paris und Cambray erstattete und die nicht nur militärischen, sondern auch allgemein politischen Inhalts waren, werden noch im großen Generalstabe aufbewahrt und gelten für ausgezeichnete Leistungen.

Bei Ablauf der Okkupation nach Berlin zurückgerufen, ward er gegen Ende des Jahres 1818 zum Flügeladjutanten König Friedrich Wilhelms III. ernannt und stieg, in unmittelbarer Nähe des Königs verbleibend, von Stufe zu Stufe, bis er, nach langwieriger Krankheit, im Jahre 1843 seinen Abschied nahm und sich in die ländliche Stille von Steinhöfel zurückzog.

Hier trieb er mit Eifer Landwirtschaft, erweiterte das Schloß, verschönerte den Park und steigerte den Wert des Familienerbes. Dabei war er in weiten Kreisen ein Tröster der Betrübten, ein Wohltäter der Leidenden, ein weiser Ratgeber aller, die ihm vertrauend ihr Herz öffneten.

 

Die Ruhe ländlicher Zurückgezogenheit war ihm lieb geworden. Nur einmal noch ward er ihr entrissen, um auf kurze Zeit die Stille von Steinhöfel mit dem Lärm von London zu vertauschen.

Der Eiserne Herzog war am 14. Oktober 1852 auf seinem Schlosse Walmer Castle bei Dover gestorben und auf den 15. November war sein feierliches Begräbnis festgesetzt. Fast alle europäischen Armeen schickten Deputationen, um »den Feldmarschall der sieben Reiche« auf seinem letzten Gange zu begleiten; die preußische Deputation aber bestand aus Graf Nostiz, General von Scharnhorst und unsrem Massow, der in Veranlassung dieser Deputierung zum Generalleutnant ernannt worden war. So folgte dieser denn dem Sarge des großen Feldherrn, unter dessen Augen er vierzig Jahre früher zuerst das Hochgefühl des Sieges kennengelernt hatte, und neben ihm schritt General Scharnhorst, der, von gleichem Haß gegen die Napoleonische Familie erfüllt, mit ihm nach England gegangen war, um wo immer es sei, den Unterdrücker seines Vaterlandes zu bekämpfen. Beide waren der Fahne Wellingtons gefolgt, nun folgten beide seinem Sarge.

Und welch Leichengefolge das! Ein schönes Gedicht George Hesekiels hat diesen Zug beschrieben:

 

– ein Leichengefolge schließt sich an,

So wie's gehabt noch kein Untertan!

Von sieben Monarchen ist's deputiert,

Für die er den Stab des Feldmarschalls geführt,

Die Feldzeichen, die mit Trauerflor wehn,

Vertreten die Trauer von sieben Armeen:

Rußland, Preußen und Österreich

Sie klagen heut mit dem britischen Reich,

Niederland, Spanien und Portugal

Begraben in London den Feldmarschall.

Aus hundert Fahnen das Leichentuch,

Das England um seinen Lord Herzog schlug,

Der sich ein Grab in St. Paul ersiegt,

Wo Nelson in Lorbeer begraben liegt.

 

Massow, der durch Jahre hin dem »Old Duke« so persönlich nahe gestanden hatte, war in London mit besonderer Auszeichnung empfangen worden; jetzt, nach der feierlichen Beisetzung, kehrte er aus dem Gewoge der Weltstadt in die ländliche Stille zurück. Aber eine tiefere Stille harrte seiner bereits. Es war beschlossen, daß er dem Siegesherzoge nach wenig mehr als Jahresfrist in die Ruhe des Grabes folgen sollte. Am 11. Januar 1854 erkrankte er und am 18. entschlief er als ein ernster und gläubiger Christ.

Auf dem Kirchhofe zu Steinhöfel ruht er und ein Granitstein gibt die Daten seines Lebens und Todes.

Er war nie vermählt. Steinhöfel fiel an seinen Bruder, den Hausminister, und nach dessen Ableben an den ältesten Sohn desselben, den Rittmeister Valentin von Massow.

Steinhöfel ist ein schönes und reizend gelegenes Gut. Es liegt an der Stelle, wo der breite Sandgürtel, der sich nördlich von Fürstenwalde hinzieht, in ein frischeres und fruchtbareres Terrain übergeht. Das Schloß hat in der Schinkelschen Zeit eine Renovierung erfahren. Interessante, halb landschaftlich, halb architektonisch gehaltene Bilder von Fr. Gilly, die sich bis diesen Tag in einem der Wohnzimmer vorfinden, zeigen uns deutlich, wie die ursprüngliche äußere Anlage war. Die innere Einrichtung stammt aus der Zeit des Generalleutnants Valentin von Massow und seines Vaters des Obermarschalls. Nur unter den Porträts sind einige älteren Datums.

Aus der gesamten Reihe derselben mache ich die folgenden namhaft:

1. Kabinettsminister von Blumenthal; unter dem Großen Kurfürsten brandenburgischer Gesandter in Paris.

2. Feldmarschall von Flans, geb. 1664, gest. 1748, besonderer Liebling und Jagdgenosse Friedrich Wilhelms I. (Diese beiden Porträts, namentlich das erstere, von vorzüglichem Kunstwert.)

3. General von Massow, aus der Zeit Friedrich Wilhelms I.

4. von Massow, Minister unter Friedrich II.

5. Seine Gemahlin.

6. von Massow, Obermarschall unter Friedrich Wilhelm II. und III.

7. Seine Gemahlin.

8. von Massow, Hausminister unter Friedrich Wilhelm IV.

9. Seine Gemahlin.

10. Generalleutnant Valentin von Massow als junger Mann in Zivil.

Außer diesen Porträts interessieren namentlich einige von Schinkel und Fr. Gilly herrührende, Schloß und Park von Steinhöfel in ihrer früheren Gestalt wiedergebende Gouachebilder. Sieben an der Zahl und zwar zwei von Schinkel, fünf von Gilly. Sie sind ohne Datum, doch läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, daß die Gillyschen Blätter zwischen 1795 und 1800, die Schinkelschen um 1805, gleich nach Schinkels Rückkehr aus Italien gemalt wurden.

Die zwei Schinkelschen Bilder sind folgende:

1. La Maison du Vigneron et Vendange à Steinhoeffel. Es ist eine Spätnachmittags-Beleuchtung. Eine Gruppe rechts sitzt im Schatten der Bäume, auf das laubumrankte Winzerhaus aber, sowie auf den freien Platz davor, fällt ein mildes, heiteres Sonnenlicht. Winzer und Bäuerinnen tanzen einen Rund- und Ringelreigen. In der weinumrankten Vorhalle des Winzerhauses und auf der Treppe, die zu dieser Vorhalle hinaufführt, stehen plaudernde Paare und ein paar Fiedler, die zum Tanze spielen. Ein reizendes Bild. In seiner derb heiteren Stimmung niederländisch, in Beleuchtung und Farbenton italienisch und insofern allerdings einer gewissen realistischen Wahrheit entbehrend.

2. La Vigne de Steinhoeffel.

Dies Bild ist ruhiger als das erste, aber vielleicht noch hübscher und anziehender. Es ist dasselbe Haus, nur mit dem Unterschiede, daß man mehr die Giebel- als die Frontseite sieht. Die Sonne geht eben unter und ein rotbrauner Ton liegt über dem Ganzen. Zwei Bäuerinnen kehren mit Fruchtkörben heim. An der sonnenbeschienenen, rotbraunen Gartenmauer steht eine kurzgeschürzte Winzerin in grünem Friesrock und rotem Mieder und reicht einem auf der niedrigen Mauer stehenden Winzer die abgeschnittenen schweren Trauben zu. Edeltannen und Silberpappeln im Hintergrund. Das Ganze in Auffassung und Beleuchtungston durchaus italienisch.

Die fünf Gillyschen 67) Blätter haben mit den Schinkelschen nicht die gerinste Ähnlichkeit. Sie führen alle fünf die gemeinschaftliche Unterschrift: Vue de Steinhoeffel und zeigen

1. das Schloß, wie es sich vor etwa achtzig Jahren präsentierte, wenn man von der Dorfgasse her in den Park einbog;

2. das Schloß vom Park aus;

3. das japanische Häuschen im Park, nach dem Friedrich Wilhelm III. das Paretzer aufführen ließ;

4. und 5. eine Baum- und eine Wasserpartie (Kaskade) aus dem Park.

Wenn auf den zwei Schinkelschen Blättern saftgrün und rotbraun vorherrschen und ihnen Kraft und Frische geben, so sind auf den Gillyschen Blättern weiß und ein helles Wassergrün die vorherrschenden Farben. Die Schinkelschen machen den Eindruck moderner, sehr farbenkräftiger Aquarelle, während die Gillyschen wie Federzeichnungen wirken, die mit dünnen und unkräftigen Wasserfarben hinterher fein und sinnig getuscht wurden.

Interessanter noch als diese Bilder und vielleicht überhaupt das Bemerkenswerteste, was sich an Kunstschätzen, bzw. Kuriositäten in Steinhöfel vorfindet, ist ein anderer einfacher Bilderrahmen, der statt eines Bildes ein vergilbtes Quartblatt Papier umfaßt. Dies Quartblatt Papier, auf beiden Seiten beschrieben (weshalb der Rahmen hinten und vorn ein Glas hat) ist das Konzept eines in Versen abgefaßten Briefes, den Kronprinz Friedrich von Königsberg aus im August 1739 an Voltaire richtete. Im einundzwanzigsten Bande der Oeuvres complètes, dem sechsten der »Correspondances«, findet sich dieser Versebrief abgedruckt.

 

Ich stelle nun behufs eines Vergleiches den gedruckten Brief und die verschiedenen Versionen des Steinhöfeler Konzepts zusammen, zugleich eine Übersetzung hinzufügend, bei der ich auf eine Markierung der kleinen Unterschiede verzichtet habe.


Sublime auteur, ami charmant,Erhabner Dichter, liebenswürdiger Freund,
Vous dont la source intarissable Du,dessen unerschöpflicher Geist (Quell)
Nous fournit si diligemmentUns so fleißig versorgt
De ce fruit rare, inestimable,Mit jener seltnen, unschätzbaren Frucht,
Que votre muse hardiment,Die Deine Muse dreist
Dans un séjour peu favorableAuch an minder günstigem Ort
Fait éclore à chaque moment;Jeden Augenblick heranreifen läßt;
  
Au fond de la Lithuanie,In der Tiefe Litauens
J′ai vu parâitre, tout brillant,Hab ich glänzend erscheinen sehn
Ce rayon de votre génieJenen Strahl Deines Genies,
Qui confond, dans la TragédieDer, spielend, in der Tragödie
Le fanatisme, en se jouant.Den Fanatismus schamrot macht.
  
J′ai vu de la philosophie,Ich habe Philosophisches
J′ai vu le baron voyageur,Und habe den »reisenden Baron«
Et j′ai vu la pièce accomplieUnd habe jene vollendete Arbeit erscheinen sehn,
Où les ouvrages et la VieWorin das »Leben Molières«
De Molière vous font honneur.Und seine Werke Dir zur Ehre gereichen.
  
A la France, votre patrie,Erspare, Voltaire, Deinem Vaterlande,
Voltaire, daignez épargnerErspare Frankreich die Kosten,
Les frais que pour l′AcadémieDie es hergibt
Sa main a voulu destiner.Für seine Akademie.

En effet, je suis sûr que ces quarante têtes qui sont payées pour penser, et dont l'emploi est d'écrire, ne travaillent pas la moitié autant que vous. Les sciences sont pour tout le monde, mais l'art de penser est le don le plus rare de la nature.

Ich bin in der Tat sicher, daß diese vierzig Köpfe, die fürs Denken bezahlt werden und von Amts wegen zu schreiben haben, nicht halb soviel arbeiten als Sie. Die Wissenschaften sind für alle Welt, aber die Kunst des Denkens ist die seltenste Gabe der Natur.


Entre cent personnes qui croient penser, il y en a une à peine qui pense par elle-même. C'est cet esprit créateur qui sait multiplier les idées, qui saisit les rapports entre des choses que l'homme inattentif n'aperçoit qu'à peine, c'est cette force du bon sens qui fait, selon moi, la partie essentielle de l'homme de génie.

Ich bin in der Tat sicher, daß diese vierzig Köpfe, die fürs Denken bezahlt werden und von Amts wegen zu schreiben haben, nicht halb soviel arbeiten als Sie. Die Wissenschaften sind für alle Welt, aber die Kunst des Denkens ist die seltenste Gabe der Natur.


Entre cent personnes qui croient penser, il y en a une à peine qui pense par elle-même. C'est cet esprit créateur qui sait multiplier les idées, qui saisit les rapports entre des choses que l'homme inattentif n'aperçoit qu'à peine, c'est cette force du bon sens qui fait, selon moi, la partie essentielle de l'homme de génie.

Unter hundert Menschen, die zu denken glauben, ist kaum einer, der wirklich denkt. Dieser schöpferische Geist aber, der die Ideen zu vermehren weiß, der da einen Zusammenhang der Dinge wahrnimmt, wo der Unaufmerksame kaum irgend etwas zu entdecken versteht, dieser bon sens, diese Kraft des gesunden Menschenverstandes ist es, die meiner Meinung nach den wesentlichen Teil eines Mannes von Genie ausmacht.


Ce qui n'est parvenu de »Mahomet« me parâit excellent... Vous n'avez pas besoin, mon cher Voltaire, de l'éloquence de M. de Valori; vous êtes dans le cas qu'on ne sourait détruire ni augmenter votre réputation.

Was ich vom »Mahomet« erhalten habe, erscheint mir vorzüglich. Sie, mein teurer Voltaire, bedürfen nicht der Beredsamkeit des Herrn von Valori; Sie sind in der glücklichen Lage, daß Ihren Ruf niemand weder zu zerstören noch zu steigern vermag.


Je suis avec une estime parfaite, mon cher Voltaire etc.

Ich bin, mein teurer Voltaire, mit vorzüglicher Hochachtung etc.


Was uns an diesem beschriebenen Quartblatt am meisten interessiert, ist wohl der Umstand, daß uns dasselbe (eben weil Brouillon) in die Entstehungsgeschichte dieser und ähnlicher Versbriefe des Kronprinzen einführt und uns genau zeigt, wie er arbeitete. Es überrascht dabei einmal eine gewisse Strenge gegen sich selbst, die sich in den doppelten und dreifachen Varianten ausspricht, andererseits aber ein gewisses prosaisches »sich's bequem machen«, das die Reimworte nicht mit ahnungsvoller Sicherheit im Momente heraufbeschwört, sondern sie aufschreibt, um nun völlig nüchtern und nach Bedürfnis die Auswahl treffen zu können. So finden wir in kurzen und langen Kolumnen untereinander geordnet, erst: hyperbole, parole, dann pretendu, venu, parvenu, dann magnifique, rustique, implique, philosophique, intrique, musique, inique, poetique; endlich aprouvé, depravé, annoncé, consumé alarmé etc., Aufzählungen, aus denen ersichtlich wird, daß der Kronprinz in vielen Fällen nicht eine Hülle für den Gedanken, sondern einen Gedanken für die Hülle suchte. Übrigens arbeiten bekanntlich viele Poeten auf ähnliche Weise und so unpoetisch, auf den ersten Blick, dieser Weg erscheinen mag, so ist doch schließlich nicht erwiesen, daß derselbe wesentlich schlechter sei als ein anderer. Er erinnert an das Verfahren einzelner Maler, besonders guter Koloristen, die zunächst eine bloß harmonische Wirkung auf die Sinne bezweckend, nicht klare Gestalten, sondern Farben nebeneinander stellen. Farben, die dem Reim entsprechen. Form und Gedanke finden sich nachher. Wie sie sich finden, scheinbar zwanglos oder aber sichtlich erzwungen – davon hängt dann freilich das Gelingen oder Scheitern ab.

Wir haben diesem umrahmten Quartblatt Papier wieder seinen Ehrenplatz an der Längswand des Bibliothekszimmers gegeben und treten nun aus dem kühlen schattigen Raum in den sonnbeschienenen Park hinaus. Es ist jener Mittagszauber, von dem es im Liede heißt:

 

Vor Wonne zitternd hat die Mittagsschwüle

Auf Tal und Höh in Stille sich gebreitet,

Man hört nur, wie der Specht im Tannicht schreitet

Und wie durchs Tobel rauscht die Sägemühle.

 

Hier ist es nicht die Sägemühle, die rauscht, aber ein Bach, der, aus dem Felde kommend, über ein natürliches Wehr von Feldsteinblöcken niedersprudelt und schillernd in Regenbogenfarben in den hellbeleuchteten Park tritt. Weiterhin wird er ein Teich und die umstehenden Bäume werfen ihr Bild in die dunkelklare Tiefe. Durch den Park hin, südenwärts, ist eine Lichtung geschlagen und vor die lichte Öffnung schiebt sich in Dämmerferne der Hügelzug der »Rauenschen Berge«. Die scharf gezogene Kontur ihres Profils mahnt an südlich Land und blauen Himmel. Über den Teich hin fliegen Libellen, das einzig Lebende, das um diese Zeit noch flügg' und munter ist. Denn ihre Flügel sind groß und ihre Leiber sind leicht.

Ein seltsam Klingen und Tönen zieht durch die Luft,

 

Jetzt ist die Zeit, wo tief im Schilf ein Wimmern

Den Fischer weckt...

 

aber eh noch das Klingen ein bestimmter Klang geworden, fällt die Kirchglocke mit ihren zwölf Mittagsschlägen ein, der Mittagsspuk verfliegt und nur der Zauber der Schönheit und der Stille bleibt.

 

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67) Friedrich Gilly, Sohn des Oberbaurates David Gilly, wurde 1771 zu Berlin geboren und zählte zu den talentvollsten Schülern seines Vaters, den er an Bedeutung übertraf. Wenig befriedigt durch den Halb- oder Pseudoklassizismus seiner Epoche, stand er, als einer der ersten, in der Reihe derer, die damals beflissen waren, auf die hellenische Kunst zurückzugehen. Aber leider war es ihm nur vergönnt, in einer großen Zahl von unausgeführt gebliebenen Entwürfen seiner künstlerischen Überzeugung Ausdruck zu geben. Für monumentale Werke großen Stils hatte die damalige preußische Hauptstadt weder den Sinn noch die Mittel. So muß G. denn nach dem beurteilt werden, was er gewollt. Seine Skizzen sind damals und später viel bewundert worden, von keinem mehr als von Schinkel, der eine Zeitlang in Gillys Atelier tätig war und jederzeit den Einfluß anerkannt hat, den des jugendlichen Meisters Anschauungen auf seine Kunstrichtung ausgeübt haben. Wie Thorwaldsen um eben dieselbe Zeit freudig hervorzuheben pflegte, daß er Carstens die »entscheidende Anregung« verdanke, so nannte Schinkel den jungen Gilly den »Schöpfer alles dessen, was er sei«. Friedrich Gilly starb bereits 1800, neunundzwanzig Jahre alt. Unter seinen Arbeiten befinden sich auch Aquarellskizzen zu einem Denkmale Friedrichs des Großen aus dem Jahre 1797 und Aufnahmen des Marienburger Schlosses aus dem Jahre 1799. (David Gilly, der Vater, wurde 1745 zu Schwedt a. O. geboren und überlebte den Sohn um acht Jahre. Er starb 1808 zu Berlin.)




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