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III. [Die Verhältnisse zwischen äußeren Reizen und Gefühlsfolgen auf dem Gebiet des Geldes]

 

Ein anderer Grund, der die Erscheinungen der Bewußtseinsschwelle in besonders merkbare Beziehung zum Gelde setzt, ist dieser. Das Bestehen und die Summierung von Ursachen, deren eigentlich proportionale Wirkung ausbleibt, um erst oberhalb einer gewissen Grenze einzutreten, wird um so ausgedehnter sein und diese Grenze um so höher hinaufrücken lassen, je unbewegter, in sich stabiler das ganze System ist, in dem der Vorgang sich abspielt: so kann man bekanntlich Wasser bis erheblich unter den Nullpunkt abkühlen, ohne daß es gefriert, wenn man es nur vor jeder Bewegung bewahrt, während die leiseste Erschütterung es sofort zu Eis werden läßt; so kann man die Hand in allmählich erhitztem Wasser halten, weit über den sonst erträglichen Grad hinaus, wenn man nur jede Bewegung ihrer oder des Wassers vermeiden kann; so rufen, auf höheren und komplizierten Gebieten, vielerlei Einflüsse und Verhältnisse die ihnen entsprechende Gefühlsreaktion erst dann hervor, wenn unser ganzes Wesen, vielleicht von einem ganz anderen Punkte her, aufgerüttelt wird; sowohl der Besitz von Werten wie die Entbehrung derselben oder die Unwürdigkeit gewisser Situationen können lange bestehen und sich sogar allmählich steigern, ehe wir uns der Bedeutung davon bewußt werden; es muß erst ein Anstoß erfolgen, der die inneren Elemente sich gleichsam aneinander reiben läßt, so daß wir uns ihrer wirklichen Stärke gerade an ihren jetzt erst bemerkten Relationen oder Unterschieden gegen alle anderen bewußt werden. Ja, Gefühle wie Liebe und Haß können lange in uns leben und gleichsam unterirdisch sich akkumulieren und gewisse verkleidete Wirkungen üben, bis irgendein Anstoß, meistens eine Unterbrechung der äußeren Regelmäßigkeit der Beziehungen, jene Gefühle in das Bewußtsein hinein explodieren läßt und ihnen nun erst die ihnen zukommende Ausbreitung und Folgenreichtum verschafft. Nach demselben Typus verlaufen auch soziale Entwicklungen. Sinnlosigkeiten und Mißbrauche schleichen sich nicht nur in einmal konsolidierte Verfassungen ein, sondern sie häufen und steigern sich unterhalb der Schwelle des sozialen Bewußtseins, oft bis zu einem Grade, dessen Ertragenwerden man von dem Augenblick an nicht mehr begreift, in dem ein allgemeines Aufräumen, oft auf ganz andersartige Anregungen hin, jene Mißstände zum Bewußtsein gebracht hat. Oft sind es bekanntlich erst die Erschütterungen durch einen äußeren, Krieg, die die Widersprüche und eingerotteten Schäden eines Staates offenbar machen. Dies begründet z.B. die schon sonst hervorgehobene Beobachtung, daß sehr krasse soziale Unterschiede, unversöhnliche Höhenabstände der Klassen voneinander, in der Regel mit sozialem Frieden Hand in Hand gehen. Der Ruf nach ausgleichenden Reformen oder Revolutionen pflegt sich erst zu erheben, wenn die Starrheit der Klassenschranken sich gemildert hat und lebhaftere Bewegungen innerhalb der Gesellschaft gewisse vermittelnde und Übergangserscheinungen, eine Sehund Vergleichungsnähe zwischen den Ständen erzeugt haben. Sobald dies aber geschehen ist, tritt den unteren Klassen ihre Unterdrücktheit, den oberen teils die sittliche Verantwortung dafür, teils der Trieb, ihren Besitzstand zu verteidigen, ins Bewußtsein, und der soziale Friede ist unterbrochen. Innerhalb der Geldwirtschaft nun ist die Bewegtheit des Lebenssystems, durch die das Bewußtsein zu Unterschieds- und Schwellenempfindungen gereizt wird, eine ganz besonders verbreitete und lebhafte. Die Fixierung von Verhältnissen, die den gesteigerten Veranlassungen zu Bewußtseinsreaktionen diese Folge vorenthält, wird bei ihrer Begründung auf Geld immerzu unterbrochen, weil alle solche etwas Labiles und der Ruhelage Widerstrebendes haben, und zwar insbesondere, weil das Geld keine sachliche Beziehung zu Persönlichkeiten hat und nicht, wie eine Rangstufe oder eine Deklassierung, wie ein Beruf oder ein moralischer Wert, eine Gefühlsbeziehung oder eine Tätigkeit, gleichsam an jene anwächst. Alle auf solche Lebensinhalte gegründeten Verhältnisse haben wegen der relativen Festigkeit, mit der sie den Personen zugehören, eine Art von Stabilität und setzen dem Einfluß abändernder Elemente eine gewisse Trägheit entgegen, die erst bei einer erheblichen Summierung jener ihnen die ganz proportionierte Folge verschafft. Das Geld dagegen, das wegen seiner Qualitätlosigkeit auch zu keiner qualitativ bestimmten Persönlichkeit als solcher eine Beziehung hat, gleitet ohne innere Widerstände von der einen ab und zur anderen hin, so daß die darauf gegründeten Verhältnisse und Zustände jeder Veranlassung zu Änderungen leicht und adäquat nachgeben, oder, unser jetziges Interesse genauer ausdrückend: daß die Summierungserscheinungen des Geldes, die den Charakter bloßer Quantität am reinsten an sich darstellen, zugleich am häufigsten und deutlichsten ihre Wirkungen auf die inhaltliche Bestimmtheit des Lebens fühlbar machen werden. Die am Geld so häufig auftretenden Schwellenerscheinungen machen aber nur die Gesamtbestimmung seiner deutlicher, zu der jenes Superadditum gehörte, ja, dieses ist im Grunde nur eine einzelne aus den so charakterisierten Erscheinungen. Denn es sagt doch aus, daß die Bedeutung von mehr Geld nicht nur in einem proportionalen Vielfachen der Bedeutung von weniger Geld besteht, sondern daß dieser Bedeutungsunterschied, trotz der rein quantitativen Änderung seines Substrates, ein Umschlagen in qualitativ neue, ja entgegengesetzte Folgeerscheinungen darbietet.

 


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