b. Die italienische Malerei

 

ββ) In dieser durch Giotto angeregten Sinnesweise nun bildete die Malerei sich fort. Die typische Darstellung Christi, der Apostel und der bedeutenderen Ereignisse, von denen die Evangelien Bericht erstatten, ward mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt; doch erweiterte sich dafür der Kreis der Gegenstände nach einer anderen Seite, indem (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 213) »alle Hände geschäftig waren, die Übergänge im Leben moderner Heiligen zu malen: frühere Weltlichkeit, plötzliches Erwachen des Bewußtseins des Heiligen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeschiedenen, Wunder im Leben wie besonders nach dem Tode, in deren Darstellung, wie es in den äußeren Bedingungen der Kunst liegt, der Ausdruck des Affektes der Lebenden die Andeutung der unsichtbaren Wunderkraft überwog«. Daneben wurden dann auch die Begebnisse der Lebens- und Leidensgeschichte Christi nicht vernachlässigt. Besonders die Geburt und Erziehung Christi, die Madonna mit dem Kinde erhoben sich zu Lieblingsgegenständen und wurden mehr in die lebendigere Familientraulichkeit, ins Zärtliche und Innige, ins Menschliche und Empfindungsreiche hineingeführt, während auch »in den Aufgaben aus der Leidensgeschichte nicht mehr das Erhabene und Siegreiche, vielmehr nur das Rührende hervorgehoben (ward) - die unmittelbare Folge jenes schwärmerischen Schwelgens im Mitgefühle der irdischen Schmerzen des Erlösers, dem der heilige Franziskus durch Beispiel und Lehre eine neue, bis dahin unerhörte Energie verliehen hatte«.

In Rücksicht auf einen weiteren Fortgang gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts hin sind besonders zwei Namen zu nennen, Masaccio und Fiesole. Worauf es nämlich wesentlich bei der fortschreitenden Hineinlebung des religiösen Gehalts in die lebendigen Formen der menschlichen Gestalt und des seelenvollen Ausdrucks menschlicher Züge ankam, war auf der einen Seite, wie Rumohr dies angibt (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 243), die Mehrung der Rundung aller Formen; auf der anderen Seite ein »tieferes Eingehen in die Austeilung, in den Zusammenhang, in die vielfältigsten Abstufungen des Reizes und der Bedeutung menschlicher Gesichtsformen«. In die nächste Lösung dieser Kunstaufgabe, deren Schwierigkeit für jene Zeit die Kräfte eines Künstlers übersteigen mochte, teilten sich Masaccio und Angelico da Fiesole. »Masaccio übernahm die Erforschung des Helldunkels, der Rundung und Auseinandersetzung zusammengeordneter Gestalten; Angelico da Fiesole hingegen die Ergründung des inneren Zusammenhanges, der einwohnenden Bedeutung menschlicher Gesichtszüge, deren Fundgruben er zuerst der Malerei eröffnet«; Masaccio nicht etwa in dem Streben nach Anmut, sondern mit großartiger Auffassung, Männlichkeit und im Bedürfnis nach durchgreifenderer Einheit; Fiesole mit der Inbrunst religiöser, vom Weltlichen entfernter Liebe, klösterlicher Reinheit der Gesinnung, Erhebung und Heiligung der Seele; wie denn Vasari von ihm erzählt, er habe niemals gemalt, ohne vorher mit Innigkeit zu beten, und nie die Leiden des Erlösers dargestellt, ohne dabei in Tränen auszubrechen (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 252). So war es also auf der einen Seite die erhöhtere Lebendigkeit und Natürlichkeit, um welche es in diesem Fortschritte der Malerei zu tun war, auf der anderen aber blieb die Tiefe des frommen Gemüts, die unbefangene Innigkeit der Seele im Glauben nicht aus, sondern überwog noch die Freiheit, Geschicklichkeit, Naturwahrheit und Schönheit der Komposition, Stellung, Gewandung und Färbung. Wenn die spätere Entwicklung noch einen bei weitem erhöhteren, volleren Ausdruck der geistigen Innerlichkeit zu erreichen verstand, so ist die jetzige Epoche doch in Reinheit und Unschuld der religiösen Gesinnung und ernsten Tiefe der Konzeption nicht überboten worden. Manche Gemälde dieser Zeit können zwar für uns durch ihre Farbe, Gruppierung und Zeichnung etwas Abstoßendes haben, indem die Formen der Lebendigkeit, die zur Darstellung für die Religiosität des Inneren gebraucht werden, für diesen Ausdruck noch nicht vollkommen durchgängig erscheinen; von selten des geistigen Sinnes jedoch, aus welchem die Kunstwerke hervorgingen, darf man die naive Reinheit, die Vertrautheit mit den innersten Tiefen des wahrhaft religiösen Gehalts, die Sicherheit gläubiger Liebe, auch in Bedrängnis und Schmerz, und oft auch die Grazie der Unschuld und Seligkeit um so weniger verkennen, als die folgenden Epochen, wenn sie auch nach anderen Seiten künstlerischer Vollendung vorwärtsschritten, dennoch diese ursprünglichen Vorzüge, nachdem sie verlorengegangen waren, nicht wieder erreichten.

γγ) Ein dritter Punkt, der im weiteren Fortgang zu den eben erwähnten hinzukommt, betrifft die größere Ausbreitung in Rücksicht der Gegenstände, welche mit erneutem Sinn in die Darstellung aufgenommen wurden. Wie das Heilige sich in der italienischen Malerei von Hause aus der Wirklichkeit schon dadurch genähert hatte, daß Menschen, welche der Lebensepoche der Maler selbst näherstanden, für heilig erklärt wurden, so zieht jetzt die Kunst auch die anderweitige Wirklichkeit und Gegenwart in ihren Bereich hinein. Von jener Stufe reiner Innigkeit und Frömmigkeit, welche nur den Ausdruck dieser religiösen Beseelung selber bezweckte, geht nämlich die Malerei mehr und mehr dazu fort, das äußerliche Weltleben mit den religiösen Gegenständen zu vergesellschaften. Das frohe, kraftvolle Aufsichberuhen der Bürger mit ihrer Betriebsamkeit, ihrem Handel und Gewerbe, ihrer Freiheit, ihrem männlichen Mut und Patriotismus, das Wohlsein in der lebensheiteren Gegenwart, dieses wiedererwachende Wohlgefallen des Menschen an seiner Tugend und witzigen Fröhlichkeit, diese Versöhnung mit dem Wirklichen von selten des inneren Geistes und der Außengestalt war es, welche auch in die künstlerische Auffassung und Darstellung hereintrat und in ihr sich geltend machte. In diesem Sinne sehen wir die Liebe für landschaftliche Hintergründe, Aussichten auf Städte, Umgebung von Kirchen, Palästen lebendig werden; die wirklichen Porträts berühmter Gelehrter, Freunde, Staatsmänner, Künstler und sonstiger Personen, welche durch Witz, Heiterkeit sich die Gunst ihrer Zeit erworben hatten, gewinnen in religiösen Situationen Platz; Züge aus dem häuslichen und bürgerlichen Leben werden mit größerer oder geringerer Freiheit und Geschicklichkeit benutzt; und wenn auch das Geistige des religiösen Gehalts die Grundlage blieb, so wurde doch der Ausdruck der Frömmigkeit nicht mehr für sich isoliert, sondern ward an das vollere Leben der Wirklichkeit und weltlichen Lebensgebiete angeknüpft (Vgl. Italienische Forschungen, Bd. II, S. 282). Allerdings wird durch diese Richtung der Ausdruck religiöser Konzentration und ihrer innigen Frömmigkeit abgeschwächt, aber die Kunst bedurfte, um zu ihrem Gipfel zu gelangen, auch dieses weltlichen Elementes.

γ) Aus dieser Verschmelzung nun der lebendigen volleren Wirklichkeit mit der inneren Religiosität des Gemüts entsprang eine neue geistvolle Aufgabe, deren Lösung erst den großen Künstlern des sechzehnten Jahrhunderts vollkommen gelang. Denn es galt jetzt, die seelenvolle Innigkeit, den Ernst und die Hoheit der Religiosität mit jenem Sinn für die Lebendigkeit leiblicher und geistiger Gegenwart der Charaktere und Formen in Einklang zu setzen, damit die körperliche Gestalt in ihrer Stellung, Bewegung und Färbung nicht bloß ein äußerliches Gerüst bleibe, sondern in sich selbst seelenvoll und lebendig werde und bei durchgängigem Ausdruck aller Teile zugleich im Inneren und Äußeren als gleichmäßig schön erscheine.

Zu den vorzüglichsten Meistern, welche diesem Ziele entgegenschreiten, ist besonders Leonardo da Vinci zu nennen. Er nämlich war es, der nicht nur mit fast grübelnder Gründlichkeit und Feinheit des Verstandes und der Empfindung tiefer als ein anderer vor ihm auf die Formen des menschlichen Körpers und die Seele ihres Ausdrucks einging, sondern sich auch bei gleich tiefer Begründung der malerischen Technik eine große Sicherheit in Anwendung der Mittel erwarb, welche sein Studium ihm an die Hand gegeben hatte. Dabei wußte er sich zugleich einen ehrfurchtsvollen Ernst für die Konzeption seiner religiösen Aufgaben zu bewahren, so daß seine Gestalten, wie sehr sie auch dem Schein eines volleren und abgerundeten wirklichen Daseins zustreben und den Ausdruck süßer, lächelnder Freudigkeit in ihren Mienen und zierlichen Bewegungen zeigen, dennoch der Hoheit nicht entbehren, welche die Ehrfurcht vor der Würde und Wahrheit der Religion gebietet (Vgl. Italienische Forschungen, Bd. II, S. 308).

Die reinste Vollendung aber in dieser Sphäre hat erst Raffael erreicht. Herr von Rumohr teilt besonders den umbrischen Malerschulen seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts einen geheimen Reiz bei, dem jedes Herz sich öffne, und sucht diese Anziehung aus der Tiefe und Zartheit des Gefühls sowie aus der wunderbaren Vereinigung zu erklären, in welche jene Maler halbdeutliche Erinnerungen aus den ältesten christlichen Kunstbestrebungen mit den milderen Vorstellungen der neueren Gegenwart zu bringen verstanden und in dieser Rücksicht ihre toska-nischen, lombardischen und venezianischen Zeitgenossen überragten (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 310). Diesen Ausdruck nun »fleckenloser Seelenreinheit und gänzlicher Hingebung in süßschmerzliche und schwärmerische zärtliche Gefühle« wußte auch Pietro Perugino, der Meister Raffaels, sich anzueignen und damit die Objektivität und Lebendigkeit der äußeren Gestalten, das Eingehen auf das Wirkliche und Einzelne zu verschmelzen, wie es vornehmlich von den Florentinern war ausgebildet worden. Von Perugino nun, an dessen Geschmack und Stil Raffael in seinen Jugendarbeiten noch gefesselt erscheint, geht Raffael zur vollständigsten Erfüllung jener oben angedeuteten Forderung fort.

Bei ihm nämlich vereinigt sich die höchste kirchliche Empfindung für religiöse Kunstaufgaben sowie die volle Kenntnis und liebereiche Beachtung natürlicher Erscheinungen in der ganzen Lebendigkeit ihrer Farbe und Gestalt mit dem gleichen Sinn für die Schönheit der Antike. Diese große Bewunderung vor der idealischen Schönheit der Alten brachte ihn jedoch nicht etwa zur Nachahmung und aufnehmenden Anwendung der Formen, welche die griechische Skulptur so vollendet ausgebildet hatte, sondern er faßte nur im allgemeinen das Prinzip ihrer freien Schönheit auf, die bei ihm nun durch und durch von malerisch individueller Lebendigkeit und tieferer Seele des Ausdrucks sowie von einer bis dahin den Italienern noch nicht bekannten offenen, heiteren Klarheit und Gründlichkeit der Darstellung durchdrungen war. In der Ausbildung und gleichmäßig verschmelzenden Zusammenfassung dieser Elemente erreichte er den Gipfel seiner Vollendung. - In dem magischen Zauber des Helldunkels, in der seelenvollen Zierlichkeit und Grazie des Gemüts, der Formen, Bewegungen, Gruppierungen ist dagegen Correggio, in dem Reichtum der natürlichen Lebendigkeit, dem leuchtenden Schmelz, der Glut, Wärme, Kraft des Kolorits Tizian noch größer geworden. Es gibt nichts Lieblicheres als Correggios Naivität nicht natürlicher, sondern religiöser, geistiger Anmut; nichts Süßeres als seine lächelnde, bewußtlose Schönheit und Unschuld.

Die malerische Vollendung dieser großen Meister ist eine Höhe der Kunst, wie sie nur einmal von einem Volke in dem Verlauf geschichtlicher Entwicklung kann erstiegen werden.

 


 © textlog.de 2004 • 29.04.2024 04:44:01 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright