3. Historische Entwicklung der Malerei


Drittens nun aber können wir nicht, wie wir es bisher getan haben, bei der bloß allgemeinen Angabe und Betrachtung des Inhalts, der für die Malerei sich eignet, und der Gestaltungsweise, welche aus ihrem Prinzip hervorgeht, stehenbleiben, denn insofern diese Kunst durchweg auf der Besonderheit der Charaktere und deren Situation, der Gestalt und deren Stellung, Kolorit usw. beruht, so müssen wir die wirkliche Realität ihrer besonderen Werke vor uns haben und von diesen sprechen. Das Studium der Malerei ist nur vollkommen, wenn man die Gemälde selbst, in welchen sich die angegebenen Gesichtspunkte geltend gemacht haben, kennt und zu genießen und zu beurteilen versteht. Dies ist zwar bei aller Kunst der Fall, unter den bisher betrachteten Künsten jedoch bei der Malerei am meisten. Für die Architektur und Skulptur, wo der Kreis des Inhalts beschränkter, die Darstellungsmittel und Formen weniger reichhaltig und verschiedenartig, die besonderen Bestimmungen einfacher und durchgreifender sind, kann man sich eher schon mit Abbildungen, Beschreibungen, Abgüssen helfen. Die Malerei fordert die Anschauung der einzelnen Kunstwerke selbst; besonders reichen bei ihr bloße Beschreibungen, wie oft man sich auch damit begnügen muß, nicht aus. Bei der unendlichen Mannigfaltigkeit jedoch, zu welcher sie auseinanderläuft und deren Seiten sich in den besonderen Kunstwerken vereinzeln, erscheinen diese zunächst nur als eine bunte Menge, welche, indem sie sich für die Betrachtung nicht ordnet und gliedert, nun auch die Eigentümlichkeit der einzelnen Gemälde wenig sichtbar macht.

So erscheinen z. B. die meisten Galerien, wenn man nicht für jedes Bild schon eine Bekanntschaft mit dem Lande, der Zeit, der Schule und dem Meister, dem es angehört, mitbringt, als ein sinnloses Durcheinander, aus welchem man sich nicht herauszufinden vermag. Das zweckmäßigste für das Studium und den sinnvollen Genuß wird deshalb eine historische Aufstellung sein. Solch eine Sammlung, geschichtlich geordnet, einzig und unschätzbar in ihrer Art, werden wir bald in der Bildergalerie des hier errichteten Königlichen Museums*) zu bewundern Gelegenheit haben, in welcher nicht nur die äußerliche Geschichte in der Fortbildung des Technischen, sondern der wesentliche Fortgang der inneren Geschichte in ihrem Unterschiede der Schulen, der Gegenstände und deren Auffassung und Behandlungsweise deutlich erkennbar sein wird. Nur durch solche lebendige Anschauung selbst läßt sich eine Vorstellung von dem Beginne in traditionellen, statuarischen Typen, von dem Lebendigwerden der Kunst, dem Suchen des Ausdrucks und der individuellen Charakteristik, der Befreiung von dem untätigen, ruhigen Dastehen der Gestalten, von dem Fortgang zu dramatisch bewegter Handlung, Gruppierung und dem vollen Zauber des Kolorits sowie von der Verschiedenheit der Schulen geben, welche teils die gleichen Gegenstände eigentümlich behandeln, teils sich durch den Unterschied des Inhalts, den sie ergreifen, voneinander trennen.

Wie für das Studium, so ist nun auch für die wissenschaftliche Betrachtung und Darstellung die geschichtliche Entwicklung der Malerei von großer Wichtigkeit. Der Inhalt, den ich angab, die Ausbildung des Materials, die unterschiedenen Hauptmomente der Auffassung, alles erhält hier erst in sachgemäßer Folge und Verschiedenheit sein konkretes Dasein. Auf diese Entwicklung muß ich deshalb noch einen Blick werfen und das Hervorstechendste herausheben.

Im allgemeinen liegt der Fortgang darin, daß mit religiösen Gegenständen in einer selbst noch typischen Auffassung, architektonischen, einfachen Anordnung und unausgebildeten Färbung der Anfang gemacht wird. Dann kommt Gegenwart, Individualität, lebendige Schönheit der Gestalten, Tiefe der Innigkeit, Reiz und Zauber des Kolorits mehr und mehr in die religiösen Situationen herein, bis die Kunst sich der weltlichen Seite zuwendet, die Natur, das Alltägliche des gewöhnlichen Lebens oder das historisch Wichtige nationaler Begebenheiten der Vergangenheit und Gegenwart, Porträts und dergleichen bis zum Kleinsten und Unbedeutendsten hin mit gleicher Liebe, als dem religiösen idealen Gehalt gewidmet worden war, ergreift und in diesem Kreise vornehmlich nicht nur die äußerste Vollendung des Malens, sondern auch die lebendigste Auffassung und individuellste Ausführungsweise hinzugewinnt. Dieser Fortgang läßt sich am schärfsten in dem allgemeinen Verlauf der byzantinischen, italienischen, niederländischen und deutschen Malerei verfolgen, nach deren kurzer Charakteristik wir endlich den Übergang zur Musik hin machen wollen.

 

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*) Diese Äußerung ist dem im Jahre 1829 am 17. Februar gehaltenen Vortrage entnommen. [Anmerkung von H. G. Hotho]

 



Inhalt:


a. Die byzantinische Malerei
b. Die italienische Malerei
c. Die niederländische und deutsche Malerei


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Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
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