b. Die italienische Malerei

 

In der freieren Entfaltung nun aber der italienischen Malerei haben wir zweitens einen anderen Charakter der Kunst aufzusuchen. Außer dem religiösen Inhalt des Alten und Neuen Testaments und der Lebensgeschichten von Märtyrern und Heiligen entnimmt sie ihre Gegenstände größtenteils nur aus der griechischen Mythologie, selten dagegen aus den Ereignissen der Nationalgeschichte oder, Porträts ausgenommen, aus der Gegenwart und Wirklichkeit des Lebens; gleich selten, spät und vereinzelt erst, aus der landschaftlichen Natur. Was sie aber für die Auffassung und künstlerische Ausarbeitung des religiösen Kreises vornehmlich hinzubringt, ist die lebendige Wirklichkeit des geistigen und leiblichen Daseins, zu welcher jetzt alle Gestalten sich versinnlichen und beseelen. Für diese Lebendigkeit bildet von selten des Geistes jene natürliche Heiterkeit, von selten des Körpers jene entsprechende Schönheit der sinnlichen Form das Grundprinzip, welche für sich, als schöne Form schon, die Unschuld, Froheit, Jungfräulichkeit, natürliche Grazie des Gemüts, Adel, Phantasie und eine liebevolle Seele ankündigt. Kommt nun zu solch einem Naturell die Erhöhung und Vergoldung des Inneren durch die Innigkeit der Religion, durch den geistigen Zug tieferer Frömmigkeit hinzu, welcher die von Hause aus entschiedenere Sicherheit und Fertigkeit des Daseins in dieser Sphäre des Heils seelenvoll belebt, so haben wir dadurch eine ursprüngliche Harmonie der Gestalt und ihres Ausdrucks vor uns, die, wo sie zur Vollendung gelangt, in diesem Bereich des Romantischen und Christlichen an das reine Ideal der Kunst lebendig erinnert. Freilich muß auch innerhalb solch eines neuen Einklangs die Innigkeit des Herzens überwiegen; aber dies Innere ist ein glücklicherer, reinerer Himmel der Seele, zu welchem der Weg der Umkehr aus dem Sinnlichen und Endlichen und der Rückkehr zu Gott, wenn er auch durch Versenkung in den tieferen Schmerz der Buße und des Todes hindurchgeht, dennoch müheloser und weniger gewaltsam bleibt, indem sich der Schmerz auf die Region der Seele, der Vorstellung, des Glaubens konzentriert, ohne in das Feld gewaltiger Begierde, widerspenstiger Barbarei, harter Eigensucht und Sünde hinabzusteigen und sich mit diesen Feinden der Seligkeit zu schwer errungenen Siegen herumzuschlagen. Es ist ein ideal bleibender Übergang, ein Schmerz, der sich mehr nur schwärmerisch als verletzend in seinem Leiden verhält, ein abstrakteres, seelenreicheres Leiden, das in dem Inneren vorgeht und ebensowenig die leiblichen Qualen herauskehrt, als sich hier die Züge der Halsstarrigkeit, Roheit, Knorrigkeit oder die Züge trivialer, gemeiner Naturen in dem Charakter der Körperformen und Physiognomien kundgeben, so daß es erst eines hartnäckigen Kampfes bedürfte, ehe sie für den Ausdruck der Religiosität und Frömmigkeit durchgängig würden. Diese streitlosere Innigkeit der Seele und ursprünglichere Angemessenheit der Formen zu diesem Inneren macht die anmutige Klarheit und den ungetrübten Genuß aus, den uns die wahrhaft schönen Werke der italienischen Malerei gewähren müssen. Wie man von einer Instrumentalmusik sagt, daß Ton, Gesang darin sei, so schwebt hier der reine Gesang der Seele, ein melodisches Durchziehen, über der ganzen Gestalt und allen ihren Formen; und wie in der Musik der Italiener und in den Tönen ihres Gesanges, wenn die reinen Stimmen ohne Nebengekreisch erklingen, in jeder Besonderheit und Wendung des Klangs und der Melodie es nur das Genießen der Stimme selbst ist, das ertönt, so ist auch solcher Selbstgenuß der liebenden Seele der Grundton ihrer Malerei. Es ist dieselbe Innigkeit, Klarheit und Freiheit, welche wir in den großen italienischen Dichtern wiederfinden. Schon das kunstreiche Wiederklingen der Reime in den Terzinen, Kanzonen, Sonetten und Stanzen, dieser Klang, der nicht nur das Bedürfnis der Gleichheit in einmaliger Wiederholung befriedigt, sondern die Gleichheit zum dritten Male bewährt, ist ein freier Wohlklang, der seiner selbst, seines eigenen Genusses wegen hinströmt. Die gleiche Freiheit zeigt sich im geistigen Gehalt. In Petrarcas Sonetten, Sestinen, Kanzonen ist es nicht der wirkliche Besitz ihres Gegenstandes, nach welchem die Sehnsucht des Herzens ringt, es ist keine Betrachtung und Empfindung, der es um den wirklichen Inhalt und die Sache selbst zu tun ist und die sich darin aus Bedürfnis ausspricht; sondern das Aussprechen selbst macht die Befriedigung; es ist der Selbstgenuß der Liebe, die in ihrer Trauer, ihren Klagen, Schilderungen, Erinnerungen und Einfallen ihre Glückseligkeit sucht; eine Sehnsucht, die sich als Sehnsucht befriedigt und mit dem Bilde, dem Geiste derer, die sie liebt, schon im vollen Besitze der Seele ist, mit der sie sich zu einigen sehnt. Auch Dante, geführt von seinem Meister Vergil durch Hölle und Fegefeuer, sieht das Schrecklichste, Schauderhafteste, er bangt, zerfließt oft in Tränen, aber schreitet getrost und ruhig weiter, ohne Schrecken und Angst, ohne die Verdrießlichkeit und Verbitterung: es solle nicht so sein. Ja selbst seine Verdammten in der Hölle haben noch die Seligkeit der Ewigkeit - »lo eterno duro« steht über den Pforten der Hölle -, sie sind, was sie sind, ohne Reue und Verlangen, sprechen nicht von ihren Qualen - diese gehen uns und sie gleichsam nichts an, denn sie dauern ewig -, sondern sie sind nur ihrer Gesinnung und Taten eingedenk, fest sich selber gleich in denselben Interessen, ohne Jammer und Sehnsucht.

Wenn man diesen Zug seliger Unabhängigkeit und Freiheit der Seele in der Liebe gefaßt hat, so versteht man den Charakter der italienischen größten Maler. In dieser Freiheit sind sie Meister über die Besonderheit des Ausdrucks, der Situation, auf diesem Flügel des innigen Friedens haben sie zu gebieten über Gestalt, Schönheit, Farbe; in der bestimmtesten Darstellung der Wirklichkeit und des Charakters, indem sie ganz auf der Erde bleiben und oft nur Porträts geben oder zu geben scheinen, sind es Gebilde einer anderen Sonne, eines anderen Frühlings, die sie schaffen; es sind Rosen, die zugleich im Himmel blühen. So ist es ihnen in der Schönheit selber nicht zu tun um die Schönheit der Gestalt allein, nicht um die sinnliche, in den sinnlichen Körperformen ausgegossene Einheit der Seele mit ihrem Leibe, sondern um diesen Zug der Liebe und Versöhnung in jeder Gestalt, Form und Individualität des Charakters; es ist der Schmetterling, die Psyche, die, im Sonnenglanze ihres Himmels, selbst um verkümmerte Blumen schwebt. Durch diese reiche, freie, volle Schönheit allein sind sie befähigt worden, die antiken Ideale unter den Neueren hervorzubringen.

Den Standpunkt solch einer Vollendung hat jedoch die italienische Malerei nicht sogleich von Hause aus eingenommen, sondern ist, ehe sie ihn zu erreichen vermochte, erst einen langen Weg entlanggegangen. Doch die rein unschuldige Frömmigkeit, der grandiose Sinn der ganzen Konzeption und die unbefangene Schönheit der Form, die Innigkeit der Seele sind häufig gerade bei den alten italienischen Meistern, aller Unvollkommenheit der technischen Ausbildung zum Trotz, am hervorstechendsten. Im vorigen Jahrhundert aber hat man diese älteren Meister wenig geschätzt, sondern als ungeschickt, trocken und dürftig verworfen. Erst in neuerer Zeit sind sie von Gelehrten und Künstlern wieder der Vergessenheit entzogen worden, nun aber auch mit einer übertriebenen Vorliebe bewundert und nachgebildet, welche die Fortschritte einer weiteren Ausbildung der Auffassungsweise und Darstellung ableugnen wollte und auf die entgegengesetzten Abwege führen mußte.

Was nun die näheren historischen Hauptmomente in der Entwicklung der italienischen Malerei bis zur Stufe ihrer Vollendung anbetrifft, so will ich kurz nur folgende Punkte herausheben, auf welche es bei der Charakterisierung der wesentlichsten Seiten der Malerei und ihrer Ausdrucksweise ankommt.

α) Nach früherer Roheit und Barbarei gingen die Italiener von dem durch die Byzantiner im ganzen handwerksmäßiger fortgepflanzten Typus wieder mit einem neuen Aufschwünge aus. Der Kreis der dargestellten Gegenstände war aber nicht groß, und die Hauptsache blieb die strenge Würde, die Feierlichkeit und religiöse Hoheit. Doch bereits Duccio, der Sieneser, und Cimabue, der Florentiner, wie es Herr von Rumohr als ein gewichtiger Kenner dieser früheren Epochen bezeugt (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 4), suchten die dürftigen Überreste der antiken perspektivisch und anatomisch begründeten Zeichnungsart, welche sich durch mechanische Nachbildung christlich antiker Kunstwerke besonders in der neugriechischen Malerei erhalten hatten, in sich aufzunehmen und im eigenen Geiste möglichst zu verjüngen. Sie »empfanden den Wert dieser Bezeichnungen ... ; doch strebten sie,  das Grelle ihrer Verknöcherung zu mildern, indem sie solche halbverstandenen Züge mit dem Leben verglichen, wie wir angesichts ihrer Leistungen vermuten und annehmen dürfen«. Dies sind inzwischen nur die ersten Emporstrebungen der Kunst aus dem Typischen, Starren zum Lebendigen und individuell Ausdrucksvollen hin.

β) Der weitere zweite Schritt nun aber besteht in der Losreißung von jenen griechischen Vorbildern, in dem Hereintreten ins Menschliche und Individuelle, der ganzen Konzeption und Ausführung nach, sowie in der fortgebildet tieferen Angemessenheit menschlicher Charaktere und Formen zu dem religiösen Gehalt, den sie ausdrücken sollen.

αα) Hier ist zuerst der großen Einwirkung zu erwähnen, welche Giotto und die Schüler desselben hervorbrachten. Giotto änderte ebensowohl die bisherige Zubereitungsart der Farben, als er auch die Auffassungsweise und Richtung der Darstellung umwandelte. Die Neugriechen haben sich wahrscheinlich, wie aus chemischen Untersuchungen hervorgeht, sei es als Bindemittel der Farben, sei es als Überzug, des Wachses bedient, wodurch »der gelblichgrünliche, verdunkelnde Ton« entstand, der nicht durchhin aus den Wirkungen des Lampenlichts zu erklären ist (Italienische Forschungen, Bd. l, S. 312). Dies zähere Bindungsmittel nun der griechischen Maler hat Giotto ganz aufgegeben und ist dagegen zu dem Anreiben der Farben mit geklärter Milch junger Sprossen, unreifer Feigen und mit anderen minderöligen Leimen übergegangen, welche die italienischen Maler des früheren Mittelalters, vielleicht schon ehe sie sich wieder der strengeren Nachbildung der Byzantiner zuwendeten, in Gebrauch gehabt hatten (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 43; Bd. l, S. 312). Diese Bindungsmittel übten auf die Farben keinen verdunkelnden Einfluß aus, sondern ließen sie hell und klar.

Wichtiger jedoch war die Umwandlung, welche durch Giotto in Rücksicht auf die Wahl der Gegenstände und deren Darstellungsweise in die italienische Malerei hereinkam. Schon Ghiberti rühmt von Giotto, daß er die rohe Manier der Griechen verlassen und, ohne über das Maß hinauszugehen, die Natürlichkeit und Anmut eingeführt habe (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 42); und auch Boccaccio (Decamerone, 6. Tag, 5. Geschichte) sagt von ihm, daß die Natur nichts hervorbringe, was Giotto nicht bis zur Täuschung nachzubilden verstehe. In den byzantinischen Gemälden läßt sich von Naturanschauung kaum eine Spur entdecken; Giotto nun war es, der sich auf das Gegenwärtige und Wirkliche hin ausrichtete und die Gestalten und Affekte, die er darzustellen unternahm, mit dem Leben selbst, wie es sich um ihn her bewegte, verglich. Mit dieser Richtung tritt der Umstand zusammen, daß zu Giottos Zeit nicht nur überhaupt die Sitten freier, das Leben lustiger wurde, sondern daß auch die Verehrung vieler neuer Heiliger aufkam, welche der Zeit des Malers selbst näher lagen. Diese besonders wählte sich Giotto bei seiner Richtung auf die wirkliche Gegenwart zu Gegenständen seiner Kunst aus, so daß nun auch wieder im Inhalte selbst die Forderung lag, auf die Natürlichkeit der leiblichen Erscheinung, auf Darstellung bestimmterer Charaktere, Handlungen, Leidenschaften, Situationen, Stellungen und Bewegungen hinzuarbeiten. Was nun aber bei diesem Bestreben relativ verlorenging, ist jener großartige heilige Ernst, welcher der vorangehenden Kunststufe zugrunde gelegen hatte. Das Weltliche gewinnt Platz und Ausbreitung, wie denn auch Giotto im Sinne seiner Zeit dem Burlesken neben dem Pathetischen eine Stelle einräumte, so daß Herr von Rumohr mit Recht sagt (Italienische Forschungen, Bd. II, S. 73): »Unter diesen Umständen weiß ich nicht, was einige wollen, welche sich mit aller Kraft darangesetzt haben, die Richtung und Leistung des Giotto als das Erhabenste der neueren Kunst auszupreisen«. Für die Würdigung des Giotto den richtigen Standpunkt wieder angegeben zu haben, ist ein großes Verdienst jenes gründlichen Forschers, der zugleich darauf aufmerksam macht, daß Giotto selbst in seiner Richtung auf die Vermenschlichung und Natürlichkeit doch immer noch auf einer im ganzen niedrigen Stufe stehenblieb.

 


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