§ 29. Eigentümlicher Charakter der disjunktiven Urteile


Der eigentümliche Charakter aller disjunktiven Urteile, wodurch ihr spezifischer Unterschied, dem Momente der Relation nach, von den übrigen, insbesondre von den kategorischen Urteilen bestimmt ist, besteht darin: daß die Glieder der Disjunktion insgesamt problematische Urteile sind, von denen nichts anders gedacht wird, als daß sie, wie Teile der Sphäre einer Erkenntnis, jedes des andern Ergänzung zum Ganzen (complementum ad totum), zusammen genommen, der Sphäre des ersten gleich seien. Und hieraus folgt: daß in Einem dieser problematischen Urteile die Wahrheit enthalten sein oder — welches dasselbe ist — daß Eines von ihnen assertorisch gelten müsse, weil außer ihnen die Sphäre der Erkenntnis unter den gegebenen Bedingungen nichts mehr befaßt und eine der andern entgegengesetzt ist; folglich weder außer ihnen etwas anders, noch auch unter ihnen mehr als Eines wahr sein kann.

Anmerk. In einem kategorischen Urteile wird das Ding, dessen Vorstellung als ein Teil von der Sphäre einer andern subordinierten Vorstellung betrachtet wird, als enthalten unter dieses seinem obern Begriffe betrachtet; also wird hier in der Subordination der Sphären der Teil vom Teile mit dem Ganzen verglichen. — Aber in disjunktiven Urteilen gehe ich vom Ganzen auf alle Teile zusammengenommen. — Was unter der Sphäre eines Begriffs enthalten ist, das ist auch unter einem der Teile dieser Sphäre enthalten. Darnach muß erstlich die Sphäre eingeteilt werden. Wenn ich z. B. das disjunktive Urteil fälle: Ein Gelehrter ist entweder ein historischer oder ein Vernunftgelehrter: so bestimme ich damit, daß diese Begriffe, der Sphäre nach, Teile der Sphäre der Gelehrten sind, aber keinesweges Teile von einander, und daß sie alle zusammengenommen komplett sind. —

Daß in den disjunktiven Urteilen nicht die Sphäre des eingeteilten Begriffs, als enthalten in der Sphäre der Einteilungen, sondern das, was unter dem eingeteilten Begriffe enthalten ist, als enthalten unter einem der Glieder der Einteilung, betrachtet werde, mag folgendes Schema der Vergleichung zwischen kategorischen und disjunktiven Urteilen anschaulicher machen.

In kategorischen Urteilen ist x, was unter b enthalten ist, auch unter a:

 

 

In disjunktiven ist x, was unter a enthalten ist, entweder unter b oder c u.s.w. enthalten:

 

 

Also zeigt die Division in disjunktiven Urteilen die Koordination nicht der Teile des ganzen Begriffs, sondern alle Teile seiner Sphären an. Hier denke ich viel Dinge durch einen Begriff; dort ein Ding durch viel Begriffe, z. B. das Definitum durch alle Merkmale der Koordination.  


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