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II. Schwarze und weiße Bilder zum Auge


15. Wie sich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel überhaupt verhält, so verhält sie sich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenstände. Wenn Licht und Finsternis ihr im ganzen verschiedene Stimmungen geben, so werden schwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zustände nebeneinander bewirken, welche durch Licht und Finsternis in einer Folge hervorgebracht wurden.

16. Ein dunkler Gegenstand erscheint kleiner, als ein heller von derselben Größe. Man sehe zugleich eine weiße Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf weißem Grunde, welche nach einerlei Zirkelschlag ausgeschnitten sind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fünftel kleiner, als die erste halten. Man mache das schwarze Bild um soviel größer, und sie werden gleich erscheinen.

17. So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Konjunktion (der finstere) um den fünften Teil kleiner erscheine als in der Opposition (der volle helle). Die erste Mondsichel scheint einer größern Scheibe anzugehören als der an sie grenzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterscheiden kann. Schwarze Kleider machen die Personen viel schmäler aussehen als helle. Hinter einem Rand gesehene Lichter machen in den Rand einen scheinbaren Einschnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat für uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Sonne scheint einen Einschnitt in den Horizont zu machen.

18. Das Schwarze, als Repräsentant der Finsternis, läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Tätigkeit. Man schlösse vielleicht aus gedachtem Phänomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn sie sich selbst überlassen ist, in sich selbst zusammen gezogen sei und einen kleinern Raum einnehme als in dem Zustande der Tätigkeit, in den sie durch den Reiz des Lichtes versetzt wird.

Kepler sagt daher sehr schön: certum est vel in retina causa picturae, vel in spiritibus causa impressionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherffer hat eine ähnliche Mutmaßung.

19. Wie dem auch sei, beide Zustände, zu welchen das Organ durch ein solches Bild bestimmt wird, bestehen auf demselben örtlich, und dauern eine Zeitlang fort, wenn auch schon der äußre Anlaß entfernt ist. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn selten kommen Bilder vor, die sehr stark voneinander abstechen. Wir vermeiden diejenigen anzusehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenstand auf den andern, die Sukzession der Bilder scheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß sich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinüberschleicht.

20. Wer auf ein Fensterkreuz, das einen dämmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beim Erwachen, wenn das Auge besonders empfänglich ist, scharf hinblickt und sodann die Augen schließt oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinsieht, wird ein schwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor sich sehen.

21. Jedes Bild nimmt seinen bestimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen größern oder kleinern, nach dem Maße, in welchem es nahe oder fern gesehen wird. Schließen wir das Auge sogleich, wenn wir in die Sonne gesehen haben, so werden wir uns wundern, wie klein das zurückgebliebene Bild erscheint.

22. Kehren wir dagegen das geöffnete Auge nach einer Wand und betrachten das uns vorschwebende Gespenst in bezug auf andre Gegenstände, so werden wir es immer größer erblicken, je weiter von uns es durch irgendeine Fläche aufgefangen wird. Dieses Phänomen erklärt sich wohl aus dem perspektivischen Gesetz, daß uns der kleine nähere Gegenstand den größern entfernten zudeckt.

23. Nach Beschaffenheit der Augen ist die Dauer dieses Eindrucks verschieden. Sie verhält sich wie die Herstellung der Netzhaut bei dem Übergang aus dem Hellen ins Dunkle (10) und kann also nach Minuten und Sekunden abgemessen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geschwungene brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erscheint, geschehen konnte.

24. Besonders auch kommt die Energie in Betracht, womit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am längsten bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger leuchtende Körper lassen ihre Spur länger oder kürzer zurück.

25. Diese Bilder verschwinden nach und nach, und zwar indem sie sowohl an Deutlichkeit als an Größe verlieren.

26. Sie nehmen von der Peripherie herein ab, und man glaubt bemerkt zu haben, daß bei viereckten Bildern sich nach und nach die Ecken abstumpfen, und zuletzt ein immer kleineres rundes Bild vorschwebt.

27. Ein solches Bild, dessen Eindruck nicht mehr bemerklich ist, läßt sich auf der Retina gleichsam wieder beleben, wenn wir die Augen öffnen und schließen und mit Erregung und Schonung abwechseln.

28. Daß Bilder sich bei Augenkrankheiten vierzehn bis siebzehn Minuten, ja länger auf der Retina erhielten, deutet auf äußerste Schwäche des Organs, auf dessen Unfähigkeit, sich wieder herzustellen, so wie das Vorschweben leidenschaftlich geliebter oder verhaßter Gegenstände aus dem Sinnlichen ins Geistige deutet.

29. Blickt man, indessen der Eindruck obgedachten Fensterbildes noch dauert, nach einer hellgrauen Fläche, so erscheint das Kreuz hell und der Scheibenraum dunkel. In jenem Falle (20) blieb der Zustand sich selbst gleich, so daß auch der Eindruck identisch verharren konnte; hier aber wird eine Umkehrung bewirkt, die unsere Aufmerksamkeit aufregt und von der uns die Beobachter mehrere Fälle überliefert haben.

30. Die Gelehrten, welche auf den Cordilleras ihre Beobachtungen anstellten, sahen um den Schatten ihrer Köpfe, der auf Wolken fiel, einen hellen Schein. Dieser Fall gehört wohl hieher: denn indem sie das dunkle Bild des Schattens fixierten und sich zugleich von der Stelle bewegten, so schien ihnen das geforderte helle Bild um das dunkle zu schweben. Man betrachte ein schwarzes Rund auf einer hellgrauen Fläche, so wird man bald, wenn man die Richtung des Blicks im geringsten verändert, einen hellen Schein um das dunkle Rund schweben sehen.

Auch mir ist ein Ähnliches begegnet. Indem ich nämlich auf dem Felde sitzend mit einem Manne sprach, der, in einiger Entfernung vor mir stehend, einen grauen Himmel zum Hintergrund hatte, so erschien mir, nachdem ich ihn lange scharf und unverwandt angesehen, als ich den Blick ein wenig gewendet, sein Kopf von einem blendenden Schein umgeben.

Wahrscheinlich gehört hieher auch das Phänomen, daß Personen, die bei Aufgang der Sonne an feuchten Wiesen hergehen, einen Schein um ihr Haupt erblicken, der zugleich farbig sein mag, weil sich von den Phänomenen der Refraktion etwas einmischt.

So hat man auch um die Schatten der Luftballone, welche auf Wolken fielen, helle und einigermaßen gefärbte Kreise bemerken wollen.

Pater Beccaria stellte einige Versuche an über die Wetterelektrizität, wobei er den papiernen Drachen in die Höhe steigen ließ. Es zeigte sich um diese Maschine ein kleines glänzendes Wölkchen von abwechselnder Größe, ja auch um einen Teil der Schnur. Es verschwand zuweilen, und wenn der Drache sich schneller bewegte, schien es auf dem vorigen Platze einige Augenblicke hin und wieder zu schweben. Diese Erscheinung, welche die damaligen Beobachter nicht erklären konnten, war das im Auge zurückgebliebene, gegen den hellen Himmel in ein helles verwandelte Bild des dunkeln Drachen.

Bei optischen, besonders chromatischen Versuchen, wo man oft mit blendenden Lichtern, sie seien farblos oder farbig, zu tun hat, muß man sich sehr vorsehen, daß nicht das zurückgebliebene Spektrum einer vorhergehenden Beobachtung sich mit in eine folgende Beobachtung mische und dieselbe verwirrt und unrein mache.

31. Diese Erscheinungen hat man sich folgendermaßen zu erklären gesucht. Der Ort der Retina, auf welchen das Bild des dunklen Kreuzes fiel, ist als ausgeruht und empfänglich anzusehen. Auf ihn wirkt die mäßig erhellte Fläche lebhafter als auf die übrigen Teile der Netzhaut, welche durch die Fensterscheiben das Licht empfingen, und nachdem sie durch einen so viel stärkern Reiz in Tätigkeit gesetzt worden, die graue Fläche nur als dunkel gewahr werden.

32. Diese Erklärungsart scheint für den gegenwärtigen Fall ziemlich hinreichend; in Betrachtung künftiger Erscheinungen aber sind wir genötigt, das Phänomen aus höhern Quellen abzuleiten.

33. Das Auge eines Wachenden äußert seine Lebendigkeit besonders darin, daß es durchaus in seinen Zuständen abzuwechseln verlangt, die sich am einfachsten vom Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem besondern, in einem durch das Objekt spezifizierten Zustande identisch verharren. Es ist vielmehr zu einer Art von Opposition genötigt, die, indem sie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegensetzt, sogleich das Entgegengesetzte verbindet und in der Sukzession sowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit nach einem Ganzen strebt.

34. Vielleicht entsteht das außerordentliche Behagen, das wir bei dem wohlbehandelten Helldunkel farbloser Gemälde und ähnlicher Kunstwerke empfinden, vorzüglich aus dem gleichzeitigen Gewahrwerden eines Ganzen, das von dem Organ sonst nur in einer Folge mehr gesucht, als hervorgebracht wird, und wie es auch gelingen möge, niemals festgehalten werden kann.


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