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V. Farbige Bilder


47. Wir wurden die physiologischen Farben zuerst beim Abklingen farbloser blendender Bilder, sowie auch bei abklingenden allgemeinen farblosen Blendungen gewahr. Nun finden wir analoge Erscheinungen, wenn dem Auge eine schon spezifizierte Farbe geboten wird, wobei uns alles, was wir bisher erfahren haben, immer gegenwärtig bleiben muß.

48. Wie von den farblosen Bildern, so bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Opposition aufgeforderte und durch den Gegensatz eine Totalität hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anschaulicher wird.

49. Man halte ein kleines Stück lebhaft farbigen Papiers oder seidnen Zeuges vor eine mäßig erleuchtete weiße Tafel, schaue unverwandt auf die kleine farbige Fläche und hebe sie, ohne das Auge zu verrücken, nach einiger Zeit hinweg, so wird das Spektrum einer andern Farbe auf der weißen Tafel zu sehen sein. Man kann auch das farbige Papier an seinem Orte lassen und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken, so wird jene farbige Erscheinung sich auch dort sehen lassen: denn sie entspringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehört.

50. Um in der Kürze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch diesen Gegensatz hervorgerufen werden, bediene man sich des illuminierten Farbenkreises unserer Tafeln, der überhaupt naturgemäß eingerichtet ist und auch hier seine guten Dienste leistet, indem die in demselben diametral einander entgegengesetzten Farben diejenigen sind, welche sich im Auge wechselsweise fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Grüne, und umgekehrt. So fordern sich alle Abstufungen wechselsweise, die einfachere Farbe fordert die zusammengesetztere, und umgekehrt.

51. Öfter, als wir denken, kommen uns die hieher gehörigen Fälle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerksame sieht diese Erscheinungen überall, da sie hingegen von dem ununterrichteten Teil der Menschen, wie von unsern Vorfahren, als flüchtige Fehler angesehen werden, ja manchmal gar, als wären es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, sorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Fälle mögen hier Platz nehmen.

52. Als ich gegen Abend in ein Wirtshaus eintrat und ein wohlgewachsenes Mädchen mit blendendweißem Gesicht, schwarzen Haaren und einem scharlachroten Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich sie, die in einiger Entfernung vor mir stand, in der Halbdämmerung scharf an. Indem sie sich nun darauf hinwegbewegte, sah ich auf der mir entgegenstehenden weißen Wand ein schwarzes Gesicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die übrige Bekleidung der völlig deutlichen Figur erschien von einem schönen Meergrün.

53. Unter dem optischen Apparat befinden sich Brustbilder von Farben und Schattierungen, denen entgegengesetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man sie eine Zeitlang angeschaut, die Scheingestalt alsdann ziemlich natürlich gesehen haben. Die Sache ist an sich selbst richtig und der Erfahrung gemäß: denn in obigem Falle hätte mir eine Mohrin mit weißer Binde ein weißes Gesicht schwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bei jenen gewöhnlich klein gemalten Bildern nicht jedermann glücken, die Teile der Scheinfigur gewahr zu werden.

54. Ein Phänomen, das schon früher bei den Naturforschern Aufmerksamkeit erregt, läßt sich, wie ich überzeugt bin, auch aus diesen Erscheinungen ableiten.

Man erzählt, daß gewisse Blumen im Sommer bei Abendzeit gleichsam blitzen, phosphoreszieren oder ein augenblickliches Licht ausströmen. Einige Beobachter geben diese Erfahrungen genauer an.

Dieses Phänomen selbst zu sehen hatte ich mich oft bemüht, ja sogar, um es hervorzubringen, künstliche Versuche angestellt.

Am 19. Juni 1799, als ich zu später Abendzeit bei der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung mit einem Freunde im Garten auf- und abging, bemerkten wir sehr deutlich an den Blumen des orientalischen Mohns, die vor allen andern eine sehr mächtig rote Farbe haben, etwas Flammenähnliches, das sich in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Stauden hin, sahen aufmerksam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bei abermaligem Hin- und Widergehen, gelang, indem wir seitwärts darauf blickten, die Erscheinung so oft zu wiederholen, als uns beliebte. Es zeigte sich, daß es ein physiologisches Farbenphänomen, und der scheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume in der geforderten blaugrünen Farbe sei.

Wenn man eine Blume gerad ansieht, so kommt die Erscheinung nicht hervor; doch müßte es auch geschehen, sobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, so entsteht eine momentane Doppelerscheinung, bei welcher das Scheinbild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird.

Die Dämmerung ist Ursache, daß das Auge völlig ausgeruht und empfänglich ist, und die Farbe des Mohns ist mächtig genug, bei einer Sommerdämmerung der längsten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen.

Ich bin überzeugt, daß man diese Erscheinung zum Versuche erheben und den gleichen Effekt durch Papierblumen hervorbringen könnte.

Will man indessen sich auf die Erfahrung in der Naturvorbereiten, so gewöhne man sich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen scharf anzusehen und sogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird diesen alsdann mit Flecken der entgegengesetzten Farbe bestreut sehen. Diese Erfahrung glückt bei bedecktem Himmel, aber auch selbst beim hellsten Sonnenschein, der, indem er die Farbe der Blume erhöht, sie fähig macht die geforderte Farbe mächtig genug hervorzubringen, daß sie selbst bei einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Päonien schön grüne, die Kalendeln lebhaft blaue Spektra hervor.

55. So wie bei den Versuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Teilen der Retina ein Farbenwechsel gesetzmäßig entsteht, so geschieht dasselbe, wenn die ganze Netzhaut von einer Farbe affiziert wird. Hievon können wir uns überzeugen, wenn wir farbige Glasscheiben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeitlang durch eine blaue Scheibe, so wird die Welt nachher dem befreiten Auge wie von der Sonne er leuchtet erscheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Gegend herbstlich farblos wäre. Ebenso sehen wir, indem wir eine grüne Brille weglegen, die Gegenstände mit einem rötlichen Schein überglänzt. Ich sollte daher glauben, daß es nicht wohlgetan sei, zu Schonung der Augen sich grüner Gläser, oder grünen Papiers zu bedienen, weil jede Farbspezifikation dem Auge Gewalt antut und das Organ zur Opposition nötigt.

56. Haben wir bisher die entgegengesetzten Farben sich einander sukzessiv auf der Retina fordern sehen, so bleibt uns noch übrig zu erfahren, daß diese gesetzliche Forderung auch simultan bestehen könne. Malt sich auf einem Teile der Netzhaut ein farbiges Bild, so findet sich der übrige Teil sogleich in einer Disposition, die bemerkten korrespondierenden Farben hervorzubringen. Setzt man obige Versuche fort und blickt zum Beispiel vor einer weißen Fläche auf ein gelbes Stück Papier, so ist der übrige Teil des Auges schon disponiert, auf gedachter farbloser Fläche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe ist nicht mächtig genug, jene Wirkung deutlich zu leisten. Bringt man aber auf eine gelbe Wand weiße Papiere, so wird man sie mit einem violetten Ton überzogen sehen.

57. Ob man gleich mit allen Farben diese Versuche anstellen kann, so sind doch besonders dazu Grün und Purpur zu empfehlen, weil diese Farben einander auffallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns diese Fälle häufig. Blickt ein grünes Papier durch gestreiften oder geblümten Musselin hindurch, so werden die Streifen oder Blumen rötlich erscheinen. Durch grüne Schaltern ein graues Haus gesehen, erscheint gleichfalls rötlich. Die Purpurfarbe an dem bewegten Meer ist auch eine geforderte Farbe. Der beleuchtete Teil der Wellen erscheint grün in seiner eigenen Farbe, und der beschattete in der entgegengesetzten purpurnen. Die verschiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch eine Öffnung roter oder grüner Vorhänge erscheinen die Gegenstände draußen mit der geforderten Farbe. Übrigens werden sich diese Erscheinungen dem Aufmerksamen überall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.

58. Haben wir das Simultane dieser Wirkungen bisher in den direkten Fällen kennen gelernt, so können wir solche auch in den umgekehrten bemerken. Nimmt man ein sehr lebhaft orange gefärbtes Stückchen Papier vor die weiße Fläche, so wird man, wenn man es scharf ansieht, das auf der übrigen Fläche geforderte Blau schwerlich gewahr werden. Nimmt man aber das orange Papier weg und erscheint an dessen Platz das blaue Scheinbild, so wird sich in dem Augenblick, da dieses völlig wirksam ist, die übrige Fläche, wie in einer Art von Wetterleuchten, mit einem rötlich gelben Schein überziehen und wird dem Beobachter die produktive Forderung dieser Gesetzlichkeit zum lebhaften Anschauen bringen.

59. Wie die geforderten Farben, da wo sie nicht sind, neben und nach der fordernden leicht erscheinen, so werden sie erhöht, da wo sie sind. In einem Hofe, der mit grauen Kalksteinen gepflastert und mit Gras durchwachsen war, erschien das Gras von einer unendlich schönen Grüne, als Abendwolken einen rötlichen kaum bemerklichen Schein auf das Pflaster warfen. Im umgekehrten Falle sieht derjenige, der bei einer mittleren Helle des Himmels auf Wiesen wandelt und nichts als Grün vor sich sieht, öfters die Baumstämme und Wege mit einem rötlichen Scheine leuchten. Bei Landschaftmalern, besonders denjenigen, die mit Aquarellfarben arbeiten, kommt dieser Ton öfters vor. Wahrscheinlich sehen sie ihn in der Natur, ahmen ihn unbewußt nach und ihre Arbeit wird als unnatürlich getadelt.

60. Diese Phänomene sind von der größten Wichtigkeit, indem sie uns auf die Gesetze des Sehens hindeuten und zu künftiger Betrachtung der Farben eine notwendige Vorbereitung sind. Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schließt in sich selbst den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rote und Blaue; im Orange das Gelbe und Rote, dem das Blaue entspricht; das Grüne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rote, und so in allen Abstufungen der verschiedensten Mischungen. Daß man in diesem Falle genötigt werde, drei Hauptfarben anzunehmen, ist schon früher von den Beobachtern bemerkt worden.

61. Wenn in der Totalität die Elemente, woraus sie zusammenwächst, noch bemerklich sind, nennen wir sie billig Harmonie, und wie die Lehre von der Harmonie der Farben sich aus diesen Phänomenen herleite, wie nur durch diese Eigenschaften die Farbe fähig sei, zu ästhetischem Gebrauch angewendet zu werden, muß sich in der Folge zeigen, wenn wir den ganzen Kreis der Beobachtungen durchlaufen haben und auf den Punkt, wovon wir ausgegangen sind, zurückkehren.


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