XXVI. Kastor und Pollux


Apollo und Merkur.

 

APOLLO. Kannst du mir sagen, Merkur, wer von diesen beiden der Kastor und wer der Pollux ist? Denn ich sehe nichts an ihnen, wodurch ich sie unterscheiden könnte.

MERKUR. Der, der den gestrigen Tag bei uns zubrachte, war Kastor, und dieser hier ist Pollux.

APOLLO. Aber woran erkennest du das, da sie einander so gleich sehen?

MERKUR. An den Narben, die dieser hier im Gesichte hat, von den Wunden, die er im Faustkampf von seinen Gegnern bekommen hat, besonders von Amykus, dem Fürsten der Bebryzier, als er mit Jason nach Kolchis schiffte. Der andere hingegen ist im ganzen Gesichte glatt und unbeschädigt.

APOLLO. Ich bin dir verbunden, daß du mich über diesen Punkt ins klare gesetzt hast: denn alles übrige, das halbe Ei auf ihrem Kopfe, der Stern darüber und der Wurfspieß in der Hand und die weißen Pferde, worauf sie reiten, gibt ihnen eine so große Gleichheit, daß es mir oft begegnet ist, den Kastor Pollux und den Pollux Kastor zu nennen, wenn ich sie anredete. Nun erkläre mir nur noch eins: Woher kommt es, daß sie nie beide zugleich bei uns sind, sondern immer miteinander abwechseln, so daß einer um den andern ein Gott und morgen wieder ein Toter ist?

MERKUR. Ihre außerordentliche brüderliche Liebe hat sie dazu gebracht. Denn da es nun einmal nicht anders sein konnte, als daß einer von Ledas Söhnen sterblich und der andere unsterblich sein mußte, so haben sie sich auf diese Weise in die Unsterblichkeit geteilt.

APOLLO. Das haben sie nicht gut gemacht, deucht mich: denn da vermöge dieser Teilung der eine allezeit bei den Göttern lebt, wenn der andre unter den Toten ist, so bekommen sie einander nicht einmal zu sehen, und doch war das vermutlich gerade, was sie am meisten wünschten. Übrigens da ich selbst wahrsage, Äskulapius kuriert, du im Ringen Unterricht gibst und der beste Fechtmeister bist, Diana die Hebamme macht und alle übrige unter uns irgendeine den Göttern oder den Menschen nützliche Kunst treiben: was werden denn diese beide für ein Amt bekommen? Oder sollen sie uns etwa müßig Nektar und Ambrosia verschmausen helfen, da sie doch schon so große Bengel sind?

MERKUR. Keineswegs; es ist ihnen aufgetragen worden, bei Neptun Dienste zu tun, auf dem Meere herumzureiten, und wo sie irgendwo einen Seefahrer in Gefahr sehen, sich auf das Schiff zu setzen und es wohlgeborgen in einen Hafen zu geleiten.

APOLLO. Das laß ich gelten, Merkur: da werden sie ein edles und heilsames Handwerk treiben!


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