XXIII. Seltsame Ungleichheit dreier Söhne der Liebesgöttin


Apollo und Bacchus.

 

APOLLO. Wer sollte wohl glauben, Dionysus, daß Amor, Hermaphrodit und Priap liebliche Brüder von ebenderselben Mutter sein könnten? Sie, die an Gestalt, Sinnesart und Lebensweise einander so sehr ungleich sind! Denn der erste ist alles, was man schön nennen kann, und weiß den Bogen zu führen und ist mit einer Macht bekleidet, wodurch er Herr der ganzen Welt ist; der andere ist weibisch, nur ein halber Mann und sieht so zweideutig aus, daß man auf den ersten Blick nicht entscheiden kann, ob er ein Jüngling oder ein Mädchen sei; Priap hingegen, der ist sogar mehr Mannes, als sich geziemet.

BACCHUS. Das ist so wunderbar nicht, wie du denkst, Apollo; daran ist Venus nicht schuld, sondern die Verschiedenheit der Väter. Begegnet es doch zuweilen, daß ebendieselbe Mutter von einem Vater mit Zwillingen von verschiedenem Geschlechte niederkommt, wie bei dir und Dianen der Fall war.

APOLLO. Das ist wohl wahr; aber wir sind einander doch ähnlich und treiben einerlei Handwerk; denn wir sind beide Bogenschützen.

BACCHUS. So weit geht auch bloß die Ähnlichkeit: denn Diana schlachtet bei den Skythen die Fremdlinge, du hingegen bist Wahrsager und Arzt.

APOLLO. Bilde dir nicht ein, daß meine Schwester eine so große Freude an den Skythen habe! Sie ist dem Metzeln so gram, daß sie schon darauf gefaßt ist, mit dem ersten Griechen, den der Zufall nach Taurien führen wird, davonzugehen.

BACCHUS. Da wird sie wohl dran tun! Aber wieder auf Priapen zu kommen, von dem muß ich dir was Lustiges erzählen. Neulich, da ich zu Lampsakus war, nahm ich mein Quartier bei ihm; er bewirtete mich nach seinem besten Vermögen, und wir begaben uns endlich zur Ruhe, nachdem wir der Flasche tapfer zugesprochen hatten. Mitten in der Nacht steht mein Herr Urian auf, und – ich schäme mich, weiter zu erzählen.

APOLLO. Ich verstehe – Und was tatest du?

BACCHUS. Was hätt ich tun sollen? Ich lachte ihn aus.

APOLLO. Das war schön an dir, daß du die Sache nicht ernsthaft nahmst und kein Spektakel deswegen anfingst. Es ist ihm zu verzeihen, daß er bei einem so schönen Jüngling wie du sein Glück versuchen wollte.

BACCHUS. Da hätte er noch mehr Ursache, Apollo, dir eine solche Ehre anzutun; deine Schönheit und deine goldnen Locken wären vermögend, einen Priap dahin zu bringen, daß er sogar nüchtern Hand an dich legt.

APOLLO. Das wird er sich wohl nicht gelüsten lassen, Dionysus: ich führe, außer meinem schönen Haar, auch Pfeil und Bogen zu seinen Diensten.


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