Erscheinung - Fichte, Schelling, Hegel


Nach BECK sind Erscheinungen »die Objekte unserer Erkenntnis, die auf uns wirken und Empfindungen in uns hervorbringen« (Erl. Ausz. III, 159). Was nach Wegfall aller Intelligenzen von der Außenwelt noch bliebe, ist unerfindlich (l.c. S. 399). Bei J. G. FICHTE wird die Erscheinung ganz Subjektiv, zum Produkte der Tätigkeit des Ich (s. d.). - Bei den extremen Neukantianern sind die Erscheinungen nichts als kategorial (s. d.) verknüpfte Erfahrungsinhalte (NATORP, H. COHEN u. a.). Der subjektive Idealismus (s. d.) kennt nichts als Erscheinungen im Bewußtsein. So z.B. BRADLEY. Nach HODGSON gibt es kein Ding an sich, »because there is no existence beyond consciousness« (Phil. of Refl. I, 219). »Our actual phenomenal world is a part of a larger, but still phenomenal world which we must conceive as possible, possible in our view, but actual to other modes of consciousness than ours« (l.c. I, 213). Ähnlich J. ST. MILL, B. BAIN u. a. Keinen Gegensatz von Erscheinung und Ding an sich kennt der Empiriokritizismus (s. d.), ferner die Immanenzphilosophie (s. d.). SCHUPPE Z.B. nennt die »Elemente des Gegebenen« auch »Erscheinungselemente«, dabei ist aber »Erscheinung nicht im Gegensatze zu dem wirklich Gegebenen, sondern eben im, Sinne desselben gemeint, in welchem das Wort sehr oft gebraucht wird«, als das »Sinnfällige« (Log. S. 79). Ähnlich E. MACH. Nach H CORNELIUS sind die Erscheinungen eins mit den Sinnesobjekten, sie sind von den Noumena (s. d.) nur relativ unterschieden: »Die Erscheinungen sind die einzelnen Fälle der in dem nooumenon gegebenen allgemeinen Regel« (Einl. in d. Philos. S. 263). Die Einzelerscheinung der Sinneswahrnehmung ist von der begrifflich fixierten, objektiven Erscheinung zu unterscheiden (Psychol. S. 246 ff.).

In mehr oder weniger bestimmter Weise wird die Erscheinung auf etwas in den Dingen an sich bezogen von verschiedenen Philosophen. BARDILI sieht in der Vorstellungswelt eine »Spiegelung« der »Wirklichkeitsverhältnisse« (Gr. d. erst. Log. S. 92). SCHELLING nennt Erscheinung das »relative Nichtsein des Besondern in Bezug auf das All« (WW. I 6, 187). Für HEGEL ist die »Erscheinung« nur ein Moment (s. d.) im dialektischen Prozesse der Wirklichkeit, deren Wesen durch den Begriff erfaßt wird. Erscheinung ist »das Wesen in seiner Existenz« (Log. II, 144). »Das Wesen muß erscheinen. Sein Scheinen in ihm ist das Aufheben seiner zur Unmittelbarkeit, welche als Reflexion-in-sich so Bestehen (Materie) ist, als sie Form, Reflexion-in-anderes, sich aufhebendes Bestehen ist. Das Scheinen ist die Bestimmung, wodurch das Wesen nicht Sein, sondern Wesen ist, und das entwickelte Scheinen ist die Erscheinung. Das Wesen ist daher nicht hinter oder jenseits der Erscheinung, sondern dadurch, daß das Wesen es ist, welches existiert, ist die Existenz Erscheinung« (Encykl. § 131). »Erscheinung... heißt nichts anderes, als daß eine Realität existiert, jedoch nicht unmittelbar ihr Sein an ihr selbst hat, sondern in ihrem Dasein zugleich negativ gesetzt ist« (Ästh. I, 157). K. ROSENKRANZ erklärt: »Das Wesen setzt sich als Existenz; die Existenz setzt sich als ein Existierendes; das Existierende führt sich aber durch die Auflösung seiner Existenz in seinen Grund, in das gegen seine Existenz freie Wesen zurück. So ist die Existenz zur Erscheinung des Wesens geworden.« »Das Wesen ist es, welches erscheint« (Syst. d. Wiss. S. 64 ff.). HERBART nennt »objektiven Schein« den »Schein, der von jedem. einzelnen Objekte ein getreues Bild, wenn auch kein vollständiges, so doch ohne alle Täuschung dem Subjekte darstellt, daß bloß die Verbindung der mehreren Gegenstände eine Form annimmt, welche das zusammenfassende Subjekt sich muß gefallen lassen« (Met. II, S. 320). »Wie viel Schein, so viel Hindeutung aufs Sein« (l.c. S. 351). Ähnlich CASPARI (Zusammenh. d. Dinge S. 428). Nach BENEKE ist die Außenwelt Erscheinung einer geistigen Wirklichkeit (Log. II, 288). So auch nach SCHOPENHAUER der in den Dingen »Objektiäten« (Sichtbarwerdungen) des Ding an sich, des Willen (s. d.) sieht. »Objekt-sein und Erscheinung sind synonyme Begriffe« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 22). »Erscheinung heißt Vorstellung und weiter nichts: alle Vorstellung, welcher Art sie auch sei, alles Objekt ist Erscheinung« (l.c. § 2), ein subjektiver »Spiegel« des »An-sich« (l.c. § 29). Der »Wille« als Ding an sich »ist von seiner Erscheinung gänzlich verschieden und völlig frei von allen Formen derselben, in welche er erst eingeht, indem er erscheint« (l.c. § 23). Der Leib (s. d.) ist unmittelbare Erscheinung des Ding an sich. Auch J. H. FICHTE, FECHNER und PAULSEN betrachten die Außenwelt als (unmittelbare oder mittelbare) Erscheinung (»Selbsterscheinung«= Ich, ff. d.) einer geistigen Wirklichkeit, eines »Innenseins«. Erscheinung ist nach FECHNER nicht bloßer Schein, sondern objektiv durch die Welt ausgebreitet und schließt sich in einem einheitlichen Bewußtsein zusammen (Tagesans. S. 13). In der Erscheinung gibt sich das Ding selbst kund (vgl. Zend-Av.). A. LANGE bemerkt: »Je mehr sich das Ding an sich zu einer bloßen Vorstellung verflüchtigt, desto mehr gewinnt die Welt der Erscheinungen an Realität. Sie umfaßt überhaupt alles, was wir wirklich nennen können« (Gesch. d. Mat. II3, 49). Nach LOTZE, auch nach RENOUVIER spiegelt die Außenwelt bestimmte Verhältnisse im An-sich der Dinge subjektiv ab. Ähnlich (aber Subjektiver) A. LANGE (Gesch. d. Material. II3, 49), HELMHOLTZ (Tatsach. in d. Wahrn. S. 39), H. SPENCER, der im Materiellen ein »Symbol« des Absoluten erblickt. RIEHL erklärt: »Die mechanische Natur ist nicht die Natur an sich, sondern die Erscheinung der Natur für die äußeren Sinne« (Phil. Krit. II 2, 194). Die Erscheinungen sind abhängig von Wirklichkeiten, denen alle ihre Bestandteile der Empfindung wie die besonderen Formen der »Existenz und Sukzession entsprechen« (l.c. II 1, 22). »Das Subjekt und das Objekt in der Wahrnehmung ist Erscheinung, nicht bloße Vorstellung, und zwar Erscheinung in dem einzig verständlichen Sinne des Wortes, wonach dasselbe die Beziehung auf das, was erscheint, in seiner Bedeutung einschließt. Ich erkenne mich selbst, wie ich im Gegenverhältnis zu den Objekten meines Bewußtseins erscheine« (l.c. S. 152). Die Erscheinung bedeutet für uns mehr als das unbekannte Ding an sich, das ein bloßer »Grenzbegriff« ist (l.c. S. 29). Nach WUNDT sind die Objekte der Außenwelt, da sie nur »mittelbare Realität« haben, in begrifflichen Symbolen erkannt werden, Erscheinungen, das denkende Subjekt aber ist nicht Erscheinung (Log. I2, S. 549, 552, 555; Syst. d. Philos.2, S. 143 ff.). Raum und Zeit haben ein Korrelat im Ding an sich, das geistiger Art, Wille (s. d.) ist. Im Gegensatz zum Materialismus (s. d.) betont BERGMANN, das Bewußtsein könne nicht Erscheinung sein, »denn wenn es nicht wirklich da wäre, so könnte ihn auch nicht ein Bewußtseinsvorgang als Ton oder als Farbe oder als Wärme oder als Bewußtsein erscheinen« (Unters. üb. Hauptp. d. Philos. S. 336). So auch L. BUSSE (Geist u. Körp. S. 28 ff.). Nach CZOLBE erkennen wir die Dinge an sich durch hypothetische Schlüsse aus ihren Wahrnehmungen als »vielfach bewegte Atomkomplexe« (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 107). ULRICI bestimmt »Erscheinung« als das »unmittelbare Für-anderes-sein, welches zugleich das eigene Äußere, die eigene Form und Teilheit des Dinges ist, in welchem es aber zugleich unmittelbar auf anderes einwirkt und damit sein Dasein kundgibt« (Log. S. 333). ÜBERWEG erklärt: »Unsere Vorstellung von räumlichen Dingen und ihren Bewegungen ist das Resultat einer solchen Organisation unserer Empfindungsanlagen, welche die Harmonie) nicht Diskordanz zwischen dem An-sich und der Erscheinung in mathematisch-physikalischem Betracht ergibt« (Log.4, S. 87). E. v. HARTMANN unterscheidet die »Existenzformen« der Wirklichkeit von deren »Subsistenzform« (Krit. Grundleg. S. 159). Von den subjektiven sind die »objektiv-realen Erscheinungen« zu unterscheiden, in denen sich das Wesen der Dinge durch eine bestimmte Tätigkeit oder Kraftäußerung unmittelbar manifestiert (Mod. Psychol. S. 332, s. Realismus). R. STEINER nennt Erscheinung »die Weise, in der uns die Welt entgegentritt, bevor sie durch das Erkennen ihre rechte Gestalt gewonnen hat, die Welt der Empfindung im Gegensatz zu der aus Wahrnehmung und Begriff einheitlich zusammengesetzten Wesenheit« (Philos. d. Freih. S. 108). BRENTANO, UPHUES, H. SCHWARZ u. a. halten die Dinge der Außenwelt für objektiv fundierte Erscheinungen, so auch W. JERUSALEM. HUSSERL macht auf die verschiedene Bedeutung von »Erscheinung« aufmerksam (Log. Unt. II, 706 ff., vgl. 705, 328 f.). Vgl. Objekt, Realität, Phänomenalismus, Ding an sich, Tagesansicht, Wirklichkeit.


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