Aufmerksamkeit - Augustinus, Descartes, Kant


Die Aufmerksamkeit gilt zunächst als eine besondere Bewußtseinstätigkeit, deren die Klarwerdung, Erfassung eines Inhalts bedarf, oft geradezu als Willenstätigkeit. So schon bei AUGUSTINUS (s. Apperzeption), nachdem schon im Altertum besonders STRATO die bemerkende Funktion der Aufmerksamkeit hervorgehoben hatte (Plut., De soll. an. 3, 6). THOMAS unterscheidet »attentio actualis« und »attentio secundum virtutem« (4. sent. 15, 4, 2, 4c) und betont: »ad actum cuiuslibet cognoscitivae potentiae requiritur intentio« (Verit. 13, 3c); die intentio ist »actus voluntatis« (Verit. 22, 19 c). DESCARTES erklärt die Aufmerksamkeit durch den Einfluß des Willens auf das Seelenorgan. »Cum quis suam attentionem sistere vult in consideratione unius obiecti per aliquod tempus, haec voluntas per illud tempus retinet glandem inclinatam in eandem partem« (Pass. an. I, 43, p. 20). MALEBRANCHE: »Je sens que la lumière se repand dans mon esprit à proportion que je le désire et que je fais un certain effort que j'appelle attention« (Méd. chrét. I, 2). LOCKE betont, daß die Vorstellungen der inneren Erfahrung erst klar und deutlich werden, wenn der Verstand sich nach innen auf sie wendet, auf sie achtet (Ess. II, ch. 1, § 8). LEIBNIZ schreibt der Aufmerksamkeit eine bewußtmachende Wirksamkeit zu, durch sie werden die Perzeptionen zu Apperzeptionen (s. d.) (Nouv. Ess. Préf. u. II, ch. 9); ein Streben der Seele, von einer Perzeption zur andern überzugehen, liegt ihr zugrunde (»Percepturitio«, s. d. bei CHR. WOLF). Nach CHR. WOLF ist die Aufmerksamkeit »facultas efficiendi, ut in perceptione composita partialis una maiorem claritatem ceteris habeat« (Psych. emp. § 237). »Wir finden in der Seele ein Vermögen sowohl bei ihren Empfindungen als Einbildungen und allen übrigen Gedanken..., sich auf eines unter ihnen dergestalt zu richten, daß wir uns dessen mehr als des übrigen bewußt werden, das ist, zu machen, daß ein Gedanke mehr Klarheit bekommet, als die übrigen haben: welches wir die Aufmerksamkeit zu nennen pflegen« (Vern. Ged. I, § 268). BONNET faßt die Aufmerksamkeit als Reaktion der Seele auf die Wahrnehmungseindrücke in ihr auf. »L'âme peut par elle-même rendre très vire une impression très faible. En réagissant sur les fibres représentatives d'un certain objet, elle peut rendre plus fort ou plus durable le mouvement imprimé à ces fibres par l'objet, et cette faculté se nomme l'attention« (Ess. de Psych. C. 7). Im 18. Jahrhundert überhaupt wird unterschieden: äußerliche - innerliche, natürliche, unvorsätzliche - willkürliche, vorsätzliche Aufmerksamkeit. So unterscheidet PLATNER active und passive Aufmerksamkeit und definiert die Aufmerksamkeit als »diejenige Tätigkeit der Seele, durch welche sie den innern Eindruck wahrnimmt« (Phil. Aph. I, 157). REID erblickt in der Aufmerksamkeit eine Willenshandlung (Inqu. 2, sct. 10). TH. BROWN erklärt: »Attention to objekts of sense appears to be nothing more than the coexistence of desire with the perception of the objekt« (Phil. of the Hum. Mind, Lect. 31). Nach KANT ist das Aufmerken ein »Bestreben, sich seiner Vorstellungen bewußt zu werden« (Anthr. I, § 3). Nach CHR. E. SCHMID ist die Aufmerksamkeit »der Zustand, wo die Vorstellungskraft in Bezug auf den Stoff vorhandener Vorstellungen tätig ist« (Emp. Psych. S. 227). - M. DE BIRAN bestimmt die Aufmerksamkeit als Willenshandlung. »J'appelle attention ce degré de l'effort supérieur à celui qui constitue l'état de veille des divers sens externes et les rend simplement aptes à percevoir ou à représenter confusément les objekts qui viennent les frapper. Le degré supérieur dont il s'agit est déterminé par une volonté positive et expresse qui s'applique à rendre plus distincte une perception d'abord confuse, en l'isolant, pour ainsi dire, de toutes les impressions collatérales qui tendent à l'obscurir« (Oeuvr. inéd. II, p. 86, 88). RENOUVIER: » L'attention est une volonté de s'arrêter à la considération d'un objet et de ses rapports au lieu de suivre le cours naturel des associations« (Nouv. Monadol. p. 97).

Nach FRIES bedeutet Aufmerken »willkürliche innere Wahrnehmung unserer Tätigkeiten«. Aufmerksamkeit ist die »Assoziation unserer Willensbestimmung mit gewissen Vorstellungen, wodurch eben die Vorstellungen, für die ich mich interessiere, die ich haben will, lebhafter werden und leichter wahrgenommen werden« (Syst. d. Log. S. 66). SCHOPENHAUER sieht im Willen das, was »die Aufmerksamkeit zusammenhält« (W. a. W. u. V. Bd. II, C. 30). K. ROSENKRANZ: »Das Aufmerken ist derjenige Akt der Intelligenz, wodurch sie sich die Richtung auf sich selbst in ihrem Gefühl gibt« (Psychol.3, S. 332). JACOB: »Wir bemerken ein Bestreben in uns, sobald Wahrnehmungen da sind, uns diese klar vorzustellen. Dieses Bestreben nennt man Aufmerksamkeit« (Gr. d. Erfahrungsseel. S. 206). Als Tätigkeit bestimmen die Aufmerksamkeit BENEKE (Lehrb. d. Psychol.) und LOTZE (Med. Psychol.), auch BOLZANO (Wiss. III, 86). Nach FECHNER ist die Aufmerksamkeit eine psychische Tätigkeit, die sich auf psychische Phänomene jeder Art beziehen kann, und die durch ein Gefühl der Selbsttätigkeit charakterisiert werden kann (Phil. Stud. IV, S. 207). Fechner gibt eine genaue Schilderung der im Gefolge der Aufmerksamkeit auftretenden Bewußtseinsvorgänge (Psychophys. II, 475 ff.). Die Aufmerksamkeit ist dieselbe Tätigkeit, welche im Willen wirksam ist (l.c. II2, 450). Als Willenstatsache faßt die Aufmerksamkeit HÖFFDING auf (Psychol. S. 160, 431). Nach TÖNNIES ist die Aufmerksamkeit »wesentlich bedingt durch die vorhandenen Antriebe und deren Erregungszustand« (Gem. u. Gesell. S. 140). KREIBIG: »Die Aufmerksamkeit ist ein Wollen, das darauf gerichtet ist, einen äußeren Eindruck oder eine reproduzierte Vorstellung, beziehungsweise bestimmte Einzelheiten darin klar und deutlich bewußt zu machen« (Die Aufm. als Willensersch. S. 2, vgl. S. 68, 76 ff. 83 ff.). Hier ist auch UEBERHORST (Wes. d. Aufm.: Arch. f. syst. Philos. IV) zu erwähnen. R. WAHLE bestimmt die Aufmerksamkeit als » Erreichenwollen eines Wissens« (D. Ganze d. Philos. S. 372 ff.) PREYER: »Jeder Willensakt erfordert Aufmerksamkeit, und jede Konzentration der Aufmerksamkeit ist ein Willensakt« (Seele d. Kind. S. 223). HODGSON bemerkt: »Attention, when guided by a propose, is an exercise of volition« (Phil. of Reflect. I, 291; so auch MANSEL, Letters... p. 48). Als aktives Bewußtsein faßt die Aufmerksamkeit auf STOUT (Anal. Psychol. II, C. 283), auch J. WARD. JAMES erklärt, Aufmerksamkeit sei »the taking possession by the mind, in clear and vivid form, of one out of what seem several simultaneously possible objekts or trains of thought. Focalization, concentration of consciousness are of its essence« (Princ. of Psychol. I, 404; 434, 441, 446). Eine spezifische Aktivität ist die Aufmerksamkeit nicht (vgl. l.c. C. 11, 14). So auch BRADLEY (Mind XI, 1886, p. 322). Als aktive, auswählende, bewußtseinssteigernde Tätigkeit faßt die Aufmerksamkeit SULLY auf (Hum. Mind C. 6, Handb. d. Psychol. S. 101 ff.; vgl. BALDWIN, Handb. of Psych. I). Nach E. v. HARTMANN ist sie mit dem Wollen verwandt, physiologisch »ein zentrifugaler Innervationsstrom, der die Erregbarkeit der getroffenen Endorgane erhöht oder herabsetzt« (Mod. Psych. S. 201). Sie deckt sich mit der Apperzeption (s. d.). - WUNDT bestimmt die Aufmerksamkeit als »die Gesamtheit der mit der Apperzeption von Vorstellungen verbundenen subjektiven Vorgänge« (Vorles.2, S. 267), als »den durch eigentümliche Gefühle charakterisierten Zustand, der die klarere Auffassung eines psychischen Inhalts begleitet« (Gr. d. Psych.5, S. 249). Es eignen sich besonders zusammengesetzte räumliche Vorstellungen dazu, um ein Maß für den Umfang der Aufmerksamkeit zu gewinnen (l.c. S. 251). Diese Versuche ergeben je nach den besonderen Bedingungen einen Spielraum zwischen 6 und 12 Eindrücken (l.c. S. 252). Die »sukzessive Bewegung der Aufmerksamkeit über eine Vielheit psychischer Inhalte« scheint ein »periodischer Vorgang zu sein, der aus einer Mehrzahl aufeinander folgender Apperzeptionsacte besteht« (l.c. S. 254). Die Aufmerksamkeitsvorgänge sind »innere Willensprocesse«, Triebund Willküracte (l.c. S. 261 f.). Der Tätigkeitscharakter der Aufmerksamkeit liegt nicht in einem besonderen Vermögen, sondern in dem Bewußtseinszusammenhange, der sie konstituiert (Grdz. d. phys. Psych. II4, 266 f.; Phil. Stud. II, 33; Log. II2, 2, 265 f.). Die Aufmerksamkeit wird teils durch äußere Reize, teils durch innere Einflüsse gelenkt. Ihre Adaptation an den Reiz bekundet sich in Spannungsempfindungen (Grdz. d. phys. Psych. II4, 269 ff., Phil. Stud. II, 34). Der Gesamtprozess der Aufmerksamkeit und Apperzeption (s. d.) besteht in: 1) einer Klarheitszunahme, verbunden mit Tätigkeitsgefühl, 2) einer Hemmumg anderer disponibler Eindrücke, 3) in Spannungsempfindungen mit verstärkenden sinnlichen Gefühlen, 4) einer verstärkenden Wirkung der Spannungsempfindungen auf die Vorstellungsinhalte durch »assoziative Miterregung«. Die unter der Mitwirkung der Aufmerksamkeit zustande kommenden Vorstellungsverbindungen heißen Apperzeptionsverbindungen (s. d.). Die Leistungen der Aufmerksamkeit sind in einer Beziehung Hemmungsprocesse. Das nimmt auch KÜLPE an (Gr. d. Psych. S. 460). Die Aufmerksamkeit ist nichts neben den Bewußtseinsinhalten Gegebenes (l.c. S. 439 f.), sondern »ein allgemeiner Zustand des Bewußtseins..., dessen Bedingungen freilich außerhalb der wechselnden Inhalte, die in ihn geraten, gesucht werden müssen« (l.c. S. 440 f.). Die Wirkungen der Aufmerksamkeit bestehen in einer Vergrößerung der Empfindlichkeit und Unterschiedsempfindlichkeit (l.c. S. 444 f.), der Reproduktions-Tendenz und -Treue (l.c. S. 445), in einer Herabsetzung oder Elimination der Gefühle, in einer Verfeinerung der Analyse, einer Verschmelzung (l.c. S. 446), in einer Beeinflussung des zeitlichen Verlaufs der Bewußtseinsinhalte (l.c. S. 447). Die Begleiterscheinungen der Aufmerksamkeit werden von Külpe aufgezählt (l.c. S. 448 ff.) und die Bedingungen der Aufmerksamkeit erörtert (l.c. S. 452 ff.): I. äußere Bedingungen, a. motorische, b. sensorische; II. innere Bedingungen, a. Gefühlswirkung eines Eindrucks = Interesses, b. Beziehung zur psychophys. Disposition. Ähnlich wie WUNDT lehrt G. VILLA (Einl. in d. Psychol. S. 284). Vgl. N. LANGE, Beiträge zur Theor. d. sinnl. Aufmerksamkeit (Philos. Stud. IV). Einen positiven psychophysischen Vorgang, der in der Unterstützung, Verstärkung einer vorhandenen Erregung, in der Steigerung der Disposition für die erwartete Erregung besteht, erblickt in der Aufmerksamkeit G. E. MÜLLER (Zur Theor. d. sinnl. Aufm. 1873); PILZECKER (Lehre von d. sinnl. Aufm. 1889) schließt sich der späteren Ansicht Müllers betreffs der Aufmerksamkeit an. A. HÖFLER definiert: »Aufmerken heißt: bereit sein zu psychischer Arbeit, nämlich speziell zu intellektueller Arbeit« (Psych. Arb. S. 100). EHRENFELS bestimmt die Aufmerksamkeit als »eine innere Willens- oder Strebenshandlung mit dem Zweck, gewisse Vorstellungen in das Gebiet der Lucidität hereinzuziehen, respektive ihnen jenes Merkmal in relativ höherem Maße zuzuwenden« (Syst. d. Werttheor. I, 253 ff.). JODL sieht in der Aufmerksamkeit ein Willensphänomen, einen Akt der Spontaneïtät, der Auswahl, der Bevorzugung. Sie ist »Fixierung des Bewußtseins auf einen bestimmten Inhalt oder Eindruck, welcher eben dadurch vermöge der Enge des Bewußtseins andere Inhalte verdunkelt und aus dem Bewußtsein drängt« (Lehrb. d. Psych. S. 437, 438 ff., 501 ff.). Es gibt sinnliche und repräsentative, aktive und passive Aufmerksamkeit (ib.). Nach G. OPPENHEIMER besteht der Aufmerksamkeitsvorgang »in der Vorbereitung von gewissen Sinneszellen oder einem Komplexe von solchen, die eine Vorstellung bewirken können, zur Aufnahme einer neuen Sinnesempfindung oder Vorstellung« (Phys. d. Gef. S. 103). Es befinden sich hier »gewisse Rindenzellen in einem Zustand erhöhter Erregbarkeit«, in welchem ein kleiner Zuwachs des Reizes große Wirkungen erzeugen kann (l.c. S. 104 ff.). MÜNSTERBERG nimmt den Standpunkt der » Aktionstheorie« (s. d.) ein: »Unbemerkt bleibt das, wofür die Handlung nicht vorbereitet ist, bis die Stärke der Erregung die Handlung erzwingt; von der Aufmerksamkeit erfaßt dagegen ist das, was die Bedingungen der motorischen Entladung bereit findet« (Grdz. d. Psych. I, S. 560). Ähnlich KROELL (Wes. d. Seel. S. 58).


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