Allgemein - Universalistischer Nominalismus


Der Nominalismus in seiner extremen Form behauptet, die Universalien seien bloße »nomina, flatus vocis«, nicht einmal im Bewußtsein des Erkennenden gebe es ein Allgemeines. Der gemäßigte Nominalismus oder Konzeptualismus hingegen setzt das Allgemeine in Allgemeinbegriffe (»conceptus universales«); es hat Existenz, aber nur im Bewußtsein. Schon ANTISTHENES soll gelehrt haben, es gebe kein Allgemeines für sich, z.B. keine Pferdheit, nur einzelne Pferde (Prantl, G. d. L. I, 32). Die Stoiker halten die Ideen (s. d.) oder Gattungsbegriffe nur für subjektive Gedanken. To ennoêmata... mête tina einai mête poia, hôsanei de tina kai hôsanei poia phantasmata psychês. tauta de hypo tôn archaiôn ideas prosagoreuesthai... tauta de hoi stôikoi philosophoi phasin anyparktous einai, kai tôn men ennoêmatôn metechein hêmas, tôn de ptôseôn, has dê prosêgorias kalousi, tynchanein (Stob. Ecl. I, 12, 332); ennoêmata de esti phantasma dianoias, oute ti on oute poion, hôsanei de ti on hôsanei poion (Diog. L. VII 1, 61); outina ta koina par' autous legetai (Simpl. in Categ. f. 26c). Nach KLEANTHES sind die Ideen nicht einmal ennoêmata (Stein, Psych. d. St. II, 293). Auch nach ALEXANDER VON APHRODISIAS sind die Universalien nur im Denken (De an. 139b).

Im Sinne des Nominalismus lehrt schon MARCIANUS CAPELLA. Begründer des scholastischen Nominalismus ist ROSCELLINUS. Von den Nominalisten berichtet ANSELM: »Illi utique nostri temporis dialectici... qui nonnisi flatum vocis putant esse universales substantias« (Prantl, G. d. L. II, 78) und JOH. VON SALISBURY: »Fuerunt et qui voces ipsas genera dicerent et species, sed eorum iam explosa sententia est, et facile cum auctore suo evanuit« (I, p. 266). Nach ABAELARD bestehen die Universalien nur in den »sermones« (»Sermonismus«), da das Prädikat eines Dinges nicht selbst ein Ding sein könne, sondern nur das, »quod de pluribus natum est praedicari« (Prantl II, 181 ff.). »Est sermo praedicabilis« (vgl. Joh. Sarebb., Metal. II, 17). ALGAZEL: »Esse autem universale non est nisi in intellectibus« (Ritter VIII, 69). Nach ROGER BACON ist das Allgemeine nur eine »convenientia plurium individuorum«; »singulare est melius quam universale« (Op. m. p. 383; Prantl, G. d. L. III, 126). Der Erneuerer des Nominalismus, WILHELM VON OCCAM, hält die Universalien für subjektive Begriffe, Zusammenfassungen von Ähnlichkeiten der Dinge. Das Wort, die »significatio«, stellt das Allgemeine im Denken her. »Dicendum est, quod quodlibet universale est una res singularis et ideo non est universale nisi per significationem, quia est signum plurium... Universale est una intentio singularis ipsius animae nata praedicari de pluribus, non pro se, sed pro ipsis rebus« (Log. I, 14). Die Universalien sind »ficta quibus in esse reali correspondent vel correspondere possunt consimilia« (Prantl, G. d. L. III, 337). »Universale non est figmentum tale, cui non correspondet aliquid consimile in esse subiectivo, quale illud fingitur in esse obiectivo« (l.c. S. 358). »Nullum universale est extra animam existens realiter in substantiis individuis nec est de substantia vel esse earum, sed universaliter est tantum in anima, quia de pluribus est praedicabilis non pro se, sed pro rebus, quas significat« (l.c. S. 346). Die Universalien entstehen im Bewußtsein ohne Spontaneität des Denkens. »Universalia et intentiones secundae causantur naturaliter sine omni activitate intellectus et voluntatis a notitiis incomplexis terminorum per istam viam, quia primo cognosco aliqua singularia in particulari intuitive vel abstractive« (l.c. S 346). G. BIEL: »Universale est conceptus mentis, i.e. actus cognoscendi, qui est vera qualitas in anima et res singularis, significans univoce plura singularia aeque primo negative naturaliter proprie« (Coll. I, d. 2, qu. 8). Das Universale ist »quoddam fictum ab intellectu habens tantum esse obiectivum in anima« (In l. sent. d. 2, qu. 8). J. BURIDAN: »Genera et species non sunt nisi terrnini apud animam existentes vel etiam termini vocales aut scripti« (Prantl, G. d. L. IV, 16). Nach M. N1ZOLIUS ist das Allgemeine nur ein Collectivname, die Comprehension einer Mehrheit von Dingen (De ver. princ. I, 4-7, III, 7).

DESCARTES erklärt das Universale für einen »rnodus cogitandi« (Pr. ph. I, 58). »Fiunt haec universalia ex eo tantum, quod unum et eadem idea utamur ad omnia indivdua, quae inter se similia sunt, cogitanda: Ut etiam unum et idem nomen omnibus rebus per ideam istam repraesentatis imponimus; quod nomen est universale« (l.c. 59). Nach SPINOZA entstehen Universalbegriffe, »quia in corpore humano tot imagines, ex. gr. hominum formantur simul, ut vim imaginandi non quidem penitus, sed eo usque tamen superent, ut singulorum parvas differentias.., eorumque determinatum numerum mens imaginari nequeat, et id tantum, in quo omnes, quatenus corpus ab iisdem afficitur, conveniunt, distincte imagitnetur; nam ab eo corpus, maxime scilicet ab unoquoque singulari, affectum fuit, atque hoc nomine hominis exprimit, hocque de infinitis singularibus praedicat« (Eth. II, prop. XL, schol. I). Nach LEIBNIZ ist das Allgemeine nur in unserem Denken, zur Bezeichnung ähnlicher Dinge (Erdm. p. 305, 398, 439). Wirklich ist nur das Individuum (s. Monade). CHR. WOLF: »Notiones universales sunt notiones similitudinum inter res plures intercedentium« (Phil. rat. §. 54). »Genera et species non existunt, nisi in individuis« (l.c. § 56; Psych. rat. § 393). »Ens universale est, quod omnino determinatum non est, seu quod tantummodo continet determinationes intrinsecas communes pluribus singularibus, exclusis iis, quae in individuis diversae sunt« (Ont. § 230). Der »allgemeine Begriff« entsteht durch Abstraction des mehreren Dingen Gemeinsamen (Vern. Ged. von d. Kr. d. m. V.9, S. 36). HOBBES setzt das Allgemeine in die Namen, welche ähnliche Dinge bezeichnen (De corp. C. 2, 10; Hum. nat. C. 5, p. 22). LOCKE: »Die Vorstellungen sind allgemeine, wenn sie als die Darstellungen vieler einzelner Dinge aufgestellt sind. Aber Allgemeinheit gehört nicht den Dingen selbst an, vielmehr sind diese, als daseiende, sämtlich einzelne, und dies gilt selbst bei den Worten und Vorstellungen, deren Bedeutung eine allgemeine ist. Verläßt man daher das Einzelne, so ist das Allgemeine, das übrigbleibt, nur ein von uns selbst gemachtes Geschöpf; seine allgemeine Natur ist nur die von dem Verstande ihm beigelegte Fähigkeit, vieles Einzelne zu bezeichnen und darzustellen; seine Bedeutung ist nur eine Beziehung, die ihm von der Seele zugegeben ist« (Ess. III, ch. 3, § 11). Die Genera und Species sind ein Produkt des Denkens, dem Ähnlichkeiten in den Dingen selbst entsprechen (l.c. §13). Entschiedener Nominalist ist BERKELEY. Nach ihm gibt es nicht einmal allgemeine Ideen, sondern Allgemeinheit besteht nur in den Zeichen für mehrere Einzelideen, deren jede durch das Wort besonders im Bewußtsein angeregt wird (Princ. XV, XI). So auch HUME (Treat. sct. 7), JAMES MILL (Anal.c. 15). HERBART erblickt im Allgemeinen nur eine »Abbreviatur, zur Bequemlichkeit, ohne irgend eine eigene Bedeutung« (Met. Il, 417). Begriffliche Allgemeinheit ist ein logisches Ideal (Lehrb. z. Psych.3, S. 127). KANT betont, daß die wahre (im Unterschiede von der bloß »komparativen«, induktiven) Allgemeinheit (= Allgemeingültigkeit) a priori (s. d.) sei, durch das Denken selbst gesetzt, nicht erfahren sei. Die Erfahrung »sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendigerweise, so und nicht anders, sein müsse. Eben darum gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit« (Kr. d. r. V. S. 35). »Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und comparative Allgemeinheit (durch Induktion), so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme« (l.c. S. 648 f.). Schon früher bemerkt K.: »Si omnes spatii affectiones nonnisi per experientiam a relationibus externis mutuatae sunt, axiomatibus geometricis non inest universalitas, nisi comparativa« (De mund. sens. sct. 3, § 15). Daß die Allgemeinheit von Sätzen aus unserem Geiste stammt, betont WHEWELL (Phil. of In. I, 257 ff.). Nach G. SPICKER ist Allgemeinheit von Sätzen schon eine Folge der Notwendigkeit (Kant, Hume u. Berk. S. 177). Allgemeinheit kommt nicht nur apriorischen Erkenntnissen zu (l.c. S. 62). Unter »allgemein« ist zu verstehen »eine der Zahl nach bestimmte oder unbestimmte Menge gleichartiger Obiecte, die irgend ein Merkmal oder mehrere oder alle gleich sehr miteinander gemein haben«. »Etwas im allgemeinen betrachten, heißt also eine Eigenschaft oder ein Merkmal, das allen gleich wesentlich ist, betrachten« (l.c. S. 142). Nach WUNDT bedeutet die Allgemeinheit der Begriffe, daß »jeder Begriff in zahlreiche Urteilsacte als Element eingehen kann, und daß in diesen einzelnen Urteilen seine Beziehungen zu andern Begriffen bestimmt werden« (Log. I2, S. 95 ff.). RIEHL unterscheidet drei Arten des Allgemeinen: das Objektive, das Allgemeine als Schlußergebnis, das rationell Allgemeine, als Folge der Gewißheit eines Urteils (Phil. Krit. II, 1, S. 223 f.). E. MACH: »Den ›Generalien‹ kommt keine physikalische Realität zu, wohl aber eine physiologische« (Wärmelehre, S. 422). Nach BALDWIN ist das Allgemeine (Abstracte) kein Inhalt des Denkens, sondern »eine Haltung, eine Erwartung, eine motorische Tendenz. Es ist die Möglichkeit einer Reaktion, die gleichmäßig einer großen Menge von besonderen Erfahrungen dienen kann« (Entw. d. Geist. S. 308). Vgl. Allgemeinvorstellung, Allgemeingültig, Abstrakt, Begriff, Gattung.


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