Idee - Humboldt, Lamprecht, Wundt


W. V. HUMBOLDT versteht unter den Ideen »Formen« von relativer Immaterialität, welchen lebendige Wirksamkeit in der Geschichte zukommt (WW. VII, 12 ff.). Sie wirken in den Individuen. Nach L. V. RANKE. ist die Idee »göttlichen Ursprungs« (Histor.-polit. Zeitschr. II, 794). Die Idee wirkt als Kraft, Trieb (l.c. S. 805). Nach WACHSMUTH sind die Ideen außer Raum und Zeit, die konstanten Formen, Prinzipien, Gesetze der Ereignisse (Entwurf e. Theorie d. Gesch. 1820, S. 49 ff., 56). AHRENS bemerkt: »Alle die Menschheit in ihrem Leben und in ihrer Entwicklung bestimmenden Ideen, welche als höhere Lebenskräfte auf eine höchste und unbedingte Macht hinweisen, beherrschen lange Zeit die Menschen und Völker mehr unbewußt als instinktive Triebe und treten erst später immer klarer ins Bewußtsein« (Naturrecht I, 15). LAMPRECHT definiert die Ideen als »die Richtungen des psychischen Gesamtorganismus einer Zeit und eines geschichtlich abgegrenzten Teiles der Menschheit« (Was ist Culturgesch.? Dtsch. Zeitschr. f. Geschichtswiss. N. F. 1, 1896/97, S. 109). Die Ideen sind immanente Faktoren, entstehend durch »Applikation des menschlichen Denkens und Handelns auf die bestehenden Möglichkeiten des Handelns« (Alte u. neue Richtungen 1896, S. 55 f.). Ideen sind Agentien nur als psychologische Faktoren (l.c. S. 40). »Die geschichtliche Entwicklung vollzieht sich unter der fortwährenden Einwirkung des menschlichen Triebes, alle Ereignisse und Vorgänge nach Gesichtspunkten höherer Einheit zu ordnen: so erwachsen aus den Dingen die Ideen, und sie beherrschen als Forderungen und Ziele des Handelns einen Teil der Zukunft« (Dtsch. Gesch. II2, 355). Nach O. FLÜGEL bedeuten die Ideen »natürlich entstandene Gedanken und Entschlüsse«, »Zwecke und Motive« der Individuen (Ideal. u. Material. S. 180, 90 ff.). TH. LINDNER nennt Ideen »Gedanken, welche auf Erreichung eines bestimmten Zieles gerichtet sind«. »Sie sind der Ausfluß jeweiliger Verhältnisse, der Ausdruck vorhandener Bestrebungen.« »Wenn das Gefühl des Bedürfnisses ins Bewußtsein tritt und auf Befriedigung drängt, wird es zur Idee« (Geschichtsphilos. S. 25 f.). Alle Ideen sind vergänglich, stehen im gegenseitigen Kampfe (l.c. S. 28 ff.). Sie entstehen »individual, verbreiten sich kollektiv und werden wieder durch Individuen ausgeführt« (l.c. S. 61). »Indem die Ideen zur Befriedigung eines Bedürfnisses antreiben, werden sie Ursachen der geschichtlichen Entwicklung« (l.c. S. 88). Nach P. BARTH haben Gedanken einen direkten oder indirekten Einfluß auf das Leben (Philos. d. Gesch. I, S. 349). Es besteht eine Fortpflanzung der Ideen von Geschlecht zu Geschlecht (l.c. S. 557). Nach FOUILLÉE sind die Ideen treibende Kräfte des Geschehens, »idées-forces« (L'évol. des idées-forces). Nach LILIENFELD wirken in der Welt Ideen auf psychophysische Weise als leitende, herrschende, bestimmende Faktoren. Sie sind psychophysische Produkte und wirken auf das Ganze des sozialen Organismus zurück, ja über dieses hinaus (Gedank. üb. d. Socialwiss. III, 183; II, 403 f.; I, 56, 272). SCHÄFFLE sieht in den Ideen (des Rechts, der Moral u.s.w.) nicht primäre Kräfte, sondern sozialgenetische Produkte (Bau u. Leb. I, 569 f.; II, 103 f.), die aber großen sozialen Einfluß haben (l.c. II, 398). Nach RATZENHOFER entspringen die Ideen aus den Bedürfnissen. Sie haben einen »intellektuellen Kraftwert« (Polit. I, 27; Sociol. Erk. S. 316). Es gibt ein »Gesetz der Erhaltung der Energie der Ideen« (Sociol. Erk. S. 357). Nach GOLDFRIEDRICH wachsen die Ideen »mit unwillkürlicher und ungesuchter Notwendigkeit aus den sie veranlassenden Verhältnissen hervor. Sie entstehen nach dem Prinzip der Heterogonie der Zwecke«. Sie wirken »propellierend, organisierend und veredelnd«, sind »Prinzipien der Fortund Höherbewegung, der Reformation und Reorganisation«, wirken »organisierend, vereinheitlichend, festigend«. Sie »behaupten und breiten sich aus durch eine soziale Logik, d.h. dadurch, daß sie zuletzt der Masse conform sind; durch Propaganda, Verfolgung und Nachahmung und die Verbindung mit den eigennützigen Trieben« (Die histor. Ideenlehre in Deutschl. S. 521 ff.; daselbst Litteratur).

Nach H. SCHWARZ sind praktische Ideen »Gedankenbilder eines Besseren« (Psychol. d. Will. S. 122). Die objektive Gültigkeit der metsphysischen Ideen betont A. DORNER (Gr. d. Religionsphilos. S. 14 f.). Die Empirie selbst weist uns über sich auf eine überempirische Welt hinaus (l.c. S. 15; vgl. Das menschl. Erk. S. 39 f., 150 f., 296 f., 317 f.). - Nach WUNDT sind Ideen »Vorstellungen idealer Zwecke« (Eth.2, S. 510). Wundt prägt einen neuen Ideen-Begriff. Ideen sind Produkte des vernünftigen, begründenden Denkens, »ergänzende Gesichtspunkte« zu den Tatsachen der Erfahrung, die über diese hinausführen, mit einem Fortschritt ins Transzendente (s. d.), der die Richtung der Erfahrung einhält (Philos. Stud. VII, 13; Syst. d. Philos.2, S. 174 ff.). Die Vernunft erzeugt (als letzte Stufen der Bearbeitung des Erfahrungsmaterials) drei Arten Ideen: kosmologische, psychologische, ontologische Ideen (s. d.). Bei jeder dieser Ideen gibt es einen zweifachen Fortschritt (Regreß): der eine führt zur Idee einer unendlichen Totalität, der andere zur Idee einer absolut unteilbaren Einheit. Die kosmologischen Ideen haben eine »reale« und »imaginäre« Transzendenz, die psychologischen und ontologischen nur »imaginäre« Transzendenz (Syst. d. Philos.2, S. 198 ff., 200 ff.). Vgl. Ästhetik, Vorstellung, Begriff, Materialismus, Soziologie.


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