Idee - Kant, Schiller, Natorp


Einen neuen Sinn erhält »Idee« bei KANT. Sie ist hier ein letzter, abschließender, auf dem Schließen beruhender, ein Vernunftbegriff, dem kein Gegenstand in der (wirklichen oder möglichen) Erfahrung jemals entsprechen kann, der aber doch mehr ist als eine Fiction, indem er, als Unendlichkeitsbegriff, dazu dient, die Gesamtheit der (kategorial verarbeiteten) Erfahrungen abzuschließen, auf eine höchste, ideale Einheit zu beziehen. Ideen sind Begriffe von Unbedingtem, das zu allem Bedingten als letzte Bedingung gedacht wird, haben keinen »constitutiven« (s. d.), sondern nur »regulativen« (s. d.) Wert für die Erkenntnis. »Ideen sind Vernunftbegriffe, denen kein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann. Sie sind weder Anschauungen... noch Gefühle...; sondern Begriffe von einer Vollkommenheit, der man sich zwar immer nähern, sie aber nie vollständig erreichen kann« (Anthropol. I, § 41). »Eine Idee ist nichts anderes als der Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht vorfindet« (WW. VIII, 460). »Ideen in der allgemeinsten Bedeutung sind nach einem gewissen (subjektiven oder objektiven) Prinzipauf einen Gegenstand bezogene Vorstellungen, insofern sie doch nie Erkenntnis desselben werden können« (Krit. d. Urt. § 56). Die Vernunftidee ist ein »indemonstrabler« Begriff (ib.). »Die Idee ist ein Vernunftbegriff, dessen Gegenstand gar nicht in der Erfahrung kann angetroffen werden« (Log. S. 140), sie ist ein transzendenter (s. d.) Begriff. Sie »enthält das Urbild des Gebrauchs des Verstandes... als regulatives Prinzipzum Behuf des durchgängigen Zusammenhanges unseres empirischen Verstandesgebrauchs« (l.c. S. 141 f.). Ideen sind notwendige (Vernunft-) Begriffe, deren Gegenstand in keiner Erfahrung gegeben werden kann (Prolegom. § 40). Ihren Ursprung haben sie »in den drei Funktionen der Vernunftschlüsse«. »Der formale Unterschied der Vernunftschlüsse macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und disjunctive notwendig. Die darauf gegründeten Vernunftbegriffe enthalten also erstlich die Idee des selbständigen Subjekts (Substantiale), zweitens die Idee der vollständigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollständigen Begriffs des Möglichen« (l.c. § 43). »Die Form der Urteile... brachte Kategorien (s. d.) hervor, welche allen Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten. Ebenso können wir erwarten, daß die Form der Vernunftschlüsse, wenn man sie auf die synthetische Einheit der Anschauungen nach Maßgebung der Kategorien anwendet, den Ursprung besonderer Begriffe a priori enthalten werde, welche wir reine Vernunftbegriffe oder transzendentale Ideen nennen können« (Krit. d. r. Vern. S. 279). »So viele Arten des Verhältnisses es nun gibt, die der Verstand vermittelst der Kategorien sich vorstellt, so vielerlei reine Vernunftbegriffe wird es auch geben, und es wird also erstlich ein Unbedingtes der kategorischen Synthesis in einem Subjekt, zweitens der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe, drittens der disjunctiven Synthesis in einem System zu suchen sein« (l.c. S. 280). »Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann.« Die »transzendentalen Ideen« »betrachten alle Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch eine absolute Totalität der Bedingungen. Sie sind nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben und beziehen sich daher notwendigerweise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich transcendent und übersteigen die Grenze aller Erfahrung...« (l.c. S. 283). Unter den Ideen besteht ein Zusammenhang und eine Einheit, so daß vermittelst ihrer die Vernunft alle ihre Erkenntnisse in ein System bringt (l.c. S. 290). Die drei Ideen der Metaphysik sind: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. In allen diesen Ideen wird die »absolute Totalität« gefordert (l.c. S. 342). Die vier kosmologischen Ideen sind: »1) die absolute Vollständigkeit der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen; 2) die absolute Vollständigkeit der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung; 3) die absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt; 4) die absolute Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung« (l.c. S..-346). - Die ästhetische Idee ist eine »inexponible« (s. d.) Vorstellung der Einbildungskraft (Krit. d. Urt. § 56). Denn sie ist »eine einem gegebenen Begriffe beigesellte Vorstellung der Einbildungskraft, welche mit einer solchen Mannigfaltigkeit der Teilvorstellungen in dem freien Gebrauche derselben verbunden ist, daß für sie kein Ausdruck, der einen bestimmten Begriff bezeichnet, gefunden werden kann« (l.c. § 49). Sie ist »diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann« (ib.). Ästhetische »Normalidee« ist »das zwischen allen einzelnen, auf mancherlei Weise verschiedenen Anschauungen der Individuen schwebende Bild für die ganze Gattung, welche die Natur zum Urbild ihren Erzeugungen in derselben Spezies unterlegte, aber in keinem einzelnen völlig erreicht zu haben scheint« (l.c. § 17). Das Erhabene (s. d.) bestimmt das Gemüt, sich die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken (I. c. § 29). Den Begriff der Idee teilweise im Kantischen Sinne hat SCHILLER. Nach S. MAIMON ist die Vernunftidee »die formelle Vollständigkeit eines Begriffs« (Vers. üb. d. Transcend. S. 157). KRUG nennt Ideen die Vorstellungen der Vernunft (Handb. d. Philos. I, 300 ff.). REINHOLD bestimmt die Idee als »die Vorstellung, welche durch das Verbinden des gedachten (durch Begriffe vorgestellten) Mannigfaltigen entsteht« (Vers. e. n. Theor. II, 498). Nach JACOBI sind Ideen »Vorstellungen des im Gefühle allein Gegebenen« (WW. I1, 62). G. E. SCHULZE erklärt: »Betreffen die einzelnen Vorstellungen etwas, das entweder kein Gegenstand der Wahrnehmung sein kann, oder dessen Dasein in der Sinnenwelt doch noch ungewiß ist, so nennt man sie Ideen« (Allg. Log.3, S. 3). »Die Erzeugnisse der Vernunft werden Ideen genannt, wenn sie so weit ausgebildet worden sind, daß ihr Inhalt eine die Beschaffenheiten sinnlicher Dinge übertreffende Vollkommenheit ausdrückt« (Psych. Anthropol. S. 120 f.). E. REINHOLD versteht unter den Ideen »Kausalbegriffe der reinen Vernunfttätigkeit, in denen wir uns das Verhältnis des Ewigen, Beharrlichen, absolut Notwendigen, Allgemeinen und Einzelnen im Kausalzusammenhange der Wirklichkeit zum Entstandenen, Vergänglichen, bedingt Notwendigen, Besondern und Individuellen vergegenwärtigen« (Theor. d. meschl. Erk. II, 244). BENEKE versteht unter den Ideen oder »reinen Formenbegriffen« »Vorstellungen, in denen Gegenstände von einer Vollkommenheit, welche über alle Erfahrung hinausgeht, gedacht werden« (Lehrb. d. Psychol.3, § 297; Psychol. Skizz. II, 329 ff.). Nach TEICHMÜLLER sind die Ideen Schlüsse, logische Coordinatensysteme (N. Grdleg. S. 270). - Nach O. SCHNEIDER sind die Ideen »a priori; durch Anwendungen der apriorischen Stammbegriffe auf die apriorischen Eigenschaften unseres menschlichen Bewußtseins und Geistes... entstandene Begriffe« (Transcendentalpsychol. S. 139). Nach K. LASSWITZ ist Idee ein »Gesetz, welches die Richtung anweist, in der unsere Erfahrung sich entwickeln soll« (Wirklichkeit S. 152). Sie ist die »sicherste und höchste Realität« (l.c. S. 154). Nach H. COHEN ist die Idee »das Selbstbewußtsein des Begriffs. Sie ist der Logos des Begriffs; denn sie gibt Rechenschaft vom Begriff« (Log. S. 14). Die Ideen sind »Grundlegungen« des Seins (l.c. S. 18). Nach NATORP sind sie »reine Setzungen des Denkens«, »Methoden«, »Grundlagen zur Erforschung der Phänomene« (Platos Ideenlehre S. 215 u. ff.). A. RIEHL betont: »Ideen sind Aufgaben, Willensaufgaben, und allein als Ziele des Schaffens und Handelns müssen sie verstanden werden. Sie gelten, aber sie sind nicht« (Zur Einf. in d. Philos. S. 19). »Ideen sind Willensbegriffe, nicht Sachbegriffe« (l.c. S. 192). »Ideen sind nicht Erkenntnisbegriffe, sie fallen nicht in das Gebiet der theoretischen, sie gehören zum Bereich der praktischen Vernunft. Dort, wo die Erforschung von Objekten, die in der Erfahrung gegeben sind, unser Zweck ist, kann ihre Bedeutung nur eine ›regulative‹ sein, sofern sie die Bedingungen oder Regeln angeben, unter denen Einheit oder systematische Vollständigkeit des Wissens zu erzielen ist. Für die praktische Vernunft dagegen sind sie › constitutiv‹; sie selbst konstituieren die praktische Vernunft, sie selbst sind die Vernunft, die zugleich Wille ist« (l.c. S. 193).


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