A posteriori - Fichte, Schelling, Hegel


Teils in rein logischem, teils in überwiegend logischem Sinne fassen das a priori verschiedene Denker, die sich mehr oder weniger von Kant entfernen. J. G. FICHTE bestimmt das a priori als »ursprüngliche Bestimmung des Ich«, des »Ich als Intelligenz«, und damit auch der vom Ich produzierten Erkenntnisformen (Gr. d. g. W. S. 113). Ähnlich SCHELLING (Syst. d. tr. Id. S. 59 f.). Das ganze Wissen ist a priori, »insofern nämlich das Ich alles aus sich produziert«. Aber »insofern wir uns dieses Produzierens nicht bewußt sind, insofern ist in uns nichts a priori, sondern alles a posteriori« (l.c. S. 316). Ähnlich E. V. HARTMANN, dem es als erwiesen gilt, daß die Erkenntnis des a priori nicht selbst apriorischer Art ist (Kr. Grundl. Vorr. S. XVI). A priori bedeutet »vor Fertigstellung der Erfahrung«, »durch Abstraktion aus der vollendeten Erfahrung isoliert bewußt« (l.c. S. 125). Das a priori ist »ein vom Unbewußten Gesetztes, das nur als Resultat ins Bewußtsein fällt« (Phil. d. Unb.3, S. 275), es ist »die unbewußte synthetische Funktion« (Kr. Gr. S. 157 ff.), »das Prius alles Bewußtseinsinhalts« (Kateg. Vorr. S. VIII). Die fertigen Anschauungs- und Denkformen sind nicht apriorisch (Kr. Gr. S. 146 ff.). - Nach HEGEL kommt durch die apriorische Gesetzmäßigkeit des Denkens, die zugleich die des Seins ist, »immanenter Zusammenhang in den Inhalt der Wissenschaften« (Encykl. § 81). In aller Erkenntnis ist das »freie, in sich selbst reflectierte Denken« des a priori (l.c. § 12). SCHLEIERMACHER setzt das a priori in die formende und das Wissen vereinheitlichende Denktätigkeit (Dial. S. 63, 108, 387). TRENDELENBURG betrachtet als das a priori die ursprüngliche »Bewegung« des Denkens, die schon Bedingung der Erfahrung ist, ihr logisch vorangeht (Log. Unt. I2, S. 144 ff.). Es entwickelt sieh aus der »ursprünglichen Tat des Denkens« (l.c. S. 166 ff.). Aber die apriorischen Formen des Denkens sind nicht bloß Subjektiv, sondern zugleich objektiv; in den Kantschen Beweisen für die Subjektivität des Apriorischen ist eine »Lücke« (l.c. S. 162 ff.). LOTZE erblickt in der Form der Bewußtseinstätigkeit den apriorischen Faktor der Erkenntnis, dessen Kennzeichen Notwendigkeit und Allgemeinheit sind (Log. S. 526). Die apriorischen Wahrheiten drängen sieh uns mit einer Überzeugungskraft auf, welche jeden Beweis eigentlich überflüssig macht (l.c. S. 580). Erkenntnisse sind a priori, »weil sie nicht durch Induktion oder Summation aus ihren einzelnen Beispielen entstehen, sondern zuerst allgemeingültig gedacht werden und so als bestimmende Regeln diesen Beispielen vorangehen« (l.c. S. 582f.). Dieses logische a priori ist nicht angeboren, sondern besteht darin, daß wir uns seiner Weise überall unmittelbar bewußt werden (l.c. S. 580). Das »metaphysische« a priori besteht in der Bedingtheit der Erkenntnis durch die psychische Organisation (l.c. S. 521). Nach FROHSCHAMMER ist auch die apriorische Erkenntnis »erst im Naturprozeß und durch Entwicklung der menschlichen Natur allmählich gewonnen, insofern aus Gesetz und Formprinzip der menschliche Geist mit seiner Erkenntniskraft in Wechselwirkung mit den Naturverhältnissen sich gebildet hat. Hinwiederum ist auch die sog. aposteriorische oder empirische Erkenntnis ohne die rationale Begabung des Geistes als Grundlage nicht möglich« (Mon. u. Weltph. S. 66). Nach C. GÖRING gibt es weder ein a posteriori noch ein a priori, denn »das eine ist nicht früher als das andere, sondern der subjektive und der objektive Faktor sind gleichzeitig in der Erkenntnis verbunden« (Syst. d. krit. Philos. II, 248). Nach B. ERDMANN ist jeder Teil der Vorstellungen (Materie wie Form) »a priori, sofern die psychischen Tätigkeiten, die sie erzeugen, in Betracht kommen; jeder dieser Teile aber ist zugleich empirisch oder a posteriori, sofern auf die Bedingungen gesehen wird, welche seine Auslösung veranlassen« (Axiome d. Geom. S. 96). Es handelt sich nur um einen »Gegensatz der Betrachtungsweise« (ib.). Nach STEINTHAL ist »jede Erkenntnis zugleich apriorisch und aposteriorisch, synthetisch und analytisch« (Einl. in d. Psych. S. 10). Nach SIGWART ist »Apriorität« der »Ausdruck innerer Notwendigkeit«, z.B. daß alles, was ist, ein Ding mit Eigenschaften und Tätigkeiten ist (Log. II2, 166). WUNDT verlegt das a priori in die allgemeine Gesetzmäßigkeit des Denkens und seiner Funktionen, nicht in fertige Begriffe. »In uns liegen lediglich die allgemeinen Funktionen des logischen Denkens,« die aber ohne Wahrnehmungsinhalt sich nicht betätigen können. Alle Erkenntnisgebilde sind »gemeinsame Erzeugnisse des Denkens und der Erfahrung«. Die Ursprünglichkeit der Anschauungsformen und die Apodiktizität der mathematischen Axiome beruhen auf der Konstanz, Unaufhebbarkeit dieser Formen; a priori sind sie nur, sofern Zeit und Raum begrifflich unabhängig von jeder speciellen Erfahrung bestimmt werden können; zugleich haben die Axiome die Bedeutung allgemeinster Erfahrungsgesetze (Syst. d. Phil.2, S. 140, 208 ff.; Phil. Stud. XIII; Log. I2, S. 387, 490 ff.). Die apriorischen Bedingungen jeder Erfahrung sind selbst einfachste und allgemeinste Erfahrungen (Log. I2, S. 435). Die Eigenschaften von Raum und Zeit sind in ihrer Eigenart nicht deduzierbar, wiewohl die Anschauungsformen psychologische Entwicklungsprodukte sind. Aber das a priori dieser Formen liegt doch erst in den Denkfunktionen, die zu ihrer Sonderung vom Empfindungsinhalte nötigen (Syst. d. Phil.2, S. 106, 111 ff.; Phil. Stud. VII, 14 ff., 18 ff., 21, XII, 355; Einf. in d. Philos. S. 345). Gegen Kants Lehre von der Unabhängigkeit der Anschauungsformen vom Wahrnehmungsinhalt erhebt W. begründete Einwände (Log. I2, S. 482, 486 f., 490 ff.; vgl. Axiome). Auch die Kategorien (s. d.) sind nicht apriorisch, wiewohl sie einen apriorischen Faktor, die vergleichend-beziehende, analytisch-synthetische Denkfunktion, voraussetzen, aber auch einen Erfahrungsinhalt, der denkend verarbeitet wird. SCHUPPE bezeichnet den Erfahrungsinhalt als aposteriorisch, »weil niemand im voraus aus einem Grunde erraten kann oder könnte, was es da alles gibt« (Log. S. 35). Ausgeschlossen ist die Apriorität der Anschauungsformen dadurch, daß sie »Elemente des Gegebenen« sind (l.c. S. 84 f.). »Insofern aber auf Grund der einmal gewonnenen Raumanschauung Erkenntnisse gemacht werden ohne sich auf weitere Wahrnehmungen zu stützen, sind sie nicht a posteriori, sondern stehen - mag man auch den Ausdruck a priori verabscheuen - doch jedenfalls im Gegensatz zu denjenigen Erkenntnissen, welche immer nur auf Grund specieller Beobachtung mit Sinnen gemacht werden können« (l.c. S. 89). »Alles, was sich aus der Raum- und Zeitanschauung ergibt, gehört zur elementaren Notwendigkeit« (ib.). H. CORNELIUS erklärt, unser Denken trage Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit in den Ablauf der Erscheinungen hinein. Die allgemeinsten Formen, welche das Begreifen der Erscheinungen nach Gesetzen ermöglichen, müssen sich jederzeit auf unsere Erfahrungen anwenden lassen (Einl. in d. Phil. S. 329 f.). E. DÜHRING versteht unter dem a priori nichts als den »Inbegriff rein formaler Satzungen, denen kein besonderer Erfahrungsinhalt je widersprechen kann« (Neue Dial. S. 193). O. CASPARI nimmt eine Durchdringung von Sinnlichkeit und (relativem) a priori (Idee, Logischem) in der concret-ästhetischen Anschauung an (Grund- u. Lebensfr. S. 92). Nach HARMS entstehen die ursprünglichen Erkenntnisformen mit der Erfahrung (Log. S. 67 ff., 98 ff.). - Auch französische Philosophen, wie M. DE BIRAN (Oeuv. II, 4), RENOUVIER, englische, wie J. F. FERRIER, GREEN, BRADLEY u. a., nehmen irgend einen apriorischen Faktor der Erkenntnis (Ich, allgemeines Bewußtsein u. dgl.) an.

Die Apriorität von Erkenntnisformen leugnen verschiedene Philosophen, besondere natürlich die ausgesprochenen Empiristen und Sensualisten, für die alle Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit auf bloßer Induktion (s. d.) beruht und nur relativer Art ist. Nach G. E. SCHULZE läßt sich das Notwendigkeitsbewußtsein auch »durch die besondere Art und Weise, wie die Außendinge unser Gemüt affizieren und Erkenntnis in demselben veranlassen«, erklären (Aenes. S. 143 f., 151 f.). Die Ableitung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit aus der Natur des Bewußtseins macht »das Dasein derselben im geringsten nicht begreiflicher als eine Ableitung ebenderselben von Gegenständen außer uns« (l.c. S. 145). BARDILI meint, die Merkmale des a priori, Allgemeinheit und Notwendigkeit, könnten nicht erst in uns entstehen, sondern müßten schon objektiv begründet sein (Gr. d. erst. Log. Vorr. S. XV). Die Vernunftkritik nennt er eine Verbindung von Locke und Leibniz (l.c. S. 345). Gegen die Apriorität der Erkenntnisformen polemisiert HERBART (Allg. Met. I, S. 88). BENEKE sieht im a priori keinen Gegensatz zum Empirischen, beides ist bedingt durch die Gesetzmäßigkeit des Geistes (Syst. d. Log. I, S. 1, 73, 271). ÜBERWEG bekämpft die Lehre von der Apriorität und Subjektivität der Erkenntnisformen (Syst. d. Log.4, S. 87). Ein »apriorisches« Element enthält jeder Begriff nur, weil »die Erkenntnis des Wesentlichen in den Dingen nur mittelst der Erkenntnis des Wesentlichen in uns gewonnen werden kann« (l.c. S. 129). CZOLBE meint, die Ableitung der Notwendigkeit der Axiome aus angeborenen Denkformen, also die Bestimmung derselben als a priori, sei keine Erklärung, »da nicht einzusehen ist, wie und weshalb der Geist die Qualität der Notwendigkeit besitzen und den Axiomen mitteilen soll« (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 99). Das Notwendige ist vielmehr »Bestandteil des sinnlich wahrnehmbaren mechanischen Kausalverhältnisses« (l.c. S. 104). E. LAAS bekämpft die für die Apriorität vorgebrachten Beweisgründe (Id. u. pos. Erk. S. 443 ff.). »A priori« ist nur das Bewußtsein als solches überhaupt (l.c. S. 28). J. ST. MILL leugnet mit anderen Empiristen (s. d.), die sich wieder dem Humeschen Standpunkt nähern, die Existenz jeglicher apriorischer Erkenntnisformen. Die strenge Apriorität der Anschauungs- und Denkformen bestreitet G. SPICKER (K., H. u. B., S. 61).

Ein »praktisches a priori«, das in einem unmittelbar-intuitiv, aus der praktischen Vernunft entspringenden Antrieb zum Handeln besteht, nimmt im Anschluß an die Kantsche Ethik (s. d.) KREYENBÜHL an (Phil. Monatsh. Bd. XVIII, H. 3). H. SCHWARZ lehrt einen »voluntaristischen Apriorismus«. »Nicht die apriorischen Regeln der Vernunft, sondern eigne apriorische Normen walten im Willensgebiet. Es sind die Normen des analytischen und synthetischen Vorziehens« (Psychol. d. Will. S. 333 ff.; Gr. d. Eth.). Vgl. Anschauungsformen, Axiom, Form, Lumen naturale, Kategorien, Rationalismus, Raum, Zeit, Urteil.


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