Den Willen (im engeren Sinne) bestimmt HERBART (der im Wollen ein sekundäres Phänomen, eine Funktion des Vorstellens, s. d., erblickt, s. Begehren) als »eine Begierde, verbunden mit der Voraussetzung der Erlangung des Begehrten« (Lehrb. zur Psychol. S. 154, vgl. S. 78). »Der Wille hat seine Phantasie und sein Gedächtnis, und er ist um desto entschiedener, je mehr er dessen besitzt« (l. c. S. 154 f.). »Der Wille ist das Inwendigste im Menschen und in der Gesellschaft« (Encykl. S. 97. vgl. Psychol. als Wissensch. II, § 151). G. SCHILLING bestimmt das Wollen als »ein dauerndes, von mehreren andern Vorstellungen unterstütztes Begehren, dessen Befriedigung der Begehrende trotz, der Hindernisse als erreichbar annimmt« (Lehrb. d. Psych. S. 172 f.. vgl. S. 24. vgl. STIEDENROTH, Psychol.). WAITZ bemerkt: »Soll etwas gewollt werden, so muß es zunächst begehrt, ferner als Endpunkt einer Reihe von Ursachen und Wirkungen vorgestellt werden, und endlich müssen wir entweder den Anfangspunkt dieser ganzen Reihe oder einen wesentlich modifizierenden Eingriff in sie an einer bestimmten Stelle als abhängig von unserer Selbsttätigkeit betrachten« (Lehrb. d. Psychol. S. 424). Auch nach ALLIHN ist der Wille eine höhere Art der Begehrung (Gr. d. allg. Eth. S. 53). Ähnlich bestimmen das Wollen DROBISCH (Empir. Psychol. § 99), STRÜMPEL (Vorsch. d. Eth. S. 97 ff.), VOLKANN (Lehrb. d. Psychol. I4, 451 f.), DRBAL (Psychol. § 131 f.), LINDNER (Lehrb. d. Psychol. S. 214 ff.. vgl. O. FLÜGEL, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XVIII, 1890, S. 30 ff.). Ähnlich auch BENEKE (der aber dem Voluntarismus s. d., sich nähert): »Das Wollen ist ein Begehren, bei welchem wir zugleich (mit Überzeugung) das Begehrte als von diesem Begehren aus erreicht oder verwirklicht vorstellen« (Neue Psychol. S. 203. Lehrb. d. Psychol. § 201. Pragmat. Psychol. I, 73. Gr. d. Sittenl. I, 129). Es gibt nicht einen »Willen«, sondern eine Anzahl von Willensangelegtheiten (Gr. d. Sittenl. II, 8). - Nach TRENDELENBURG ist der Wille das Begehren, welches der Gedanke durchdrungen hat. - Ein des Zieles bewußtes Streben ist das Wollen nach LIPPS (Grundtats. d. Seelenleb. S. 613). Nach JODL ist der Wille ein Name für »diejenigen Strebungen..., welche durch wiederholte Befriedigung sehend geworden, d.h. mit der Vorstellung eines Zweckes oder Triebes assoziiert sind« (Lehrb. d. Psychol. S. 719 ff.). Vgl. GEORGE, Psychol. S. 598 ff.
Als selbständige Kraft, als das Treibende im Bewußtsein, im Leben, in der gesamten Natur betrachtet den Willen SCHOPENHAUER (s. Voluntarismus). »Das Primäre und Ursprüngliche ist allein der Wille, das thelêma, nicht boulêsis« (Neue Paralip. § 149). Der »Wille zum Leben« ist »nicht zerteilt, sondern ganz jeglichem individuellen Wesen« (l. c. § 150). Der Wille ist das An-sich der Dinge (s. d.). Das ist er auch nach L. NOIRÉ (Einl. u. Begr. ein. monist. Erk. S. 42 ff.). »Wille ist das Geistige aller Wesen, insofern es sich als subjektive Kausalität äußert. Empfinden ist das Geistige aller Wesen, insofern die objektive Kausalität der Außenwelt in dasselbe einzieht« (L c. S. 47). Als Weltsubstanz, die in einer Vielheit von »Individuallebensfaktoren« existiert, bestimmt den Willen BAHNSEN (Zur Philos. d. Gesch. 6. 64 ff.. vgl. Der Widerspr. I, 436). Voluntaristen (g. d.) sind auch R. HAMERLING, MAINLÄNDER u. a. Nach E. v HARTMANN ist der Wille ein Attribut des »Unbewußten« (s. d.). Die Funktion des Willens ist »Übersetzung des Idealen ins Reale«. Der Wille ist eine selbständige Kraft, aber nur als unbewußter, als welcher er nicht unmittelbar erlebt, nur erschlossen werden kann (Philos. d. Unbew. I10, 59 ff., 446. II10, 45 ff.). »Das Wollen ist unmittelbar unfähig bewußt zu werden, weil es nicht produziertes Phänomen, sondern produktive Tätigkeit ist« (Mod. Psychol. S. 197). »Das Wollen ist jederzeit Summationsphänomen aller Atomwollungen, aber nicht bloß dies, sondern noch mehr als dies. es kommt nämlich auf jeder Individualitätsstufe noch ein Plus von Wollen hinzu, das dem Eigenwillen (im engern Sinne) dieser Individualitätsstufe entspricht« (ib.. s. Motiv, Gefühl. vgl. auch DREWS, Das Ich, S. 182 ff.. unbewußt ist der Wille auch nach C. GÖRING, Syst. I, 60 ff.. vgl. WINDELBAND, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., 1878). - Als »Willen zur Macht« bestimmt das Treibende in allem Geschehen NIETZSCHE. Der bewußte Wille ist aber nichts Einfaches (WW. VII 1, 10), er besteht aus Gefühlen, Affekten, Strebungen, darunter der Affekt des »Kommandos« (WW. VII, 1, 19. V, S. 165 f.. XV, 266, 298, 302). Das bewußte Wollen ist schon Produkt, es liegt ihm der »Wille zur Macht« als Tendenz, als Streben, zugrunde. Der Wille zur Macht, zur »Akkumulation von Kraft« beherrscht alles. Aneignen, Herrschen, Mehr-werden, Stärker-werden ist der Kern des Seins (WW. XV, 296). »Der Grad von Widerstand und der Grad von Übermacht - darum handelt es sich bei allem Geschehen« (WW. XV, 297). Jedes Atom ist schon ein Quantum »Wille zur Macht«. Die Dinge sind nichts als »dynamische Quanta, in einem Spannungsverhältnis zu allen anderen dynamischen Quanten« (WW. XV, 297). Alle Kausalität ist Kampf zweier an Macht ungleichen Elemente (WW. XV, 299). Es giebt keinen primären »Willen zum Dasein«, aber einen Willen zur Veränderung und Steigerung des Daseins (WW. XI, 6, 269). Der Wille zur Macht wirkt im Mechanischen, Chemischen, Organischen, Geistigen, Sozialen, Ethischen, Ästhetischen (s. Bewußtsein, Organismus, Sittlichkeit, Übermensch). Das Ich (s. d.) ist nichts als verkörperter Wille zur Macht (WW. XV, 311). Nichts am Leben hat Wert als der Grad der Macht, dieser ist der höchste Wertmesser (WW. XV, 10). (Über den Willen zur Macht s. auch oben HOBBES. vgl. auch EMERSON: »Das Leben ist ein Verlangen nach Macht«, Lebensführ. C. 2, S. 44 ff., 48: »Plus-Mensch«). - Nach R. SCHELLWIEN ist der Wille »die der Natur urschöpferisch voranstehende Lebensgrundmacht, die nur in ihm, dem Menschen, sich erst als Zweites nachschöpferisch offenbart« (Wille u. Erk. 1899, S. 29). Der Wille ist »das Vermögen, allen mannigfaltigen Inhalt des Bewußtseins in sich aufzuheben und der absoluten Selbstbestimmung zu unterwerfen« (l. c. S. 1). Er ist die Quelle aller Erkenntnis (l. c. S. 32). »Die menschliche Erkenntnis ist also die Bewegung des beständig aus seiner Negativität hervorgehenden und sein positives Leben in idealer nachschöpferischer Hervorbringung der Natur bewährenden Willens« (l. c. S. 35). Der Erkenntniswille ist Grund der Erfahrung (l. c. S. 36). Die Selbstverwirklichung ist das Wesen des Willens (l. c. S. 45). Der »Allwille« ist die immanente Ursache des Individualwillens, »er lebt in den Individuen als ihre eigene Kraft« (l. c. S. 75).