Wille - Wundt, Fouillée, Dewey

Als bewußten »psychischen« Trieb (s. d.) bestimmt den Willen G. H. SCHNEIDER. Erkenntnisse und Gefühle gehen dem Willen voran (Der menschl. Wille S. 281 ff.). Zweck des Willens ist die Erhaltung der Art u.s.w. (l. c. S. 32 ff.. vgl. S. 76 ff.. S. 406 ff.). Eine Grundsfunktion des Bewußtseins ist der Wille nach KREIBIG (Werttheor. S. 67). Er ist »jenes Vermögen, welches aller mit dem Erkenntnis- und Gefühlsleben verknüpften psychischen Tätigkeit zugrunde liegt« (Die Aufmerks. S. 2 f.), »dasjenige, was in der Aktivität der Seele Ausdruck findet« (l. c. S. 2). W. JERUSALEM erklärt: »Willensimpulse gehören in gewissem Sinne zu den ursprünglichsten Erlebnissen. Der menschliche Organismus bringt einen dunklen Drang nach Bewegung schon mit auf die Welt« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 183). In der hemmenden Tätigkeit gibt sich der Wille am frühesten und deutlichsten (l. c. S. 184) kund. Die Willensfunktion repräsentiert »die Einheit und die Selbständigkeit des Organismus gegenüber der Außenwelt« (l. c. S. 184). Bei dem eigentlichen Willen sind Zweck und Mittel des Handelns deutlich bewußt (l. c. S. 193). Nach JODL ist das Wollen eine Entwicklung des Strebens (s. d., u. oben) (Lehrb. d. Psychol. S. 411 ff., 718 ff.). Das ist auch die Ansicht von LIPPS (Grundtats. d. Seelenleb. S. 613). Im weiteren Sinne ist Wollen jedes Begehren und Streben (l. c. S. 46). freilich ist das Streben nichts Selbständiges, sondern eine Begleiterscheinung unbewußter Prozesse (l. c. S. 56 ff.). A. PFÄNDER erklärt: »Das Bewußtsein des Willens im eigentlichen Sinne ist ein Spezialfall des Bewußtseins des Strebens überhaupt« (Das Bewußts. d. Wollens, Zeitschr. f. Psychol. XVII, 321). Ursprünglich ist das »Gefühl der Spannung, der Anstrengung, der Bemühung, des Drängens, des Strebens, der Tätigkeit« (ib.), das »Willensgefühl« (l. c. S. 322 ff.. vgl. Phänomenol. d. Willens, 1900). N. LOSSKY bestimmt: »Der Wille ist die Aktivität des Bewußtseins, welche darin besteht, daß jeder unmittelbar als ›mein‹ empfundene Bewußtseinszustand durch ›meine‹ Strebungen verursacht wird, und welche sich für das handelnde Subjekt im Gefühl der Aktivität ausspricht« (Eine Willenstheor. vom voluntarist. Standp., Zeitschr. f. Philos. XX, 1902, S. 87 ff., 129 f.). Zum Voluntarismus bekennt sich auch R. GOLDSCHEID. Der Wille ist ursprünglicher als die Vorstellung (Zur Eth. d. Gesamtwill, I, 79). Der »Wille schlechthin« ist »lediglich bedingt durch die physischen Vorgänge«, der »vorstellende Wille« »wurzelt in den Gefühlen und tritt erst mit Hülfe der Gefühle in Wirksamkeit« (l. c. S. 66 f.).

Den Voluntarismus (s. d.) vertritt psychologisch (und metsphysisch) W. WUNDT. Nach ihm ist der Wille aber nicht eine einfache, unbewußte Qualität, sondern eine Einheit, welche Gefühl und Empfindung einschließt. Das Wollen ist ein typischer Vorgang, der durch das Gefühl der Tätigkeit (s. d.) charakterisiert ist, die Fähigkeit des Subjekts, selbsttätig auf seine Vorstellungen zu wirken. Die »autogenetische« Theorie bestimmt den Willen als »ursprüngliche Energie des Bewußtseins« (vgl. Grdz. d. phye. Psychol. II4, 562 ff.. Philos. Stud. XII, 56. Vorles.3, S. 245. Log. I2, 556. Essays 8, S. 216 f.). Aus bloßen Reflexbewegungen kann das Wollen sich nicht entwickelt haben. die »heterogenetischen« Willenstheorien setzen immer schon die Wirksamkeit des Willens unbewußt voraus (Grdz. d. phys. Psychol. II4, 570 ff.. Eth.2, S. 441 f.). Der Wille steht in engster Beziehung zum Gefühl (s. d.), zum Affekt (s. d.). Der Affektvorgang kann in eine plötzliche Veränderung des Vorstellungs - und Gefühlsinhaltes übergehen, die den Affekt momentan zum Abschluß bringt. »Solche durch einen Affekt vorbereitete und ihn plötzlich beendende Veränderungen der Vorstellungs- und Gefühlslage nennen wir Willenshandlungen. Der Affekt selbst zusammen mit dieser aus ihm hervorgehenden Endwirkung ist ein Willensvorgang« (Gr. d. Psychol.5, S. 218). Die bloß mit Vorstellungs- und Gefühlswirkungen abschließenden, innern Willenshandlungen sind Produkte einer späteren Entwicklung. Ein Willensvorgang, der in eine äußere Handlung übergeht, ist »ein Affekt, der mit einer pantomimischen Bewegung abschließt, die neben der allen pantomimischen Bewegungen eigentümlichen Charakterisierung der Qualität und Intensität de, Affekts noch die besondere Bedeutung hat, daß sie äußere Wirkungen hervorbringt, die den Affekt selbst aufheben« (l. c. S. 219). »Die ursprüngliche psychologische Grundbedingung der Willenshandlungen ist... der Kontrast der Gefühle, und die Entstehung primitiver Willensvorgänge geht wahrscheinlich stets auf Unlustgefühle zurück, die äußere Bewegungsreaktionen auslösen, als deren Wirkungen kontrastierende Lustgefühle auftreten« (l. c. S. 220). Alle Gefühle (s. d.) enthalten ein Streben oder Widerstreben (l. c. S. 221). Das Gefühl »kann ebensogut als der Anfang einer Willenshandlung wie umgekehrt das Wollen als ein zusammengesetzter Gefühlsprozess und der Affekt als ein Übergang zwischen beiden betrachtet werden« (l. c. S. 221). Es gibt einfache und zusammengesetzte Willenshandlungen.

Erstere sind die Triebhandlungen (s. d.), sie gehen aus einem einzigen Motiv hervor (l. c. S. 223). »Sobald... in einem Affekt eine Mehrheit von Gefühlen und Vorstellungen in äußere Handlungen überzugehen strebt, und sobald diese zu Motiven gewordenen Bestandteile des Affektverlaufs zugleich auf verschiedene, untereinander verwandte oder entgegengesetzte äußere Endwirkungen abzielen, so entsteht aus der einfachen eine zusammengesetzte Willenshandlung« (»Willkürhandlung«, l. c. S. 224). Durch Abschwächung der Affekte entstehen innere Willenshandlungen, welche in Veränderungen des Vorstellungsverlaufes bestehen (l. c. S. 228). Die regressive Entwicklung des Willens besteht in der Mechanisierung (s. d.) desselben (l. c. S. 228 ff.. Grdz. d. phys. Psychol. II4, 561 ff.. Vorles.2, S. 244 ff.. Essays S. 216 f.. vgl. Denken, Apperzeption, Ich Objekt). Der Einzelwille ist Glied eines Gesamtwillens (s. d.) (vgl. Eth.2, S. 448 ff., 459). Der Wille ist nicht das Intelligenzlose, sondern die Intelligenz selbst (Syst. d. Philos.2, S. 556). Im Sinne Wundts bestimmen den Willen G. VILLA (Einleit. in die Psychol. S. 256, 264), HELLPACH (Grenzwiss. d. Psychol. S. 9 f.) u. a. - Als System von Wollungen betrachtet das geistige Subjekt, die Seele (s. d.) MÜNSTERBERG (Grdz. d. Psychol. I, 397). Der Wille umfaßt »alles Bevorzugen, Ablehnen, Bejahen und Verneinen, Lieben und Hassen, kurz alle Phänomene der Selbststellung« (l. c. S. 351). Empirisch-psychologisch aber besteht der Wille nur in 1) Vorstellung eines Erfolges. 2) Gefühl der Zukünftigkeit dieses Vorstellungsinhaltes. 3) die Vorbereitung muß als durch eigene Tätigkeit einleitbar gedacht werden. 4) der Wahrnehmung, daß jene den Erfolg herbeiführende Tätigkeit sich tatsächlich realisiert (l. c. S. 353 ff.. s. unten). - Nach H. COHEN ist der Wille das »Prinzip der Verwandlungsformen des Subjekts« (Log. S. 208). Nach C. STANGE ist er »dasjenige Vermögen, durch welches die Umsetzung psychischer Vorgänge in körperliche Vorgänge bewirkt wird« (Einl. in d. Eth. II, 173 ff.). Nach M. PALÁGYI ist er »die Betätigung unseres Bewußtseins nach allen drei Dimensionen des Raumes« (Neue Theor. d. R. u. d. Z. S. 40).

Nach KROMAN ist das Wollen ein Streben, den durch die Unlustgefühle bezeichneten Zwiespalt des Subjekts aufzuheben oder die durch die Lustgefühle bezeichnete Selbstübereinstimmung zu erhalten (Kurzgefaßte Log. u. Psychol. 1890, S. 294 ff., 340). HÖFFDING erklärt: »Psychologisch reden wir von einem Willen überall, wo wir uns einer Tätigkeit bewußt werden und uns nicht durchaus empfangend verhalten« (Psychol.2, S. 398). In dem Willen ist das ganze Bewußtseinsleben als in seinem vollsten Ausdruck gesammelt (l. c. S. 130). Der Wille ist »die fundamentalste Form des Bewußtseinslebens« (l. c. S. 130). Der Wille ist die synthetische Kraft des Bewußtseins (ib.). Ein Drang zur Bewegung geht aller Wahrnehmung schon voraus (l. c. S. 427). Der Wille ist die »aktive Seite des Bewußtseinslebens« (l. c. S. 424). Alles äußere setzt ein inneres Handeln voraus (l. c. S. 435). Der Wille kann nicht zum Objekt der Selbstbeobachtung gemacht werden, weil er sich »als fortwährende Voraussetzung über alle wechselnden Zustände und Formen des Bewußtseinslebens erstreckt« (Philos. Probl. S. 31). Im engeren Sinne ist der Wille ein Vorziehen (Psychol.2, S. 424, 430 f.). Denken, Erkennen sind Willensfunktionen, so auch die Aufmerksamkeit (l. c. S. 124, 160 f., 237 f., 431 f.). Nach WADDINGTON ist die Energie des Willens der reinste Typus der Tätigkeit. Der Wille ist eine Kraft, zu wählen, »Kraft der freien Selbstbestimmung« (Seele d. Mensch. S. 199 ff.). »Der Wille ist die Urkraft unserer Seele, die Grundlage des menschlichen Ich und die Grundform der psychischen Tätigkeit« (l. c. S. 440 ff.). Nach P. JANET ist der »effort« der »type de l'activite« (Princ. de mét. II, 4), »le sentiment de notre propre force« (l. c. p. 20). Der Wille ist »une puissance d'arrêt, un pouvoir d'empêcher« (l. c. p. 8), »un effort répléchi«, »l'unité de l'effort et de l'idée« (l. c. p. 22). Nach RABIER setzt jeder Willensakt voraus »la conception de l'acte et la délibération« (Psychol. p. 523 ff.) der Wille ist vom »désir« zu unterscheiden (l. c. p. 534 f.. vgl. GARNIER, Trait. I, 5, 1). Nach RENOUVIER sind »désir et aversion« »passions dynamiques« (Nouv. Monadol. p. 177 ff.). Die äußere Willenshandlung enthält: »1) l'idée du fait comme possible, 2) l'image du mouvement, 3) un certain désir ou consentiment, mais qu'on tient suspendu, de le voir se réalisant« (l. c. p. 226). Der Wille ist die Funktion »d'appeller ou de maintenir dans la conscience, ou d' éloigner de la conscience les idées de toute nature« (vgl. Psychol. I, 6 ff.). Nach FOUILLÉE ist überall in der Welt Wille (s. Voluntarismus), in uns wird er bewußt (Psychol. d. id.-forc. II, 211). Das Wollen ist ein »fait original« (l. c. p. 247). In allem Bewußtsein ist ein Streben (s. d.) (l. c. I, 303 f.). Der Wille ist »la tendance de l'être au plus grand bienêtre, à la conservation et à l'expansion de la vie« (l. c. p. 255). Das ursprüngliche Bewußtsein ist Streben, Begehren (l. c. I, p. 251). Der Wille ist »le fond de toute existence« (Sc. soc. p. 125). In der »idée-force« (s. Voluntarismus) sind Vorstellung und Streben vereint. Die Wollung ist »la tendance de l'idée d'activité personnelle à sa propre réalisatzon« (l. c. II, 263). Die Willkürhandlung enthält ein »jugement de causalité« (ib.). Die Wollung ist »le désir déterminant d'une fin et de ses moyens, conçus comme dépendants d'un premier moyen qui est ce désir même et d'une dernière fin qui est la satisfaction de ce désir« (l. c. p. 266). - Vgl. GALUPPI, Filosof. della volontà, 1832/40. ROSMINI, Psicolog.. die Schriften von BONATELLI, FIORENTINO u. a.

Eine Aktivität ist der Wille nach MARTINEAU (s. Voluntarismus. vgl. über sekundäres Begehren: Types of eth. theor. II3, 167 ff.). Die Spontaneität des Willens lehrt P. CARUS (Prim. of Philos.). Nach J. DEWEY ist der Wille »the complete activity« (Psychol.). Nach W. JAMES ist der Wille eine Relation zwischen dem Ich und dessen Bewußtseinszuständen, »a relation between the mind and its ideas« (Princ. of Psychol. II, 559 ff.). Anstrengung und Aufmerksamkeit sind dem Willen wesentlich (»to attend to a difficult objekt and hold it fast before the mind«, l. c. p. 561). Der »effort of attention« ist »the essential of will« (l. c. p. 562). Im Willen ist ein Befehl, Entscheid, ein »fiat«, »the element of consent or resolve that the act shall ensue« (The feeling of efforts 1880). Die eigentliche Willenshandlung geht aus unwillkürlicher hervor (Princ. of Psychol. II, 486 ff.). Im einfachen Willensvorgang ist das Bewußtsein nichts als »the kinaesthetic idea« des zu Geschehenden (l. c. p. 493). »Anticipatory image« plus dem »fiat« konstituieren den Willensakt (l. c. p. 501). Die Vorstellung einer Bewegung bewirkt in irgend einem Grade die wirkliche Bewegung (l. c. p. 526). »The express fiat, or act of mental consent to the movement, comes in when the neutralization of the antagonistac and inhibitory idea is required« (ib.). Das Bewußtsein ist »in its very nature impulsive« (ib.). Auch nach BALDWIN ist das Anstrengungsgefühl für den Willen charakteristisch (Handb. of Psychol. I, 37, 89, 143. vgl. II, 242 f., 363). Das Moment der Erfahrung in der Entwicklung der Willkürhandlung betont SULLY (Hum. Mind II, ch. 17 f.. Handb. d. Psychol. S. 389 ff.. vgl. STOUT, Analyt. Psychol.. TITCHENER, Outl. of Psychol. ch. 10. J. WARD, Encycl. Brit. XX). Nach L. F. WARD ist in allen psychischen Zuständen »the element of will«, »the conative faculty« (Pure Sociol. p. 142 ff.). »Will is the aktive expression of the souls meaning.. It is inchoate action.« »The will is that which asserts itself« (ib.). Über BAIN, SPENCER, MAUDSLEY s. unten.


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