Willensfreiheit - Fichte, Schelling, Schopenhauer

J. G. FICHTE vertritt zuerst den Determinismus (vgl. W. Kabitz, Studien zur Entwicklungsgesch. d. Fichteschen Wissenschaftslehre, Kantstud. VI, 1901, S. 129 ff., 133), nach der Bekanntschaft mit Kant den Indeterminismus (l. c. S. 159). Das Selbstbewußtsein versichert uns unserer Freiheit unmittelbar (Vers. ein. Krit. all. Offenbar. 1. A.). Später erklärt er allerdings: »Einer Freiheit außer mir kann ich mir überhaupt gar nicht unmittelbar bewußt sein, nicht einmal einer Freiheit in mir, oder meine eigene Freiheit an sich ist der letzte Erklärungsgrund alles Bewußtseins und kann daher gar nicht in das Gebiet des Bewußtseins gehören.« Doch gibt es ein Nichtbewußtsein einer Ursache außer dem Ich, und dies ist auch ein Freiheitsbewußtsein (Bestimm. d. Gelehrt. 2. Vorles., S. 19). Das Wollen ist Selbstbestimmung seiner selbst durch sich selbst. Freiheit ist der Grund alles Seins, besteht darin, »daß alles abhängig ist von mir, und nicht abhängig von irgend etwas. da, in meiner ganzen Sinnenwelt geschieht, was ich will« (Syst. d. Sittenlehre S. 304 vgl. S. 8 ff., 58 ff.). »Das Ich, inwiefern es will, gibt als Intelligenz sich selbst das Objekt seines Wollens, indem es aus den mehreren möglichen eins wählt« (l. c. S. 205. vgl. S. 98). Nach SCHELLING ist die absolute Freiheit »nichts anderes, als die absolute Bestimmung des Unbedingten durch die bloßen (Natur-)Gesetze des Seins, Unabhängigkeit desselben von allen nicht durch sein Wesen selbst bestimmbaren Gesetzen« (Vom Ich, S.. 188. Syst. d. tr. Ideal. S. 438). »Frei ist, was nur den Gesetzen seines eigenen Wesens gemäß handelt und von nichts anderem weder in noch außer ihm bestimmt ist« (WW. I 7, 384). Im Zustande der Präexistenz, vorzeitlich, hat der Mensch sein Wesen frei bestimmt. Diese Entscheidung »fällt außer aller Zeit und daher mit der ersten Schöpfung zusammen. Der Mensch, wenn er auch in der Zeit geboren wird, ist doch in dem Anfang der Schöpfung erschaffen. Die Tat, wodurch sein Leben in der Zeit bestimmt ist, gehört selbst nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an. sie geht dem Leben auch nicht der Zeit nach voran, sondern durch die Zeit hindurch (unergriffen von ihr) als eine der Natur nach ewige Tat« (Philos. Unt. üb. d. Wes. d. menschl. Freih. 1856, S. 463 ff.). Durch sein vorzeitliches »Selbstsetzen«, »Urund Grundwollen« sind die Handlungen des Menschen bestimmt (WW. I 7, 385 ff.. vgl. I 6, 538 ff.). Auch nach NÜSSLEIN ist der intelligible, zeitlose Wille absolut frei (Gr. d. allgem. Psychol. § 534 ff.). Auch SCHOPENHAUER lehrt die zeitlose Freiheit des Willens, der sich selbst seinen Charakter (s. d.) in der Zeit schafft, von dem nun das Handeln, welchen im einzelnen streng determiniert ist, abhängt. Jede Einzelhandlung ist dem Satz vom Grunde unterworfen, ist das Produkt von Motiv (s. d.) und Charakter. an sich ist der Wille (s. d.) völlig frei von allen Formen der Erscheinung, außerhalb des Satzes vom Grunde, ist »schlechthin grundlos«. Die Taten aber sind nicht frei, »da jede einzelne Handlung aus der Wirkung des Motivs auf den Charakter mit strenger Notwendigkeit folgt« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 23). Freiheit ist »Unabhängigkeit vom Satze des Grundes«. Weil der Wille ein Ursprüngliches, Unabhängiges ist, muß auch im Selbstbewußtsein das Gefühl davon bestehen. so entsteht der Schein einer empirischen Freiheit des Willens statt der wahren »transzendentalen«. Die empirische Freiheit ist nichts als psychologische Freiheit, deutliche Entfaltung der gegenseitigen Motive. die Entscheidung tritt mit vollkommener Notwendigkeit ein. »Wie die Natur konsequent ist, so ist es der Charakter: ihm gemäß muß jede einzelne Handlung ausfallen, wie jedes Phänomen dem Naturgesetz gemäß ausfällt.« Der Grundwille des Menschen ist unveränderlich. Die »Wahlentscheidung« des Menschen (»Deliberationsfähigkeit«) ist nichts als »die Möglichkeit eines ganz durchgekämpften Konflicts zwischen mehreren Motiven, davon das stärkere ihn dann mit Notwendigkeit bestimmt« (l. c. § 55). - Das Selbstbewußtsein sagt uns nur: ich kann tun, was ich will, es enthält Freiheit nur als ein dem Willen Gemäßsein, Willensfreiheit nicht. Wünschen, tun kann man Entgegengesetztes, aber wollen nur eins davon. Ohne ein Motiv kann man nicht wollen. Aber die Wirkungsart der Motive ist durch den Charakter bestimmt, welcher konstant, angeboren ist. nur die Erkenntnis ändert sich. Der empirische Charakter ist aber nur die Erscheinung des intelligiblen Charakters, und diesem, dem Willen an sich, kommt absolute Freiheit zu. »Vermöge dieser Freiheit sind alle Taten des Menschen sein eigenes Werk. so notwendig sie auch aus dem empirischen Charakter, bei seinem zusammentreffen mit den Motiven, hervorgehen.« Das Sein des Menschen ist seine freie Tat. »Operari sequitur esse« (s. d.). »Jedes Ding wirkt gemäß seiner Beschaffenheit und sein auf Ursachen erfolgendes Wirken gibt diese Beschaffenheit kund. Jeder Mensch handelt nach dem, wie er ist, und die demgemäß jedesmal notwendige Handlung wird, im individuellen Fall, allein durch die Motive bestimmt. Die Freiheit, welche daher im operari nicht anzutreffen sein kann, muß im esse liegen.« »Es kommt alles darauf an, was einer ist. was er tut, wird sich daraus von selbst ergeben, als ein notwendiges Korollarium.« »Mit einem Wort: Der Mensch tut allezeit nur, was er will, und tut es doch notwendig. Das liegt aber daran, daß er schon ist, was er will: denn aus dein, was er ist, folgt notwendig alles, was er jedesmal tut« (Üb. d. Freih. d. menschl. Will. V, 226 ff.. vgl. LAMEZAN, Üb. menschl. Willensfreih., Nord und Süd 1880, S. 102 ff.). Ähnlich lehrt J. BAHNSEN. Nach ihm sind die Motive schon durch die Beschaffenheit des Willens bedingt, wirken nur auslösend, erregend (Zum Verhält. zwischen Wille und Motiv, 1869, S. 40 f.). Der zeitlose Charakter bestimmt alles Handeln (l. c. S. 29 f.). MAINLÄNDER erklärt: »Jedes Wesen hat eine Beschaffenheit, ein esse, die es sich nicht mit Freiheit hat wählen können. Aber jedes Sein gibt Anweisung auf ein anderes, und so kommen wir schließlich zu einem Sein einer transzendenten Einheit, der wir, ehe sie zerfiel, Freiheit zusprechen müssen... Insofern aber alles, was ist, ursprünglich in dieser einfachen Einheit war, hat alles sich auch sein esse mit Freiheit gewählt, und jeder Mensch ist deshalb verantwortlich für seine Taten trotz seines bestimmten Charakters, aus dem die Handlungen mit Notwendigkeit fließen« (Philos. d. Erlös. I, 559). Die ausnahmlose Motivierung jeder Willenshandlung, die Unbedingtheit der Handlungen durch den Charakter des Individuums betont K. FISCHER (Üb. d. Probl. d. menschl. Freih. 1875, S. 14 ff.). Zugleich ist aber jede Handlung frei, »wie die Willenstat, die den Charakter selbst bestimmt hat« (l. c. S. 25). Mit dem phänomenalen Determinismus verbindet einen transzendentalen Freiheitsbegriff (der für die geistige Welt gilt) EUCKEN (Grundbegr. d. Gegenw.2, S. 259 ff.). Nach L. DUMONT ist jeder frei, sofern er dem Sein angehört, determiniert aber in allem, was der Erscheinungswelt zufällt (Vergn. u. Schmerz S. 15).


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