Willensfreiheit - Hegel, Renouvier, Bergson

Nach HEGEL erhebt sich der Wille aus dem Zustand der Determiniertheit zur Freiheit, die in seinem Begriffe liegt. Frei ist der Wille in seiner Selbstbestimmung, der vernünftige Geist als Vernunftwille (Encykl. § 480 ff.). »Der wirklich freie Wille ist die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes« (l. c. § 481). Sittlich frei ist der Wille, der »nicht Subjektiven, d. i. eigensüchtigen, sondern allgemeinen Inhalt zu seinen Zwecken hat« (l. c. § 469. vgl. ERDMANN, Grundr. d. Psychol. § 127, § 155 ff.. MICHELET, Anthropol. S. 502 ff.. K. ROSENKRANZ, Syst. d. Wissensch. S. 447 ff.). - Frei ist der Wille nach FR. SCHLEGEL (Philos. Vorles. 1830, S. 49, 135). Nach F. J. STAHL besteht die Freiheit »darin, von nichts anderem bestimmt zu werden, seinem eigenen Wesen zu folgen«, in der unendlichen Wahl (Philos. d. Rechts II, 20). Nach HILLEBRAND ist die Freiheit das eigene Selbst der geistigen Substanz (Philos. d. Geist. I, 71). Nach CHR. KRAUSE ist frei das Ich, als ganzes Ich sich selbst bestimmend (Vorles. S. 241). Der Wille ist frei, »denn er will, unabhängig von Furcht und Hoffnung, von Freude und Leid, von Liebe und Haß, nur, was in seinem Wesen und in seiner Lebenssphäre, der Idee gemäß, liegt, bloß, weil es sich so findet, weil es gut ist« (Urb. d. Menschheit3, S. 52). »Das ganze Leben der Vernunft und des Geistes ist frei, wie die Ideen. Jedes Glied seiner Tätigkeit und jedes Werk fängt seine Reihe an. es ist nicht aus allem Vorhergehenden, sondern nur aus einer neuen, ersten Einwirkung des ganzen Geistes hervorgegangen und erklärbar, es erkennt nur das Gesetz seiner Idee« (ib.). ähnlich AHRENS: »Freiheit ist die herrschaftliche Macht des Geistes als Ganzen über alles innere Leben« (Naturrecht I, 243 ff., 350). E. REINHOLD erklärt: »Unter dem göttlichen Begründen und Bestimmen teils der ewigen Formen und Gesetze, teils der wandelbaren, in verschiedenen Modifikationen bestimmbaren Bedingungen jeder einzelnen Tatsache ist dem sinnlich-geistigen Einzelwesen das Vermögen verliehen, in einem begrenzten Bezirke bewußtvoll nach selbstergriffenen Zwecken und selbstgedachten Bildungsnormen die in seinem leiblichen Organismus ihm zu Gebote stehende wirkende Ursache wählend zu dieser oder zu jener unter den für ihn ausführbaren Veränderungen in Anwendung zu setzen« (Lehrb. d. philos. propäd. Psychol.2, S. 293 f.). Es ist »unsere ungezwungene, in der Erwägung erfolgende Selbstbestimmung, welche dem Motiv die Bedeutung eines zureichenden entscheidenden Grundes für das in Betracht kommende Tun oder Unterlassen entweder erteilt oder versagt« (l. c. S. 284 ff., 257 ff.). Nach V. COUSIN haben wir eine »expérience continuelle« unserer Willensfreiheit (Du vrai, p. 354). Die »résolution« ist vom Ich abhängig (ib.). »Je sens en moi, avant sa détermination, la force qui peut se déterminer de telle manière ou de telle autre« (l. c. p. 354 f.). »En même temps que je veux ceci ou cela, j'ai conscience également de pouvoir vouloir le contraire. j'ai conscience d'être le maître de ma résolution, de pouvoir l'arrêter, la continuer, la reprendre« (l. c. p. 355). »Le devoir d'obéir à la raison est la loi propre de la volonté« (ib.). Nach MAMIANI determiniert sich der Wille selber bezüglich der Motive (Del senso morale e del libero arbitrio, Scuole Ital. XXVII, p. 108 ff.). Die Selbstbestimmungskraft des Geistes lehrt VORLÄNDER (Gr. ein. organ. Wiss. d. menschl. Seele S. 275, 442). So auch GARNIER (Trait. des facult. de l'âme I3, 326 ff.). Nach WADDINGTON ist die Freiheit die »Fähigkeit, uns selbst zu beherrschen und über uns zu selbst zu verfügen« (Seele d. Mensch. S. 449 ff.). Die Freiheit ist die Essenz des Willens (l. c. S. 457), ihm gehört die eigentliche Determination an (l. c. S. 466. so schon DE LIGNAC, Le témoignage du sens intime, 1760, I, 132). Die absolute Freiheit Gottes lehrt SECRÉTAN. Nach DELBOEUF ist die Freiheit die Fähigkeit der Hemmung, Sistierung der Tätigkeit (La liberté et ses effets mécaniques, Bullet. de l'académ. royal. de Belgique, 50, 1881, p. 463 ff.. vgl. Déterminisme et liberté, l. c. 51, 1882, p. 145 ff.). Nach RENOUVIER haben die höheren Monaden (s. d.) »le pouvoir de donner des commencements à des séries de phénoménes relativement et partiellement indépendants de leurs propres états antécédents« (Nouv. Monadol. p. 24 f.). »l'harmonie préétablie en prédétermine les effets, sous la condition que le libre arbitre ait donné l'initiative« (l. c. p. 26. vgl. p. 138). Nach H. BERGSON ist das Handeln frei, weil »le rapport de l'action à l'état d'ou elle sort ne saurait s'exprimer par une loi, cet état psychique étant unique en son genre et ne devant plus se reproduire jamais« (Les données imméd. de la conscience). Nach L. DAURIAC ist die Willensfreiheit ein Postulat des Glaubens (Croyance et Réalité 1889). Vgl. P. JANET, Princ. de mét. II, 46 ff.. RABIER, Psychol. p. 551 ff. - Als Selbstbestimmung faßt die Willensfreiheit GREEN auf. Einen relativen Indeterminismus lehrt W. JAMES (Princ. of Psychol. II, 569 ff.. Der Wille zum Glauben S. 130).

Den Indeterminismus lehrt auch LOTZE. Die Seele greift selbsttätig in das Getriebe der Vorstellungen ein, muß nicht den Motiven nachgeben, sondern bestimmt mit freier Wahl das Tun (Mikrok. I, 283 ff.). Frei ist der Entschluß, aber die Folgen sind gesetzlich bestimmt (ib.). Ohne Freiheit gibt es kein Verdienst, keine Schuld (Grdz. d. prakt. Philos.2, 1884, S. 31). Handlungen, welche geschehen sind, konnten auch unterbleiben (l. c. S. 26). Kein Einwand ist stichhaltig gegen die Möglichkeit neuer Anfänge eines Geschehens, »die in dem früheren keine Begründung finden, wohl aber, nachdem sie einmal in den Zusammenhang der Wirklichkeit eingetreten sind, diejenigen Folgen nach sich ziehen, die ihnen in ihrer jetzigen Verknüpfung mit der übrigen Welt nach allgemeinen Gesetzen gehören« (l. c. S. 30 f.). Ähnlich lehrt H. SOMMER. Freiheit ist selbsteigene Entscheidungsfähigkeit nach dem, was als »wollenswert« erscheint (Üb. d. Wes. n. d. Bedeut. d. menschl. Freih.2, 1885, S. 4 f., 27, 33. vgl. d. Kritik Müffelmanns, Das Probl. d. Willensfreih. 1902, S. 35 ff.). Nach WENTSCHER ist das freie Wollen »ein Wollen, sofern es ganz aus unserem wahrhaft eigenen, von uns selbst wiederum so gewollten Wesen hervorgeht« (Eth. I, 229). Die Entscheidung ist nirgends im Vorangegangenen bedingt, sondern ein neuer, aktiver, autonomer Akt (l. c. S. 269). Freiheit ist »Fähigkeit der Begründung des eigenen Selbst« (l. c. S. 339). »Fähigkeit, mit bewußter Wahl das Ziel zu suchen, ein eigenes, selbständiges Wesen zu begründen« (l. c. S. 340). Das Kausalgesetz erstreckt sich nicht auf die Freiheit des Willens (l. c. b.. 271 ff.). Die »Stellungnahme des Subjekts im Augenblick der Willensentscheidung zu den Ergebnissen seiner seitherigen Entwicklung hat... durchaus den Charakter der Selbsttätigkeit« (l. c. S. 327). Doch ist Willensfreiheit nicht Zusammenhangslosigkeit, blinder Zufall (l. c. S. 263 ff.. vgl. die Kritik bei Müffelmann, l. c. S. 47 ff.). - Die Freiheit der Selbst-Entscheidung lehrt HARMS (Abh. zur system. Philos. S. 71 f.. ähnlich H. WITTE (Üb. d. Freih. d. Willens, 1882. Wes, d. Seele, S. 169: Abhängigkeit des Verstandes vom Willen). Nach v. KIRCHMANN ist die Notwendigkeit nicht im Sein, nur im Wissen, daher ist das Wollen ein freies, was aber die Regelmäßigkeit nicht ausschließt, mit der das Wollen dem Beweggrunde folgt (Grundbegr. d. Rechts und der Moral, S. 85 ff.. vgl. HELMHOLTZ, Phys. Opt. S. 454. KROMAN, Unsere Naturerk. 63. 215 ff.). Nach E. DREHER ist die Willensfreiheit ein durch keine Erfahrung widerlegtes Postulat unserer Seele (Philos. Abh. S. VII, p. 159 ff.). H. SCHWARZ erklärt: Die Willensfreiheit bedeutet, daß der Wollende »sich dem Motivzwange regelmäßig entziehen kann, sobald die Normregeln des Wählens anwendbar sind« (Psychol. d. Will. S. 362). Das Gesetz des Willens selbst bestimmt dann das Wollen (l. c. E.. 360 ff., 372).


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