Unterscheidung

 

Unterscheidung (distinctio, diakrisis, diorismos) ist eine Funktion der Apperzeption (s. d.), bestehend in der mehr oder weniger deutlichen Abgrenzung von Bewußtseinsinhalten, in der aktiven Feststellung, Klarlegung von Unterschieden, Verschiedenheiten, Andersheiten. »Unterschied« ist etwas Primäres, nicht weiter Zurückzuführendes, es gehört mit der Gleichheit (s. d.) zum Wesen des Bewußtseins. Von dem bloßen »Erleben von Unterschieden« ist das klare »Bewußtsein des Unterschiedes« und von diesem die Reflexion auf den »Akt des Unterschiedes« als höhere Stufe zu sondern. Ferner muß nicht alles, was objektiv, d.h. denkend-wissenschaftlich, zu unterscheiden ist, auch Subjektiv-individuell unterschieden werden, und es kann umgekehrt das EinzelSubjekt Unterschiede setzen, wo sie objektiv nicht zu Recht bestehen: psychologisches und logisches Unterscheiden (Urteile über Verschiedenheiten, Trennungen von Begriffen). Das Unterscheiden als solches ist immer ein subjektiver Akt, der aber objektiv fundiert sein kann, so daß schließlich den festen, durch das Denken nicht zu eliminierenden Unterschieden der Dinge und Eigenschaften bestimmte Verhältnisse im Transzendenten (s. d.) entsprechen müssen. Die Ur-Unterscheidung ist die, durch welche das Bewußtsein sich in Subjekt (s. d.) und Objektenwelt (s. d.) und diese in Einzeldinge mit Einzeleigenschaften sondert.

Ein Unterscheidungsvermögen (kritikon) kommt nach ARISTOTELES der Seele zu (De an. III 9, 432 a 16). Quantitativen und qualitativen Unterschied giebt es: Diaphora legetai hos' hetera esti to auto ti onta, mê monon arithmô, all' ê eidei ê genei ê analogia (Met. V 9, 1018 a 12 squ.). - Die Scholastiker unterscheiden »distinctio essentialis, realis, formalis, quidditatis«. So insbesondere die Scotisten. Die »formale« Unterscheidung ist nicht real, aber doch in den Dingen selbst begründet, ist »ex natura rei«: DUNS SCOTUS, In l. sent. 1, d. 2, 7. vgl. FR. MAYRONIS (In 1. sent. 1, d. 8, 1. GOCLEN, Lex. philos. p. 595). Nach den Scotisten besteht zwischen dem allgemeinen Wesen der Dinge und deren Individualität, Einzelheit nur eine »distinctio formalis« (DUNS SCOTUS, In 1. sent. 2, d. 3, 6). daher heißen sie »formalizantes«, Formalisten. - »Distinctio realis dicitur etiam distinctio rei et distinctio praecisa ab omni operatione intellectus, qua nempe conceptus obiectivus est alius a conceptu formali i.e. qua res praeter mentis operationem sunt differentes.« Sie ist entweder »essentialis« (»eorum, quae essentia distinguuntur«, z.B. Körper und Geist) oder »causalis«, »subiectiva«, »accidentalis«, »generica«, »specifica«. Die »distinctio rationis« ist jene, »qua in mente nostra rebus imponitur distinctio« (z.B. von rechts und links). »Distinctio formalis est, quorum unum sumitur in definitione alterius« (z.B. Mensch und Lebewesen). »Distinctio virtualis est cum ex operationibus diversis arguitur in eadem re distinctio«. »Distinctio modalis est, quae sit secundum diversos modos« (MICRAELIUS, Lex. philos. p. 338 f.).

DESCARTES erklärt: »Distinctio triplex est: realis, modalis et rationis. Realis proprie tantum est inter duas vel plures substantias. Et has percipimus a se mutuo realiter esse distinctas, ex hoc solo, quod unam absque altera clare et distincte intelligere possimus« (Princ. philos. I, 60). »Distinctio modalis est duplex. alia scilicet inter modum proprie dictum, et substantiam, cuius est modus. alia inter duos modos eiusdem substantiae« (l. c. I, 61). »Denique distinctio rationis est inter substantiam et aliquod eius attributum, sine quo ipsa intelligi non potest. vel inter duo talia attributa eiusdem alicuius substantiae« (l. c. I, 62). Nach HUME sind alle Vorstellungen, welche verschieden sind, trennbar (Treat. I, sct. 7, S. 39). Die »distinction of reason« (gedankliche, begriffliche Unterscheidung, z.B. zwischen Gestalt und gestaltetem Körper) schließt weder eine Verschiedenheit noch eine Trennung ein, sondern beruht auf der Betrachtung eines und Desselben nach verschiedenen Gesichtspunkten (l. c. S. 39 f.), beruht darauf, »daß dieselbe einfache Vorstellung diesen Vorstellungen in dieser, jenen in jener Hinsicht ähnlich sein kann« (l. c. II, sct. 6, S. 91). Nach CONDILLAC ist die Unterscheidung eine Wirkung der Aufmerksamkeit (Trait. d. sens. I, ch. 2, § 42). - KANT betont: »Es ist ganz was anderes, Dinge voneinander unterscheiden, und den Unterschied der Dinge erkennen. Das letztere ist nur durch Urteilen möglich.« »Logisch unterscheiden heißt erkennen, daß ein A nicht B sei, und ist jederzeit ein verneinendes Urteil. physisch unterscheiden heißt, durch verschiedene Vorstellungen zu verschiedenen Handlungen getrieben werden« (Von d. falsch. Spitzfind. § 6).

 


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