Postulat (postulatum, aitêma): Forderung, Denkforderung, Voraussetzung eines Etwas, dessen Gültigkeit nicht zu beweisen ist, bewiesen werden kann, wohl aber notwendig, zur Begreiflichkeit und Möglichkeit von Tatsachen der Erfahrung, gesetzt werden muß (Logische, ethische, religiöse Postulate). Im a priori (s. d.) des Erkennens und Handelns (in den Axiomen) liegen Postulate vor, deren Bestätigung an und in der Erfahrung erwartet wird (z.B. Postulat der Begreiflichkeit der Erfahrung, der Universalität des Kausalgesetzes, der Konstanz des Seins u.s.w.).
Vom Postulat (aitêma) als einer nicht beweisbaren Voraussetzung spricht ARISTOTELES (Anal. post. I 10, 76b 31. ähnlich THOMAS, 1 anal. 19a), im mathematischen Sinne EUKLID. Nach MICRAELIUS ist »postulatum« »sententia non natura nota, sed quam geometria sibi concedi petit et postulat« (Lex. philos. p. 874 f.). Nach CHR. WOLF ist »postulatum« eine »propositiv practica indemonstrabilis« (Philos. rational. § 209).
KANT formuliert auf Grundlage der Lehre vom Apriori (s. d.) des Erkennens drei »Postulate des empirischen Denkens überhaupt«. Postulat wird hier nicht im mathematischen Sinne genommen (Krit. d. r. Vern. S. 216). »Nun heißt ein Postulat in der Mathematik der praktische Satz, der nichts als die Synthesis enthält, wodurch wir einen Gegenstand uns zuerst geben und dessen Begriff erzeugen... So können wir demnach mit ebendemselben Rechte die Grundsätze der Modalität postulieren, weil sie ihren Begriff von Dingen überhaupt nicht vermehren, sondern nur die Art anzeigen, wie er überhaupt mit der Erkenntniskraft verbunden wird« (l. c. S. 216 f.). Die Postulate des Denkens sind: »1) Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) üereinkommt, ist möglich.« »2) Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.« »3) Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig« (Kr. d. r. Vern. S. 202). - Postulat der praktischen Vernunft ist »ein a priori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises) fähiger, praktischer Imperativ«. »Man postuliert also nicht Sachen oder überhaupt das Dasein irgend eines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjekts. - Wenn es nun Pflicht ist, zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein, anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar dieselben übersinnlich sind und wir (in theoretischer Rücksicht) kein Erkennen derselben zu erlangen vermögend sind« (Verkünd. d. nah. Abschl. ein. Tract. z. ew. Fried. S. 87 f.). Es ist »das höchste Gut, praktisch, nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele möglich. mithin diese als unzertrennlich mit dem moralischen Gesetz verbunden, ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, worunter ich einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz verstehe, sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt« (Krit. d. prakt. Vern. S. 147). Ethische Postulate sind die Freiheit des Willens (s. d.), die Unsterblichkeit (s. d.) der Seele, die Existenz Gottes (s. Moralbeweis) (Definitionen des Postulates bei FRIES, Syst. d. Log. S. 293. BACHMANN, Syst. d. Log. S. 480, u. a.). - HERBART stellt vier psychologische Postulate auf: l) »Gegensatz und Ausschließungskraft der Vorstellungen untereinander.« 2) »Anhaftung des Begriffs der Negation an diejenige Vorstellungen, welche als Bilder gesetzt werden sollen.« 3) »Anhaftung neuer Position oder des Seins an die Bilder als Bilder.« 4) »Auffindung dieses Seins der Bilder in der Reihe des übrigen, das da sei und abgebildet werde, zum Behuf der Subsumtion« (Hauptp. d. Met. S. 81 ff.).
Nach E. LAAS sind Postulate »notwendige Voraussetzungen für irgend eine durch praktische oder theoretische Nützlichkeit empfohlene Vorstellung oder Verfahrensweise« (Ideal. u. Positiv. III, 249 f.. Kants Analog. d. Erfahr. S. 175 ff.). Nach VOLKELT postuliert das Denken seine Verknüpfungen der Vorstellungen wie auch seinen Inhalt als transsubjektiv (s. d.) (Erfahr. u. Denk. S. 187 ff. 190). Postulate sind nach SIGWART »Sätze, welche weder weiter zu begründen und abzuleiten noch als unmittelbar und notwendig gewiß anzunehmen möglich ist« (Log. I2, 412). Ein Postulat ist es, »daß das Seiende als notwendig erkennbar, d.h. nach allgemeinen Gesetzen bestimmt sei« (l. c. S. 421), ferner, daß »unser wirkliches Tun sich einem einheitlichen Zwecke unterordnen lasse« (l. c. II2, 19). Die Erkenntnispostulate sind Gesetze, welche der Verstand sich selbst in der Erforschung und denkenden Bearbeitung der Natur gibt, sie sind apriorisch, »weil keine Erfahrung ausreicht, sie in ihrer unbedingten Allgemeinheit uns zu offenbaren« (l. c. II, 22 f.. ähnlich RIEHL, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. Bd. 1, S. 365 ff.). Nach WUNDT sind die logischen Denkgesetze zugleich Postulate des Denkens (Log. I2, 5O1 f.). Das »Postulat von der Begreiflichkeit der Erfahrung« ist die Forderung, »daß alles, was Gegenstand unserer Erfahrung wird, in einem durchweg begreiflichen Zusammenhang sich befinde« (l. c. S. 89 f.). Nach J. SCHULTZ sind die mathematisch-logischen Axiome »Forderungssätze«, welche auf vererbten Assoziationsgewohnheiten beruhen, die in der Form von Trieben sich geltend machen (Psychol. d. Axiome, 1899).