Phänomenalismus

Phänomenalismus: Phänomen-Standpunkt, Lehre, daß uns nicht (die) Dinge an sich (s. d.), sondern nur (ihre) Erscheinungen (s. d.), Phänomene, gegeben sind, daß wir nur solche erkennen, sowohl in der Wissenschaft (empirischer Phänomenalismus) als auch philosophisch (metaphysischer Phänomenalismus): Wir erkennen die Dinge nur so, wie unsere psychophysische Organisation auf die Einwirkungen derselben reagiert. So berechtigt auch der Phänomenalismus für die Naturwissenschaft ist, so unmöglich es ist, das An-sich (s. d.) der Außendinge unmittelbar zu erfassen, so läßt sich doch: 1) das Subjekt, Ich (s. d.) des Erkennenden selbst unmittelbar als ein An-sich, 2) das An-sich der Außendinge mittelbar, durch Anwendung der Kategorien (s. d.) und durch metaphysische Introjektion (s. d.), wenigstens allgemein bestimmen (s. Transzendenz).

Zum Phänomenalismus neigt die Lehre HUMES (vgl. MERIAN, Sur le phénoménisme de D. Hume 1793), KANT begründet den Standpunkt durch seine Lehre von der Subjektivität (s. d.) der Anschauungsund Denkformen und von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich (s. d.). Nach BECK sind überhaupt nur Erscheinungen (s. d.) gegeben. - AD. WEISHAUPT erklärt, »daß Körper, Materie und Ausdehnung, als solche betrachtet, Erscheinungen seien, hinter welchen uns diese unbekannten Naturkräfte fühlbar werden« (Üb. Material. u Ideal. S. 101), ferner »daß selbst unser Körper so wie unsere Organisation als solche auch nur Erscheinungen seien. daß diese Wörter und Redensarten an und für sich nichts weiter ausdrücken, als die uns eben so unbekannte Rezeptivität unserer Vorstellungskraft« (l. c. S. 111 f.). Nach BOUTERWEK erkennen wir nirgends eine Kraft als etwas an sich. »Nur in den Verhältnissen, in welchen das Dasein sich selbst offenbart, erkennen wir wirkliche Kräfte« (Lehrb. d. philos. Wissensch I, 117 f.). - Nach GENOVESI ist die Welt ein Phänomen. aus den Phänomenen bildet die Wissenschaft intellektuelle Welten (Elem. di scienze metaf.2, 1766). Phänomenalisten sind A. COMTE (s. Positivismus), W. HAMILTON, SCHOPENHAUER, F. A. LANGE, nach welchem wir die Dinge nur in ihrer Abhängigkeit von unserer psychophysischen Organisation erkennen (gesch. d. Mat. II, 5 u. ö.), HELMHOLTZ, der die (bloß) symbolische Erkenntnis der Wirklichkeit lehrt, H. SPENCER, nach welchem das Wesen des Absoluten unerkennbar ist (First Princ S. 169), COLLYNS-SIMON (Univ. Immat.), MANSEL, BRADLEY (A Defence of Phenomenalism in Psychol., Mind IX, N. S. 1900, p. 26 ff.), LAWROW, BOSTRÖM, K. BÖHM (Der Mensch u. seine Welt 1883/93), RENOUVIER, nach welchem das Bewußtsein ist »l'unique objet de connaissance que nous puissions trouver au fond des phénomènes« (= »le phénoménisme«, Nouv. Monadol. p. 111 f.. vgl. Ess. de crit.), E. BOIRAC (L'idée de Phénomén. 1894), FRANCELIN MARTIN (La percept. extérieure et la science posit. 1894) u. a. Nach O. LIEBMANN ist die Außenwelt »nur ein Phänomen innerhalb unserer wahrnehmenden Intelligenz und daher den Gesetzen derselben unterworfen« (Anal. d. Wirkl.2, S. 238). Nach HELLENBACH ist unsere Bewußtseinswelt nur ein »Flächenbild« des unbekannten Dinges an sich (Der Individual. S. 4). Phänomenalist ist auch H. LORM (Grundlos. Optimism. S. 174 ff.). FR. SCHULTZE betont: »Die ganze für uns erkennbare Welt... ist für uns nichts anderes als ein intellektuelles Phänomen, Erscheinung in unserem Geist. Was wir als Welt kennen, ist nicht das an sich extra animam Existierende. es ist durch und durch Vorstellung in anima« (Philos. d. Natur II, 61). Nach RIEHL sind die Vorstellungen Erscheinungen der Dinge im Bewußtsein (Philos. Krit. I, 391). Der »Satz der Phänomenalität« lautet nach DILTHEY: »Gegenstand, Ding ist nur für ein Bewußtsein und in einem Bewußtsein da« (Urspr. uns. Glaub. an d. Real. d. Außenwelt S. 977). Aber der Phänomenalismus wird durchbrochen durch die lebendige Erfassung des Nicht-Ich (s. Objekt): »Die äußere Wirklichkeit ist in der Totalität unseres Selbstbewußtseins nicht als bloßes Phänomen gegeben, sondern als Wirklichkeit, indem sie wirkt, dem Willen widersteht und dem Gefühl in Lust und Wehe da ist. In dem Willensanstoß und Willenswiderstand werden wir innerhalb unseres Vorstellungszusammenhanges eines Selbst inne und gesondert von ihm eines anderen. Aber dies andere ist nur mit seinen prädikativen Bestimmungen für unser Bewußtsein da, und die prädikativen Bestimmungen erhellen nur Relationen zu unseren Sinnen und unserem Bewußtsein: das Subjekt oder die Subjekte selber sind nicht in unseren Sinneseindrücken« (Einleit. I, 469). Das Erkennen kann nur »die konstanten Beziehungen von Teilinhalten feststellen, welche in den mannigfachen Gestalten des Naturlebens wiederkehren« (l. c. S. 469). Nach R. WAHLE kennen wir nur »Vorkommnisse«, nicht die objektiven Faktoren der Dinge (Gehirn u. Bewußts. 1884. Das Ganze d. Philos.). Nach TH. LÖWY sind die Objekte nur Reihen von Sinnesinhalten (Die Vorstell. d. Dinge S. 241 ff.). Einen »realistischen« Phänomenalismus lehrt hingegen L. DILLES. Die Dinge sind an sich überräumlich, hängen aber mit der Wahrnehmungswelt zusammen, welche in jedem Teile durch die Dinge an sich bestimmt ist, auf diese hinweist (Weg zur Met. S. 114 ff.). Vgl. Erscheinung, Subjektivismus, Relativismus,: Transcendenz, Objekt, Ding, Wirklichkeit.


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