Parallelismus, psychophysischer
Parallelismus, psychophysischer, ist dasjenige Verhältnis von Seele (s. d.) und Leib, das nicht in einer Wechselwirkung (s. d.), sondern in einem bloßen einander »Parallelgehen« beider Arten von Prozessen, der psychischen und der physischen, besteht. Jedem psychischen Vorgang im Organismus (bezw. in allen Dingen) entspricht, ist zugeordnet (koordiniert) bezw. ist begrifflich zuzuordnen ein physisches Korrelat, und umgekehrt (scil. überall da, wo die Coordination einen Sinn hat). Diese Koordination ist empirische Tatsache. Erklärt man die Theorie des psychophysischen Parallelismus als bloßen Ausdruck dieser Tatsache, ohne metaphysisch damit das letzte Wort zu sagen, so ist das ein empirischer (phänomenaler) oder ein bloß regulativer »Parallelismus« (P. als »Arbeitsprinzip«). Gefordert wird er: 1) durch das »Postulat der Geschlossenheit der Kausalität,« insbesondere der Naturkausalität, wonach der Zusammenhang in einer Reihenordnung des Geschehens konstant, ohne Durchbrechung der Reihe, aufzusuchen, zu postulieren ist, um dem Identitätsprinzip und der konsequenten Anwendung des Satzes vom Grunde auf den bestimmten Inhalt der Erfahrung (der äußeren: physikalische, der inneren: psychische Kausalität) treu zu bleiben und Einheit, Gesetzmäßigkeit der Erkenntnisinhalte zu gewinnen. 2) durch den Umstand, daß das »Physische« (s. d.), der Inbegriff des »Objektiven« (s. d.) als solchen nicht eine absolut selbständige, sondern nur eine relative Realität hat, nämlich die der Beziehung des »An-sich« der Wirklichkeit auf das erkennende Subjekt. Das Physische als eine Form und ein Produkt der denkenden Verarbeitung der Realität, ist durch das Psychische, durch das, Bewußtsein schon bedingt und kann daher nicht auf dasselbe »wirken«. Es kann nur je einem Teilinhalte der einen (psychologischen) ein Teilinhalt der anderen (physikalischen) Betrachtungsweise »coordiniert« werden, um die Einheit und Ganzheit der Gesamterfahrung zu bewahren, bezw. herzustellen. Das »An-sich« der Objekte, die »transzendenten Faktoren« (s. d.) wirken auf das Ich, dieses auf jene, aber zwischen dem Psychischen und dem Physischen kann nur ein »Parallelismus« bestehen. - Vom empirischen (phänomenalen) ist der metaphysische Parallelismus zu unterscheiden. Dieser ist entweder dualistisch (s. d.) oder monistisch. im ersten Fall nimmt er zwei selbständige Wesenheiten an, deren Bestimmtheiten einander parallel gehen, im zweiten aber nur eine Wesenheit mit zwei Attributen oder Erscheinungsweisen, die einander wechselseitig entsprechen, weil sie Darstellungen, Daseinsweisen einer Wirklichkeit sind. Endlich gibt es einen partialen und einen universalen Parallelismus. letzterer nimmt zu jedem psychischen Vorgang einen physischen Parallelvorgang an und umgekehrt (Panpsychismus, s. d.). Semiparallelismus kann jener Pseudoparallelismus (eigentl. psychophysischer Materialismus, s. d.) genannt werden, nach welchem das Psychische keine Kausalität hat, sondern nur dem (es bewirkenden) physischen Geschehen parallel geht (als Begleiterscheinung).
Ein dualistischer Parallelismus findet sich zuerst bei den Occasionalisten (s. d.). So bemerkt MALEBRANCHE: »Toute l'alliance de l'esprit et du corps, qui nous est connue, consiste dans une correspondance naturelle et mutuelle des pensées de l'âme avec les traces du cerveau, et des émotions de l'âme avec les mouvements des esprits animaux« (Rech. II, 5). Ähnlich später BONNET (Ess. de Psychol., Préf.), HARTLEY (s. Assoziation), CHR. WOLF (Vern. Ged. I, § 812), SCHILLER: »Die Tätigkeiten des Körpers entsprechen den Tätigkeiten des Geistes« (Üb. d. Zusammenh. d. tier. Nat. d. Mensch. mit sein. geist. §12) u. a. LEIBNIZ lehrt in seiner Hypothese von der prästabilierten Harmonie (s. d.) einen Parallelismus zwischen Seele und Leib, die ihm als zwei Wesenheiten gelten. - SPINOZA hingegen begründet den Standpunkt der Identitätsphilosophie (s. d.), einen (halb-)monistischen Parallelismus, wonach ein und dasselbe Wesen zwei Attribute hat, die einander coordiniert sind, ohne aufeinander einzuwirken. jede Reihe ist in sich geschlossen. »Cuiuscunque attributi modi Deum quatenus tantum sub illo attributo, cuius mundi sunt, et non quatenus sub ullo alio consideratus, pro causa habent« (Eth. II, prop. VI). »Sic etiam modus extensionis et idea illius modi una eademque est res sed duobus modis expressa« (l. c. schol.). »Nec corpus mentem ad cogitandum, nec mens corpus ad motum, neque ad quietem, nec ad aliquid (si quis est) aliud determinare potest.« - »Omnes cogitandi modi Deum, quatenus res est cogitans et non quatenus alio attributo explicatur, pro causa habent. Id ergo, quod mentem ad cogitandum determinat, modus cogitandi est et non extensionis, hoc est non est corpus: quod erat primum. Corporis deinde motus et quies ab alio oriri debet corpore, quod etiam ad motum vel quietem determinatum fuit ab alio, et absolute, quicquid in corpore oritur, id a Deo oriri debuit, quatenus aliquo extensionis modo et non quatenus aliquo cogitandi modo affectus consideratur, hoc est, a mente, quae modus cogitandi est, oriri non potest« (Eth. III, prop. II u. dem.). Seele und Leib sind Daseinsweisen eines Wesens. »Unde fit, ut ordo sive rerum concatenatio una sit, sive natura sub hoc sive sub illo attributo concipiatur, consequenter ut ordo actionum et passionum corporis nostri simul sit natura cum ordine actionum et passionum mentis« (l. c. schol.) - DESTUTT DE TRACY erklärt: »Ces phénomènes intellectuels ne sont qu'une série de faits ou d'apparences, correspondante et pour ainsi dire parallèle à la série des actes mécaniques« (Elem. d'idéol. V, p. 527). Ähnlich lehrt M. DE BIRAN (Oeuvr. I, p. 33, 39. III, p. 403). Durch KANTS Idealismus (s. Identitätsphilosophie) beeinflußt, nähert sich der Parallelismus vielfach der monistisch-idealistischen Form, indem die zwei »Attribute« Spinozas zu phänomenalen Daseinsweisen, Erscheinungsformen u. dgl. werden. SCHELLING betont: »Ein Kausalverhältnis zwischen einer freien Tätigkeit der Intelligenz und einer Bewegung ihres Organismus ist so wenig denkbar als das umgekehrte Verhältnis, da beide gar nicht wirklich, sondern nur ideell entgegengesetzt sind. Es bleibt also nichts übrig, als zwischen der Intelligenz, insofern sie frei tätig und insofern sie bewußtlos anschauend ist, eine Harmonie zu setzen« (Syst. d. tr. Ideal. S. 268, s. Identitätsphilosophie). ESCHENMAYER bemerkt: »Es ist des Versuches wert, zwischen der geistigen und leiblichen Reihe der Funktionen einen Parallelismus zu ziehen und die Proportionen des einen wieder im andern aufzusuchen« (Psychol. S. 6). STEFFENS verlangt die konsequente Durchführung des Parallelismus. »Eben der Parallelismus, streng aufgefaßt, schließt eine jede faselnde Verwechselung des Physischen mit dem Psychischen aus.« Es muß »eine jede psychische Erscheinung aus der Totalität des psychischen Zustandes erklärt werden« (Üb. d. wiss. Behandl. d. Psychol. S. 211. Vg1. CARUS, Vorl. üb. Psychol.). Von einem »Parallelismus« zwischen Seele und Leib spricht HILLEBRAND (Philos. d. Geist. I, 11). - SCHOPENHAUER erklärt: »Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte, verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis von Ursache und Wirkung, sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 18).
In die neuere Psychologie führt den Parallelismus-Standpunkt FECHNER ein. Es besteht ein »Parallelismus des Geistigen und Körperlichen« (Zend.-Av. II, 141). Physisches und Psychisches entsprechen einander ab das Außen- und Innensein eines und desselben Wesens, das sich selbst in verschiedener Weise erscheint (l. c. S. 141 ff.. Üb. d. Seelenfr. S. 210). Es besteht ein universaler Parallelismus (s. Identitätsphilosophie). Einen real-monistischen Parallelismus lehren in verschiedener Weise A. LANGE, PAULSEN (Einl. in d. Philos.2, S. 59 ff., 87 ff., 95 f., 115. Zeitschr. f. Philos. Bd. 115), HERING, HAECKEL, TAINE, TRESCHOW, SIBBERN u. a. Ferner H. SPENCER (Psychol. § 179), A. BAIN (Geist u. Körp. C. 7, S. 241. Log. II, p. 276 f.. Mind VIII, 402 ff.), HUXLEY (Man's Place in Nature 1864), P. CARUS (The Soul of Man 1891), LEWES (Probl. III, 19 ff.), CLIFFORD (Seeing and Think. 1879. Von d. Nat. d. Dinge an sich S. 36 ff., 40), GROT (Arch. f. syst. Philos. IV, 1898), HÖFFDING (Psychol.2, C. 2. Philos. Probl. S. 26 ff., 29 f.: Parallelismus als »empirische Formel«, »Arbeitshypothese«), nach welchem zur Parallelismuslehre das Gesetz der Erhaltung der Energie mit dem Gesetze der Beharrung führt, RIEHL. Nach ihm fordert das Gesetz der Erhaltung der Energie die Lückenlosigkeit des physischen Geschehens (Philos. Krit. II2, 178). Jeder Bewußtseinsmodification entspricht ein bestimmter materieller Vorgang, aber nicht immer umgekehrt (l. c. S. 196). »Wenn wir... sagen, daß den Empfindungen Bewegungen entsprechen, so ist dies so zu verstehen, daß ihnen Vorgänge entsprechen, welche den äußeren Sinnen, Tastsinn und Gesicht, als Bewegungen erscheinen und in der Vorstellungsweise dieser Sinne als Bewegungen gedacht werden müssen. Auch die Bewegung fällt noch in die Erscheinungswelt hinein« (l. c. S. 37). »Aus dem Energieprinzip folgt, daß der Verlauf der Vorgänge in der äußeren Natur ein in sich geschlossener ist. Jede physische Wirkung ist nach diesem Principe durch ihre physische Ursache völlig bestimmt, jede physische Ursache erschöpft sich durch ihre physische Wirkung... In diesen geschlossenen Naturverlauf nun kann eine nicht-physische Ursache nicht eingreifen, denn sie hätte nichts mehr zu bewirken... Psychische Funktionen also können in diesen Prozess weder als Ursachen noch als Wirkungen eingeschaltet sein« (Zur Einf. in d. Philos. S. 156 ff.). »Nicht irgend einer einzelnen Energieform also entspricht das Bewußtsein. sein objektives Gegenstück ist eine Struktur, der Bau des Nervensystemes, genauer die durch diese Struktur ermöglichte, durch sie geleitete Zusammenordnung von Energien« (l. c. S. 159). Der Ausdruck »psychophysischer Parallelismus« soll »nur als methodische Regel verstanden werden, die uns anweist, die psychologische Analyse der Bewußtseinserscheinungen als solcher mit der physiologischen ihrer körperlichen Begleiterscheinungen zu verbinden und so zu einer beiderseitigen Betrachtung derselben zu gelangen« (l. c. S. 159 f.). Der Parallelismus ist kein universaler (l. c. S. 161). JODL bemerkt: »Was... in der inneren Wahrnehmung als Vorstellung, Gefühl, Gedanke von bestimmtem Gehalt und bestimmter Färbung auftritt, das würde uns, wenn wir uns in demselben Moment zugleich als organischen Körper und in unserer physischen Struktur vollkommen durchsichtig vor Augen haben könnten, als eine Coordination molarer und molecularer Bewegungen der Zentralteile in Nervenzellen und Nervenfasern entgegentreten und umgekehrt« (Lehrb. d. Psychol. C. 2, § 24). ADICKES betont: »Psychisches läßt sich nie aus Physischem ableiten« (Kant contra Haeckel S. 66 ff.). Für den Parallelismus sind auch KREIBIG (Die Aufmerks. S. 70 ff.), SPAULDING (Beitr. zur Krit. d. psychophys. Parallel. 1902). ferner E. KÖNIG (Zeitschr. f. Philos. Bd. 115, S. 119, 138, 167, 169 ff.. ähnlich wie Wundt), EBBINGHAUS (Gr. d. Psychol. S. 31 ff.), HEYMANS, nach welchem zwischen der uns verborgenen Kausalität des Wirklichen und der uns gegebenen Naturgesetzmäßigkeit, als welche sich jene ins Bewußtsein projectiert, eine durchgehende Correspondenz stattfinden muß (Zeitschr. f. Psychol. 17. Bd., 62 ff., 70 ff.). Der »primären« Reihe der bewußten, psychischen Vorgänge ist coordiniert die sekundäre, physische, die Reihe möglicher Wahrnehmungen (l. c. S. 75 ff.), wobei Interpolationen notwendig sind (l. c. S. 79 ff.). Beide Reihen folgen verschiedenen Gesetzen (l. c. S. 76 f.). Die sekundäre ist von der primären Reihe abhängig (l. c. S. 90). - Einen Parallelismus »nur innerhalb der Erscheinungswelt«, da alles nur als Empfindung gegeben ist, nimmt SCHUBERT-SOLDERN an (Zeitschr. f. imman. Philos. I, 21).