Materie - Idealismus

Der erkenntnistheoretische Idealismus (s. d.) erblickt in der Materie nur einen für die Interpretation der Erfahrungen notwendigen Begriff oder eine Vorstellung. So SCHUBERT-SOLDNER, dem die Materie »ein räumliches Zusammen sinnlicher Qualitäten« ist, deren Grundlage der »qualitativ bestimmte, also anschauliche, konkrete Raum« ist (Gr. e. Erk. S. 59, 63). SCHUPPE definiert die Materie als einen »mit Sinnesqualitäten erfüllten Raum« (Log. S. 83). Ähnlich V. LECLAIR, M. KAUFFMANN (vgl. Immanenzphilosophie). COLLYNS-SIMON betont, »that there is no material substance in the Universe« ( Universal Immaterial. p. 198 ff.). Eine vom Erkennenden unabhängige Materie gibt es nicht nach J. F. FERRIER, GREEN, BRADLEY u. a. Nach H. COHEN ist die Materie die »objektivierte Empfindung«, » diejenige Gruppe von Erscheinungen des Bewußtseins, an welcher wir die andere Gruppe derselben, die psychischen, studieren müssen« (Princ. der Infin. S. 103). »Materielle Teilchen sind zunächst geometrische Punkte, an welchen dynamische Beziehungen verrechnet werden, und welche, sofern solche dynamischen Beziehungen der Rechnung gemäß unter ihnen obwalten, zu materiellen Punkten und Teilchen werden« (l.c. S. 134). Stoffliche Massenpunkte sind nicht anzunehmen (l.c. S. 135). Nach ZIEHEN ist die Materie nur eine allgemeine Hypothese, sie ist nicht Erlebnis, sondern zu den Empfindungen und Vorstellungen hinzugedacht als Ursache, als Inbegriff von Kraftzentren (Leitfad, d. physiol, Psychol.4, S. 25). Nach MÜNSTERBERG ist die Materie nicht in den wirklichen Dingen, sondern nur in den physikalischen Objekten, den Produkten einer Abstraktion, wirksam (Grdz. d. Psychol. I, 390). Sie ist ein »Abschlußbegriff für die Ausarbeitung der Objekte« (l.c. S. 391). Nach CLIFFORD ist die Materie »ein Gedankenbild, in dem Seelenstoff (›mind-stuff‹, s. d.) das vorgestellte Ding ist«, ein Bild des Wirklichen im Geiste (V. d. Nat. d. Dinge an sich S. 47). Nach E. MACH ist die Materie nur »ein Gedankensymbol für Empfindungen« (Populärwiss. Vorles. S. 230), »ein gewisser gesetzmäßiger Zusammenhang der Elemente«, wobei das »Verbindungsgesetz« das Beständige ist (Analys. d. Empfind. S. 222 f.). »Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Zusammenhang der Farben, Töne u.s.w., außer den sogenannten Merkmalen« (Analys. d. Empfind.4, S. 5). Die Annahme eines Stoffes als absoluten Trägers der Kraft ist eine Illusion. So auch nach OSTWALD, der den Begriff der Materie ganz eliminieren und durch den der Energie (s. d.) ersetzen will (Überwind. d. wissensch. Material.). Materie ist nichts als »eine räumlich zusammengesetzte Gruppe verschiedener Energien« (l.c. S. 28), ein »räumlich zusammengeordneter Komplex gewisser Energien« (Vorl. üb. Naturphilos.2, S. 245). » Dadurch..., daß eine Anzahl von Eigenschaften, wie Masse, Gewicht, Volum, Gestalt und Farbe, dauernd örtlich beisammen bleibt und sich zum Teil gar nicht (wenigstens nicht meßbar), zum Teil nur in geringem Maße mit der Zeit und den äußeren Umständen ändert, ist der Begriff eines von aller Zeit und allen Umständen unabhängigen Trägers entstanden, an dem diese Eigenschaften haften« (Energet. S. 5). Ähnlich lehrt TAIT (Properties of Matter 1886; vgl. auch die Arbeiten STALLOS). H. CORNELIUS betont: »Von einem Gegensatze zwischen der Welt der Erscheinungen und einer unabhängig von diesen Erscheinungen bestehenden materiellen Welt im Sinne eines Gegensatzes 'bloßer Erscheinung' und 'wahren Seins' ist hier nicht mehr die Rede: die materielle Welt ist ihrer empirischen Bedeutung nach nur ein abgekürzter Ausdruck für die gesetzmäßigen zusammenhänge der Erscheinungen.« Die »Massen« und »Kräfte« sind nichts als solche Zusammenhänge; »der Wert dieser Begriffe beruht nur darin, daß durch ihre Einführung die Beschreibung unserer Erfahrungen eine Vereinfachung erfährt« (Einleit. in d. Philos. S. 327). - Gegen die »reine Energetik« sind WUNDT, E. V. HARTMANN U. a. RIEHL bemerkt: »In den Kapazitäten... steckt der empirische Begriff der Materie, und statt diesen Begriff wirklich eliminieren zu können, hat die Energetik ihn nur anders benannt. Mag die Materie immerhin ein Abstraktum sein, darum ist sie noch kein bloßes Gedankending; Sie ist überhaupt kein Ding, sondern die Vorstellungsart von Dingen durch die äußeren Sinne.« In jedem physikalischen Erscheinungsgebiete treffen wir auf besondere Größen, die wir uns naturgemäß nur unter dem Bilde der Materie vorstellen können. »Wir werden die Materie nicht los wie wir den Raum nicht los werden« (Zur Einf. in d. Philos. S. 148 f.). Vgl. J. C. S. SCHILLER, Riddles of the Sphinx2, 1894; KRAMAR, Das Problem d. Materie; SIGWART, Log. II2, 244 ff., 705; MAXWELL, Matter and Motion, dtsch. 1875; BAEUMKER, Problem d. Materie; CHERVREUIL, Résumé d'une histoire de la matière 1878. Vgl. Körper, Objekt, Substanz, Kraft, Unendlichkeit, Atom, Element, Materiell.


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