Individuation

Individuation: Sonderung des Allgemeinen in Individuen, Besonderung in Einzelwesen. Principium individuationis: das Prinzip, der Entstehungsgrund der Existenz von Einzelwesen, von Besonderheiten. Diesen Grund verlegt man bald in die Form, bald in den Stoff, bald in deren Vereinigung; bald in unsern Intellekt (in die Anschauungsformen), bald in den Willen, die Willenskräfte (Triebe) der Dinge selbst, die sich als Einzelwesen behaupten und erhalten (idealistische, realistische Auffassung der Individuation). Die Individuation gilt bald als ursprünglich, bald als aus einem ursprünglich Allgemeinen, Einheitlichen (durch Emanation, Evolution, Differenzierung, »Abfall« u.s.w.) entstanden. Vgl. Werden. Nach ARISTOTELES beruht die Individuation auf der Verbindung der »Form« (s. d.) mit dem »Stoffe« (s. d.) zu einem synolon, einem Bestimmten (tode ti), wobei aber der Vielheitsgrund im Stoffe liegt (hosa arithmô polla, hylên echei. heis gar logos kai ho autos pollôn, Met. XII S, 1074a 33). So auch AVICENNA: »Individuorum multitudo fit omnis per divisionem materiae« (In Met. XI, 1). »Cum enim materia sola principium sit individuationis et nihil sit singulare nisi materia vel per materiam..., omnes fomas potentia esse in materia et per motum educi de ipsa« (PRANTL, G. d. L. III, 97). So auch ALBERTUS MAGNUS. THOMAS bezeichnet die »materia signata vel individualis«, den bestimmten (konkreten) Stoff (z.B. haec carnes) als »principium individuationis« (Sum. th. III, qu. 77, 2). Die »materia sensibus signata« ist »individuationis et singularitatis principium« (1 cael. 19b; Sum. th. I, 3, 2: »Formae, quae sunt receptibiles, in materia individuantur per materiam, quae non potest esse in alio«). »Materia non quomodolibet accepta est principium individuationis, sed solum materia signata« (De ente et ess. 2). Nach BONAVENTURA gibt die Form das »aliquid esse«, der Stoff das »hoc esse« (In 1. sent. III, 1, 1, 3). »Individuatio est ex communicatione materiae cum forma« (l.c. III, 10, 1, 3). In die Form setzt die Individuation DUNS SCOTUS. Die Form macht die »quidditas« zur »haecceïtas« (s. d.) (In l. sent. 2, dist. 3, qu. 6, 11). »Unitas individui consequitur aliquam entitatem aliam determinantem istam, et illa faciet unum per se cum entitate naturae« (l.c. 2, d. 1, 3, qu. 6, 9). Der Nominalismus (s. d.) setzt die Individuation in das Dasein des Wesens selbst, nicht in ein Universales, das zum Individuum erst determiniert. WILHELM VON OCCAM betont: »Quaelibet res singularis se ipsa est singularis, unum per se« (vgl. PRANTL, G. d. L. III, 359 f.). Es gibt in Wirklichkeit nur Individuelles: »Omnis res positiva extra animam eo ipso est singularis« (In 1. sent. 1, d. 2, qu. 7). Wie G. BIEL (In 1. sent. 2, d. 3, qu. 1) erklärt SUAREZ: »Omnis substantia singularis se ipsa seu per entitatem suam est singularis neque alio indiget individuationis principio per suam entitatem« (Met. disp. 5, sct. 6, 1). Ähnlich PETRUS AUREOLUS, F. HERVEUS (In quodl. 3, qu. 9), GREGOR VON RIMINI, DURAND VON ST. POURÇAIN, NICOLAUS CUSANUS (»ut quodlibet per se sit unum«, Doct. ignor. III, 4), P. STAHL (Comp. met. C. 35), LEIBNIZ (De princ. indiv. § 4). SPINOZA hingegen betrachtet die Determination (s. d.), die individuelle Bestimmtheit als »Negation«, Einschränkung des Allgemeinen (»omnis determinatio est negatio«). Die Betrachtung des Alls als Summe von Individuen ist die Erkenntnisart der »imaginatio«, nicht der spekulativen Vernunft. CHR. WOLF: »Per principium individuationis intelligitur ratio sufficientis intrinseca individui... cur ens aliquod fit singulare« (Ontol. § 228 f.).

Nach ECKHART liegt das Individuationsprinzip in der raum-zeitlichen Bestimmtheit, im »hic et nunc«. Nach LOCKE ist das Individuationsprinzip »das Dasein selbst, welches einem Dinge für eine besondere Zeit und Raumstelle bestimmt wird, indem diese zwei Dingen derselben Art nicht zugeteilt werden können« (Ess. II, ch. 27, § 3; vgl. Identitatis indiscernib. princ.: KANT). Nach HUME ist das Prinzip der Individuation »nichts als die Unveränderlichkeit und Ununterbrochenheit eines Gegenstandes während des von uns angenommenen Wechsels in der Zeit, vermöge welcher der Geist dem Objekt in den verschiedenen Momenten seiner Existenz nachgehen kann, ohne die Betrachtung zu unterbrechen und gezwungen zu sein, die Vorstellung der Mehrheit oder Anzahl zu bilden« (Treat. IV, sct. 2, S. 268).

SCHOPENHAUER betrachtet (wie der idealistische Pantheismus, s. d.) die Individuation nicht als metaphysische, sondern nur als empirisch- phänomenale Tatsache, als Produkt unserer subjektiven Auffassung des Seins. Raum und Zeit, die Anschauungsformen, sind »principia individuationis« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 63). »Wir wissen, daß die Vielheit überhaupt notwendig durch Zeit und Raum bedingt und nur in ihnen denkbar ist, welche wir in dieser Hinsicht das principium individuationis nennen« (l.c. § 25). »Die Individuation ist bloße Erscheinung, entstehend mittelst Raum und Zeit, welche nichts weiter als die durch mein cerebrales Erkenntnisvermögen bedingten Formen aller seiner Objekte sind; daher auch die Vielheit und Verschiedenheit der Individuen bloße Erscheinung, d.h. nur in meiner Vorstellung vorhanden ist« (Üb. d. Grundl. d. Mor. § 22). Der »Wille zum Leben« (s. d.) ist Einheit.

J. H. FICHTE verlegt den Individuationsgrund in den Willen. »Das Denken ist das Allgemeine, zugleich gemeinsam Machende (der koinos logos) in den Geistern; der Wille das Individualisierende in ihnen, zugleich der Grund ihrer individuellen Sonderung« (Psychol. II, 79). Vgl. Vielheit.


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