I. Von der Philosophie als einem System


Wenn Philosophie das System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe ist, so wird sie schon dadurch von einer Kritik der reinen Vernunft hinreichend unterschieden, als welche zwar eine philosophische Untersuchung der Möglichkeit einer dergleichen Erkenntnis enthält, aber nicht als Teil zu einem solchen System gehört, sondern so gar die Idee desselben allererst entwirft und prüfet.

Die Einteilung des Systems kann zuerst nur die in ihren formalen und materialen Teil sein, davon der erste (die Logik) bloß die Form des Denkens in einem System von Regeln befaßt, der zweite (reale Teil) die Gegenstände darüber gedacht wird, so fern ein Vernunfterkenntnis derselben aus Begriffen möglich ist, systematisch in Betrachtung zieht.

Dieses reale System der Philosophie selbst kann nun nicht anders als nach dem ursprünglichen Unterschiede ihrer Objekte und der darauf beruhenden wesentlichen Verschiedenheit der Prinzipien einer Wissenschaft, die sie enthält, in theoretische und praktische Philosophie eingeteilt werden; so, daß der eine Teil die Philosophie der Natur, der andere die der Sitten sein muß, von denen die erstere auch empirische, die zweite aber (da Freiheit schlechterdings kein Gegenstand der Erfahrung sein kann) niemals andere als reine Prinzipien a priori enthalten kann.

Es herrscht aber ein großer und selbst der Behandlungsart der Wissenschaft sehr nachteiliger Mißverstand in Ansehung dessen, was man für praktisch, in einer solchen Bedeutung zu halten habe, daß es darum zu einer praktischen Philosophie gezogen zu werden verdiente. Man hat Staatsklugheit und Staatswirtschaft, Haushaltungsregeln, imgleichen die des Umgangs, Vorschriften zum Wohlbefinden und Diätetik, so wohl der Seele als des Körpers, (warum nicht gar alle Gewerbe und Künste?) zur praktischen Philosophie zählen zu können geglaubt; weil sie doch insgesamt einen Inbegriff praktischer Sätze enthalten. Allein praktische Sätze sind zwar der Vorstellungsart, darum aber nicht dem Inhalte nach von den theoretischen, welche die Möglichkeit der Dinge und ihre Bestimmungen enthalten, unterschieden, sondern nur die allein, welche die Freiheit unter Gesetzen betrachten. Die übrigen insgesamt sind nichts weiter, als die Theorie von dem, was zur Natur der Dinge gehört, nur auf die Art, wie sie von uns nach einem Prinzip erzeugt werden können, angewandt, d.i. die Möglichkeit derselben durch eine willkürliche Handlung (die eben so wohl zu den Naturursachen gehört) vorgestellt. So ist die Auflösung des Problems der Mechanik: zu einer gegebenen Kraft, die mit einer gegebenen Last im Gleichgewichte sein soll, das Verhältnis der respektiven Hebelarme zu finden, zwar als praktische Formel ausgedrückt, die aber nichts anders enthält als den theoretischen Satz: daß die Länge der letzteren sich umgekehrt wie die erstern verhalten, wenn sie im Gleichgewichte sind; nur ist dieses Verhältnis, seiner Entstehung nach, durch eine Ursache, deren Bestimmungsgrund die Vorstellung jenes Verhältnisses ist, (unsere Willkür) als möglich vorgestellt. Eben so ist es mit allen praktischen Sätzen bewandt, welche bloß die Erzeugung der Gegenstände betreffen. Wenn Vorschriften, seine Glückseligkeit zu befördern, gegeben werden und, z.B., nur von dem die Rede ist, was man an seiner eigenen Person zu tun habe, um der Glückseligkeit empfänglich zu sein, so werden nur die innere Bedingungen der Möglichkeit derselben, an der Genügsamkeit, an dem Mittelmaße der Neigungen, um nicht Leidenschaft zu werden, u.s.w. als zur Natur des Subjekts gehörig und zugleich die Erzeugungsart dieses Gleichgewichts, als eine durch uns selbst mögliche Kausalität, folglich alles als unmittelbare Folgerung aus der Theorie des Objekts in Beziehung auf die Theorie unserer eigenen Natur (uns selbst als Ursache) vorgestellt: mithin ist hier die praktische Vorschrift zwar der Formel, aber nicht dem Inhalte nach von einem theoretischen unterschieden, bedarf also nicht zu einer besondern Art von Philosophie, um diese Verknüpfung von Gründen mit ihren Folgen einzusehen. - Mit einem Worte: alle praktischen Sätze, die dasjenige, was die Natur enthalten kann, von der Willkür als Ursache ableiten, gehören insgesamt zur theoretischen Philosophie, als Erkenntnis der Natur, nur diejenigen, welche der Freiheit das Gesetz geben, sind dem Inhalte nach spezifisch von jenen unterschieden. Man kann von den erstern sagen: sie machen den praktischen Teil einer Philosophie der Natur aus, die letztern aber gründen allein eine besondere praktische Philosophie.


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