3. Zweck der Kunst

 

Was nun die Kunst in Beziehung auf moralische Besserung betrifft, so läßt sich darüber zunächst dasselbe als über den Zweck der Belehrung sagen. Daß die Kunst in ihrem Prinzip nicht das Immoralische und dessen Beförderung zur Absicht haben dürfe, ist leicht zuzugeben. Aber ein anderes ist, sich die Immoralität, ein anderes, sich nicht das Moralische zum ausdrücklichen Zwecke der Darstellung zu machen. Aus jedem echten Kunstwerke läßt sich eine gute Moral ziehen, doch kommt es dabei allerdings auf eine Erklärung und deshalb auf den an, welcher die Moral herauszieht. So kann man die unsittlichsten Schilderungen damit verteidigen hören, daß man das Böse, die Sünde kennen müsse, um moralisch zu handeln; umgekehrt hat man gesagt, die Darstellung der Maria Magdalena, der schönen Sünderin, die nachher Buße getan, habe schon viele zur Sünde verführt, weil es die Kunst so schön erscheinen lasse, Buße zu tun, wozu denn gehöre, vorher gesündigt zu haben. - Die Lehre von der moralischen Besserung aber, konsequent durchgeführt, wird nicht damit zufrieden sein, daß aus einem Kunstwerk auch eine Moral herausgedeutet werden könne, sondern sie wird im Gegenteil die moralische Lehre deutlich als den substantiellen Zweck des Kunstwerks hervorleuchten lassen wollen, ja selber ausdrücklich nur moralische Gegenstände, moralische Charaktere, Handlungen und Begebenheiten für die Darstellung erlauben. Denn die Kunst hat die Wahl bei ihren Gegenständen im Unterschiede der Geschichtsschreibung oder der Wissenschaften, denen ihr Stoff gegeben ist.

Um nach dieser Seite hin die Ansicht von dem moralischen Zwecke der Kunst gründlich beurteilen zu können, fragt es sich vor allem nach dem bestimmten Standpunkte des Moralischen, der von dieser Ansicht prätendiert wird. Fassen wir den Standpunkt der Moral, wie wir dieselbe heutigentags im besten Sinne des Wortes zu nehmen haben, näher ins Auge, so ergibt sich bald, daß ihr Begriff nicht mit dem, was wir sonst schon überhaupt Tugend, Sittlichkeit, Rechtschaffenheit usf. nennen, unmittelbar zusammenfalle. Ein sittlich tugendhafter Mensch ist darum nicht auch schon moralisch. Denn zur Moral gehört die Reflexion und das bestimmte Bewußtsein über das, was das Pflichtgemäße ist, und das Handeln aus diesem vorhergegangenen Bewußtsein. Die Pflicht selbst ist das Gesetz des Willens, das der Mensch jedoch frei aus sich feststellt und nun zu dieser Pflicht der Pflicht und ihrer Erfüllung wegen sich entschließen soll, indem er das Gute nur tut aus der gewonnenen Überzeugung heraus, daß es das Gute sei. Dies Gesetz nun aber, die Pflicht, welche um der Pflicht willen zur Richtschnur aus freier Überzeugung und innerem Gewissen gewählt und ausgeführt wird, ist für sich das abstrakt Allgemeine des Willens, das seinen direkten Gegensatz an der Natur, den sinnlichen Trieben, den eigensüchtigen Interessen, den Leidenschaften und an allem hat, was man zusammengefaßt Gemüt und Herz nennt. In diesem Gegensatze ist die eine Seite so betrachtet, daß sie die andere aufhebt, und da sie beide als entgegengesetzt im Subjekt vorhanden sind, so hat dasselbe, als sich aus sich entschließend, die Wahl, der einen oder der anderen zu folgen. Moralisch aber wird solcher Entschluß und die ihm gemäß vollführte Handlung nach diesem Standpunkte nur durch die freie Überzeugung von der Pflicht einerseits und durch die Besiegung nicht nur des besonderen Willens, der natürlichen Triebfedern, Neigungen, Leidenschaften usf., sondern auch der edlen Gefühle und höheren Triebe andererseits. Denn die moderne moralische Ansicht geht von dem festen Gegensatze des Willens in seiner geistigen Allgemeinheit und seiner sinnlichen natürlichen Besonderheit aus und besteht nicht in der vollendeten Vermittlung dieser entgegengesetzten Seiten, sondern in ihrem wechselseitigen Kampfe gegeneinander, welcher die Forderung mit sich führt, daß die Triebe, in ihrem Widerstreit gegen die Pflicht, derselben weichen sollten.

Dieser Gegensatz nun tritt für das Bewußtsein nicht nur in dem beschränkten Gebiete des moralischen Handelns auf, sondern tut sich als eine durchgreifende Scheidung und Entgegensetzung dessen hervor, was an und für sich, und dessen, was äußere Realität und Dasein ist. Ganz abstrakt gefaßt, ist es der Gegensatz des Allgemeinen, das für sich in derselben Weise gegen das Besondere wie dieses seinerseits gegen das Allgemeine fixiert wird; konkreter erscheint er in der Natur als Gegensatz des abstrakten Gesetzes gegen die Fülle der einzelnen, für sich auch eigentümlichen Erscheinungen; im Geist als das Sinnliche und Geistige im Menschen, als der Kampf des Geistes gegen das Fleisch, der Pflicht um der Pflicht willen, des kalten Gebotes mit dem besonderen Interesse, warmen Gemüt, den sinnlichen Neigungen und Antrieben, dem Individuellen überhaupt; als der harte Gegensatz der inneren Freiheit und der äußeren Naturnotwendigkeit; ferner als der Widerspruch des toten, in sich leeren Begriffs im Angesicht der vollen konkreten Lebendigkeit, der Theorie, des subjektiven Denkens, dem objektiven Dasein und der Erfahrung gegenüber.

Dies sind Gegensätze, die nicht etwa der Witz der Reflexion oder die Schulansicht der Philosophie sich erfunden, sondern die von jeher in mannigfacher Form das menschliche Bewußtsein beschäftigt und beunruhigt haben, wenn sie auch am schärfsten durch die neuere Bildung erst ausgeführt und auf die Spitze des härtesten Widerspruchs hinaufgetrieben sind. Die geistige Bildung, der moderne Verstand bringt im Menschen diesen Gegensatz hervor, der ihn zur Amphibie macht, indem er nun in zwei Welten zu leben hat, die sich widersprechen, so daß in diesem Widerspruch nun auch das Bewußtsein sich umhertreibt und, von der einen Seite herübergeworfen zu der anderen, unfähig ist, sich für sich in der einen wie in der anderen zu befriedigen. Denn einerseits sehen wir den Menschen in der gemeinen Wirklichkeit und irdischen Zeitlichkeit befangen, von dem Bedürfnis und der Not bedrückt, von der Natur bedrängt, in die Materie, sinnlichen Zwecke und deren Genuß verstrickt, von Naturtrieben und Leidenschaften beherrscht und fortgerissen; andererseits erhebt er sich zu ewigen Ideen, zu einem Reiche des Gedankens und der Freiheit, gibt sich als Wille allgemeine Gesetze und Bestimmungen, entkleidet die Welt von ihrer belebten, blühenden Wirklichkeit und löst sie zu Abstraktionen auf, indem der Geist sein Recht und seine Würde nun allein in der Rechtlosigkeit und Mißhandlung der Natur behauptet, der er die Not und Gewalt heimgibt, welche er von ihr erfahren hat. Mit dieser Zwiespältigkeit des Lebens und Bewußtseins ist nun aber für die moderne Bildung und ihren Verstand die Forderung vorhanden, daß solch ein Widerspruch sich auflöse. Der Verstand jedoch kann sich von der Festigkeit der Gegensätze nicht lossagen; die Lösung bleibt deshalb für das Bewußtsein ein bloßes Sollen, und die Gegenwart und Wirklichkeit bewegt sich nur in der Unruhe des Herüber und Hinüber, das eine Versöhnung sucht, ohne sie zu finden. Da ergeht denn die Frage, ob solch allseitiger durchgreifender Gegensatz, der über das bloße Sollen und Postulat der Auflösung nicht hinauskommt, das an und für sich Wahre und der höchste Endzweck überhaupt sei. Ist die allgemeine Bildung in dergleichen Widerspruch hineingeraten, so wird es die Aufgabe der Philosophie, die Gegensätze aufzuheben, d. i. zu zeigen: weder der eine in seiner Abstraktion noch der andere in gleicher Einseitigkeit hätten Wahrheit, sondern seien das Sichselbstauflösende; die Wahrheit liege erst in der Versöhnung und Vermittlung beider, und diese Vermittlung sei keine bloße Forderung, sondern das an und für sich Vollbrachte und stets sich Vollbringende. Diese Einsicht stimmt mit dem unbefangenen Glauben und Wollen unmittelbar zusammen, das gerade diesen aufgelösten Gegensatz stets vor der Vorstellung hat und ihn sich im Handeln zum Zwecke setzt und ausführt. Die Philosophie gibt nur die denkende Einsicht in das Wesen des Gegensatzes, insofern sie zeigt, wie das, was Wahrheit ist, nur die Auflösung desselben ist, und zwar in der Weise, daß nicht etwa der Gegensatz und seine Seiten gar nicht, sondern daß sie in Versöhnung sind.

Indem nun der letzte Endzweck, die moralische Besserung, auf einen höheren Standpunkt hindeutete, so werden wir diesen höheren Standpunkt uns auch für die Kunst vindizieren müssen. Dadurch fällt sogleich die schon bemerklich gemachte falsche Stellung fort, daß die Kunst als Mittel für moralische Zwecke und den moralischen Endzweck der Welt überhaupt durch Belehrung und Besserung zu dienen und somit ihren substantiellen Zweck nicht in sich, sondern in einem anderen habe. Wenn wir deshalb jetzt noch von einem Endzweck zu sprechen fortfahren, so ist zunächst die schiefe Vorstellung zu entfernen, welche in der Frage nach einem Zwecke die Nebenbedeutung der Frage nach einem Nutzen festhält. Das Schiefe liegt hier darin, daß sich das Kunstwerk sodann auf ein anderes beziehen soll, das als das Wesentliche, Seinsollende für das Bewußtsein hingestellt ist, so daß nun das Kunstwerk nur als ein nützliches Werkzeug zur Realisation dieses außerhalb des Kunstbereichs selbständig für sich geltenden Zwecks Gültigkeit haben würde. Hiergegen steht zu behaupten, daß die Kunst die Wahrheit in Form der sinnlichen Kunstgestaltung zu enthüllen, jenen versöhnten Gegensatz darzustellen berufen sei und somit ihren Endzweck in sich, in dieser Darstellung und Enthüllung selber habe. Denn andere Zwecke, wie Belehrung, Reinigung, Besserung, Gelderwerb, Streben nach Ruhm und Ehre, gehen das Kunstwerk als solches nichts an und bestimmen nicht den Begriff desselben.

 


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