Urteil - Lotze, Glogau, Jerusalem, Jodl, Mach

Die Gliederung der Erlebnisse in Substanzen mit Eigenschaften durch das Urteil betont LOTZE. Im Urteil »tritt ein bleibendes oder bedingendes Glied, das Ganze eines Bewußtseinsinhalts, als Subjekt den veränderlichen oder bedingten Gliedern oder der Summe dieser Teile als Prädikaten gegenüber« (Log.2, S. 56. jedes Urteil spricht ein »Verhältnis zwischen dem Inhalt zweier Vorstellungen« aus: l. c. S. 57). »Indem wir vom Baume sagen, er sei grün, fassen wir ihn unter der Form eines selbständigen Dinges, an dem die Farbe in jener Weise veränderlich und abhängig hafte, in welcher überhaupt Eigenschaften ihren Trägern zukommen« (Mikrok. I2, 263). Wir deuten in diesem Urteil »auf den Rechtsgrund hin, nach welchem die beiden Vorstellungen ›Baum‹ und ›grün‹ nicht bloß zusammen sind, sondern gerade so, wie sie zusammen sind, nämlich als verknüpfte, trennbare zusammengehören« (Grdz. d. Log. § 20). »Das Wesentliche am Urteil ist nun eben dieser Nebengedanke, den das Denken hat, wenn es Subjekt und Prädikat in einer bestimmten Form verknüpft. So viel wesentlich verschiedene Gesichtspunkte, Rechtsgründe oder Muster es gibt, auf welche das Denken rechtfertigend die Verbindung von Subjekt und Prädikat zurückfahrt, d.h. soviel wesentlich verschiedene Bedeutungen der Kopula es gibt, soviel gibt es logisch wesentlich verschiedene Urteilsformen« (l. c. § 21). GLOGAU erklärt: »Der Satz sieht das Subjekt als tätiges Wesen an, das Prädikat als eine von ihm (in willkürlicher Selbstbestimmung) vollzogene Handlung« (Abr. d. philos. Grundwiss. I, 343). Das logische Denken aber fragt nur nach einer festen Beziehung, die es lediglich nach der äußeren Erscheinungsweise ins Auge faßt (l. c. S. 343). Das logische Urteil erhebt den Anspruch, »daß seine Aussage ein für allemal und unbedingt Geltung habe« (ib.). Das Urteil denkt die Erscheinungen als Wirkungen von Dingen (l. c. S. 345). In der Frage liegt der Ursprung des logischen Urteils (ib.). Die Frage ist ein unvollständiges Urteil, der Keim zu einem solchen (1. G S. 359). Daß das Urteil keine Assoziation, sondern ein abschließender Akt sei, betont W. JERUSALEM (Die Urteilsfunct. E.. 80). Die Urteilsfunktion besteht in einem Gliedern, Formen, Objektivieren von Erlebnissen. »Durch das Urteil wird der ganze Vorstellungskomplex, der unzergliederte Vorgang dadurch geformt und gegliedert, daß der Baum als ein kraftbegabtes, einheitliches Wesen hingestellt wird, dessen gegenwärtig sich vollziehende Kraftäußerung eben das Blühen ist. Die Funktion des Urteilens ist somit nicht sowohl ein Trennen oder Verbinden, es besteht vielmehr in der Gliederung und Formung vorgestellter Inhalte« (l. c. S. 82). Der Vorstellungsinhalt wird im Urteil »als etwas Selbständiges, von mir unabhängig Existierendes hingestellt« (1. G. S. 82 f.). Durch das Urteil werden die Gegenstände zu »Kraftzentra, die nach Analogie unserer eigenen Willenshandlungen Wirkungen ausüben« (1. G. S. 83). »Während wir beim Vorstellen - mehr oder minder passiv - von der Umgebung affiziert werden, vollziehen wir im Urteile eine Gliederung und Formung der vorgestellten Vorgänge, indem wir das gegebene Objekt als Kraftzentrum fassen, das jetzt in bestimmter Weise tätig ist. Mit dieser Formung vollzieht sich gleichzeitig die Objektivierung des Vorgangs, indem das Subjekt als selbständiges, von uns unabhängiges Wesen erscheint, welches seine Tätigkeit entfaltet, mögen wir es wissen oder nicht. Das Resultat ist ein modifiziertes Vorstellen und nicht etwa eine eigene Klasse psychischer Phänomene« (l. c. S. 84 f.). Psychologisch ist das Urteil zugleich ein Willensakt, mit Gefühlen als Elementen (l. c. S. 86 f.). es wird durch ein Interesse ausgelöst (l. c. S. 89 f.). Es ist eine Art der Apperzeption (s. d.). Es wird durch »Verwertung der eigenen Willensimpulse« (s. Introjektion) erst geschaffen (1. G. S. 94 f.). Die Urteile sind »Zeichen, aber nicht Bilder des wirklichen Geschehens. daß sie aber wirklich Zeichen sind und auch eine objektive Komponente enthalten, das wird... durch das Eintreffen der Voraussagen bestätigt« (l. c. S. 188. vgl. Lehrb. d. Psychol.3, S 112 ff.. Einl. in d. Philos.2, S. 86 ff.). Die »Urteilsfunktion« ist »die sprachlich formulierte fundamentale Apperzeption« (Einl. in d. Philos.2, S. 86). Das Urteil ist ein Akt der Spontaneität, »durch den der aufgenommene Eindruck eine Deutung erfährt« (1. G. S. 89). Aus der Urteilsfunktion entwickeln sich allmählich unsere Erkenntnisformen und Denkmittel (l. c. S. 98). Zu unterscheiden sind: Urteile der Anschauung (Wahrnehmungs-, Erinnerungs- Erwartungsurteile) und Begriffsurteile (Lehrb. d. Psychol.3, S. 113 ff.). Seine Urteilstheorie bezeichnet Jerusalem als »Introjektionstheorie« (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 18. Bd., S. 170).

Als Verdeutlichungsakt faßt das Urteil JODL auf. Es ist ein »Akt der psychischen Tätigkeit, wodurch eine im Bewußtsein gegenwärtige Wahrnehmung oder Vorstellung als etwas Bestimmtes bezeichnet, eine andere Vorstellung als mit ihr verknüpft oder in ihr enthalten ins Bewußtsein gehoben, bemerkt und so eines durch das andere verdeutlicht und erklärt wird« (Lehrb. d. Psycholog. S. 613). Nach E. MACH ist das Urteil »eine Ergänzung einer sinnlichen Vorstellung zur vollständigeren Darstellung einer sinnlichen Tatsache« (Anal. d. Empf. S. 212). Nach F. KRAUSE heißt Urteilen »eine Vorstellung oder einen Begriff zu dem in der Seele enthaltenen entsprechenden Musterbegriffe in Beziehung setzen und das Ergebnis dieser Inbeziehungsetzung zu einem bestimmten Ausdruck bringen« (Das Leb. d. menschl. Seele I, 192). Das Urteil ist »das Zeugnis über die vollzogene oder zu vollziehen nicht mögliche Apperzeption« (l. c. S. 190 ff.). H. CORNELIUS nennt die Inhalte, auf welche das Urteil hinweist, »angezeigte Inhalte« (Einl. in d. Philos. S. 279 ff.). »Überall enthält das vorgelegte Urteil für denjenigen, der die Bedeutung der Worte versteht, eine Angabe über die Beschaffenheit gewisser Inhalte, die unter bestimmten... Bedingungen vorzufinden sind« (l. c. S. 282). Nach K. MARBE sind Urteile Bewußtseinsvorgänge, auf welche die Prädikate richtig oder falsch Anwendung finden (Experim-psychol. Untersuch. üb d. Urteil, 1901). - Vgl. CHR. KRAUSE, Vorles. S. 287, sowie die unter »Logik« und »Psychologie« aufgezählten allgemeinen Schriften, sofern sie hier nicht genannt sind. - Vgl. Begriff, Kopula, Subjekt, Satz, Apperzeption, Kategorien, Exponibel, Konversion, Kopulativ, Konjunctiv, Divisiv, Disjunctiv, Universal, Partikulär, Negativ, Bejahend, Remotiv, Limitativ, Kategorisch, Hypothetisch, Apodiktisch, Konträr, Subkonträr, Kontradiktorisch, Äquipollent, Identisch, Subsumtion, Schluß, Wahrheit, Wahrnehmung, Mathematik, Definition, Erkenntnis, Wert, Erklärung, Subjektlose Sätze, Urteilskraft, Urteilstheorien (logische).


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