Materie - Schopenhauer

SCHOPENHAUER betrachtet die Materie als Erscheinung, Objektivation (s. d.) des »allgemeinen Willens zum Leben«. Ihr Sein ist »Wirken« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 4). Aus der Vereinigung von Raum und Zeit entstehend, ist sie wie diese nur Vorstellung (l.c. § 7). Sie ist durch und durch Kausalität, ist nur »die objektiv aufgefaßte Verstandesform der Kausalität selbst«, die »objektivierte, d.h. nach außen projizierte Verstandesfunktion der Kausalität selbst, also das objektivierte hypostasierte Wirken überhaupt, ohne nähere Bestimmung seiner Art und Weise«. Die empirisch gegebene Materie manifestiert sich nur durch ihre Kräfte, jede Kraft inhäriert einer Materie; beide zusammen machen den empirisch realen Körper aus. Die Materie ist »die bloße Sichtbarkeit des Willens, nicht aber dieser selbst: demnach gehört sie dem bloß Formellen unserer Vorstellung, nicht aber dem Ding an sich an. Demgemäß eben müssen wir sie als form- und eigenschaftslos, absolut träge und passiv denken; können sie jedoch nur in abstracto also denken: denn empirisch gegeben ist die bloße Materie, ohne Form und Qualität, nie. Wie es aber nur eine Materie gibt, die unter den mannigfaltigsten Formen und Akzidentien auftretend, doch dieselbe ist, so ist auch der Wille in allen Erscheinungen zuletzt einer und derselbe.« (Prolegom. II, § 75). Das, woraus alle Dinge werden und hervorgehen, muß als Materie erscheinen, »d.h. als das Reale überhaupt, das Raum. und Zeit Erfüllende, unter allem Wechsel der Qualitäten und Formen Beharrende, welches das gemeinsame Substrat aller Anschauungen, jedoch für sich allein nicht anschaubar ist« (ib.). In der Anschauung kommt sie nur in Verbindung mit der Form und Qualität vor, als Körper. Sie ist Bedingung, nicht Gegenstand der Erfahrung, wird nur gedacht als »das durch die Formen unseres Intellekts, in welchem die Welt als Vorstellung sich darstellt, notwendig herbeigeführte, bleibende Substrat aller vorübergehenden Erscheinungen«. Sie ist »dasjenige, wodurch der Wille, der das innere Wesen der Dinge ausmacht, in die Wahrnehmbarkeit tritt, anschaulich, sichtbar wird. In diesem Sinne ist also die Materie die bloße Sichtbarkeit des Willens oder das Band der Welt als Wille mit der Welt als Vorstellung. Dieser gehört sie an, sofern sie das Produkt der Funktionen des Intellekts ist, jener, sofern das in allen materiellen Wesen, d. i. Erscheinungen, sich Manifestierende der Wille ist« (W. a. W. u. V. II. Bd. C. 24). Die einmal von uns gesetzte Materie »können wir schlechterdings nicht mehr wegdenken, d.h. sie als verschwunden und vernichtet, sondern immer nur als in einen andern Raunz versetzt uns vorstellen: insofern also ist sie mit unserm Erkenntnisvermögen eben so unzertrennlich verknüpft, wie Raum und Zeit selbst. Jedoch der Unterschied, daß sie dabei zuerst beliebig als vorhanden gesetzt sein muß, deutet schon an, daß sie nicht so gänzlich und in jeder Hinsicht dem formalen Teile unserer Erkenntnis angehört, wie Raum und Zeit, sondern zugleich ein nur a posteriori gegebenes Element enthält. Sie ist in der Tat der Anknüpfungspunkt des empirischen Teils unserer Erkenntnis an den reinen und apriorischen, mithin der eigentümliche Grundstein der Erfahrungswelt« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 24). Aus den innern Eigenschaften der Materie geht alle bestimmte Wirkungsart der Körper hervor, und doch wird die Materie selbst nie wahrgenommen, sondern zu den Wirkungen hinzugedacht (ib.). Jedes Objekt ist als Ding an sich Wille, als Erscheinung Materie; auf dem Willen beruht alles Empirische der Materie. Die niedrigste Stufe der Objektivation des Willens ist die Schwere. Was objektiv Materie ist, ist subjektiv Wille (ib.). Kraft und Stoff sind im Grunde eines. Für die physische Forschung ist die Materie der Ursprung der Dinge, die »mater rerum«, aber sie ist selbst ein Mittelbares, Sekundäres, was der Materialismus (s. d.) verkennt (ib.). Alle Materie ist »nur für den Verstand, durch den Verstand, im Verstande« (l.c. I. Bd., § 4). Die Beharrlichkeit der Materie ist ein Reflex der Zeitlosigkeit des Subjektes: »So erscheint die endlose Dauer der Materie als Spiegel der Ewigkeit (d. i. Zeitlosigkeit) des Subjekts« (Neue Paralipom. § 12).


 © textlog.de 2004 • 27.07.2024 03:19:09 •
Seite zuletzt aktualisiert: 18.03.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z