[Kant]


Mit dieser Entwicklung sind wir auf dem von Kant zuerst gleichsam eroberten Standpunkt gekommen, der ihm als der höchste Preis seines ebenso unermüdlichen, wie redlichen Forschens zuteil geworden, wenn er auch diesen Standpunkt nur eben erreicht hat, ohne von ihm aus selbst weiter fortzuschreiten. Ich kann mich über Kants Lehre vom Ideal der Vernunft kurz fassen, da ich sie früher, in der Absicht, später darauf zu verweisen, zum Gegenstand einer ausführlichen Abhandlung gemacht habe, die ich die Ehre hatte ebenfalls hier vorzulesen.*) Kant zeigt also, dass zur verstandesmäßigen Bestimmung der Dinge die Idee der gesamten Möglichkeit oder eines Inbegriffs aller Prädikate gehört. Dies versteht die nachkantische Philosophie, wenn sie von der Idee schlechthin, ohne weitere Bestimmung spricht; diese Idee selbst nun aber existiert nicht, sie ist eben, wie man zu sagen pflegt, bloße Idee; es existiert überhaupt nichts Allgemeines, sondern nur Einzelnes, und das allgemeine Wesen existiert nur, wenn das absolute Einzelwesen es ist. Nicht die Idee ist dem Ideal, sondern das Ideal ist der Idee Ursache des Seins, wie man auch insgemein zu sagen pflegt, dass durch das Ideal die Idee verwirklicht ist. In dem Satz: das Ideal ist die Idee, hat also das ist nicht die Bedeutung der bloßen logischen copula. Gott ist die Idee heißt nicht: er ist selbst nur Idee, sondern: er ist der Idee (der Idee in jenem hohen Sinn, wo sie der Möglichkeit nach alles ist), er ist der Idee Ursache des Seins, Ursache, dass sie Ist, aitia tou einai, im aristotelischen Ausdruck.

 

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*) Enthalten in der zwölften Vorlesung zur Philosophie der Mythologie.


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Seite zuletzt aktualisiert: 24.10.2006 
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