10. Große Industrie und Agrikultur


Die Revolution, welche die große Industrie im Ackerbau und den sozialen Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst später dargestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung einiger vorweggenommenen Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im Ackerbau großenteils frei ist von den physischen Nachteilen, die sie dem Fabrikarbeiter zufügt 323), wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegenstoß auf die "Überzähligmachung" der Arbeiter, wie man später im Detail sehn wird. In den Grafschaften Cambridge und Suffolk z.B. hat sich das Areal des bebauten Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt, während die Landbevölkerung in derselben Periode nicht nur relativ, sondern absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ersetzten Agrikultur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter, d.h., sie erlauben dem Produzenten Bebauung einer größren Fläche, verjagen aber nicht wirklich beschäftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die Zahl der in der Fabrikation von Ackerbau-Maschinen beteiligten Personen 1.034, während die Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten Agrikulturarbeiter nur 1.205 betrug.

In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den "Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtische Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter.324) Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß.325) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.

 

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323) Ausführliche Darstellung der im englischen Ackerbau angewandten Maschinerie findet man in "Die landwirthschaftliche Geräthe und Maschinen Englands" von Dr. W. Hamm. 2. Aufl., 1856. In seiner Skizze über den Entwicklungsgang der englischen Agrikultur folgt Herr Hamm zu kritiklos dem Herrn Leonce de Lavergne. {Zur 4. Aufl. - Jetzt natürlich veraltet. - F. E.}

324) "Ihr teilt das Volk in zwei feindliche Lager, plumpe Bauern und verweichlichte Zwerge. Lieber Himmel! Eine Nation, zerspalten in landwirtschaftliche und Handelsinteressen, nennt sich gesund, ja hält sich für aufgeklärt und zivilisiert, nicht nur trotz, sondern gerade zufolge dieser ungeheuerlicher und unnatürlichen Trennung." (David Urquhart, l.c.p. 119.) Diese Stelle zeigt zugleich die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß.

325) Vgl. Liebig, "Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie", 7. Auflage, 1862, namentlich auch im Ersten Band die "Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus". Die Entwicklung der negativen Seite der modernen Agrikultur, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt, ist eins der unsterblichen Verdienste Liebigs. Auch seine historischen Aperçus über die Geschichte der Agrikultur, obgleich nicht ohne grobe Irrtümer, enthalten Lichtblicke. Zu bedauern bleibt, daß er aufs Gratewohl Äußerungen wagt, wie folgende: "Durch eine weiter getriebne Pulverisierung und häufigeres Pflügen wird der Luftwechsel im Innern poröser Erdteile befördert, und die Oberfläche der Erdteile, auf welche die Luft einwirken soll, vergrößert und erneuert, aber es ist leicht verständlich, daß die Mehrbeträge des Feldes nicht proportionell der auf das Feld verwandten Arbeit sein können, sondern daß sie in einem weit kleineren Verhältnis steigen." "Dieses Gesetz", fügt Liebig hinzu, "ist von J. St. Mill zuerst in seinen 'Princ. of Pol. Econ.', v. I, p. 17, in folgender Weise ausgesprochen: 'Daß der Ertrag des Bodens caeteris paribus in einem abnehmenden Verhältnis wächst im Vergleich zum Anwachsen der Zahl der beschäftigten Arbeiter'" (Herr Mill wiederholt sogar das Ricardosche Schulgesetz in falscher Formel, denn da "the decrease of the labourers employes", die Abnahme der angewandten Arbeiter, in England beständig Schritt hielt mit dem Fortschritt der Agrikultur, fände das für und in England erfundne Gesetz wenigstens in England keine Anwendung), "'ist allgemeine Gesetz der Landwirtschaft', merkwürdig genug, da ihm dessen Grund unbekannt war." (Liebig, l.c., Bd. I, p. 143 u. Note.) Abgesehn von irriger Deutung des Wortes "Arbeit", worunter Liebig etwas andres versteht als die politische Ökonomie, ist es jedenfalls "merkwürdig genug", daß er Herrn J. St. Mill zum ersten Verkünder einer Theorie macht, die James Anderson zur Zeit A. Smiths zuerst veröffentlichte und in verschiedenen Schriften bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein wiederholte, die Malthus, überhaupt ein Meister des Plagiats (seine ganze Bevölkerungstheorie ist ein schamloses Plagiat), sich 1815 annexierte, die West zur selben Zeit und unabhängig von Anderson entwickelte, die Ricardo 1817 in Zusammenhang mit der allgemeinen Werttheorie brachte und die von da an unter dem Namen Ricardos die Runde der Welt gemacht hat, die 1820 von James Mill (dem Vater J. St. Mills) vulgarisiert und endlich u.a. auch von Herrn J. St. Mill als bereits Gemeinplatz gewordnes Schuldogma wiederholt wird. Es ist unleugbar, daß J. St. Mill seine jedenfalls "merkwürdige" Autorität fast nur ähnlichen Quiproquo verdankt.

 


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