XII.1. Babylon, Assyrien, Chaldäa

Ebendiese Erde gab ihm Gefäße und mit ihnen hundert Bequemlichkeiten der häuslichen Lebensweise. Man lernte das Brot backen, Speisen zurichten, bis man endlich durch den Handel zu jenen üppigen Gastmahlen und Festen stieg, durch welche in sehr alten Zeiten die Babylonier berühmt waren. Wie man kleine Götzenbilder, Teraphim, in gebrannter Erde schuf lernte man bald auch kolossische Statuen brennen und formen, von deren Modellen man zu Formen des Metallgusses sehr leicht hinaufstieg. Wie man dem weichen Ton Bilder oder Schriftzüge einprägte, die durchs Feuer befestigt blieben, so lernte man damit unvermerkt, auf gebrannten Ziegelsteinen Kenntnisse der Vorwelt erhalten, und baute auf die Beobachtungen älterer Zeiten weiter. Selbst die Astronomie war eine glückliche Nomadenerfindung dieser Gegend. Auf ihrer weiten schönen Ebne saß der weidende Hirt und bemerkte in müßiger Ruhe den Auf- und Untergang der glänzenden Sterne seines unendlichen, heitern Horizontes. Er benannte sie, wie er seine Schafe nannte, und schrieb ihre Veränderungen in sein Gedächtnis. Auf den platten Dächern der babylonischen Häuser, auf welchen man sich nach der Hitze des Tages angenehm erholte, setzte man diese Beobachtungen fort, bis endlich ein eigner, dazu gestifteter Orden sich dieser reizenden und zugleich unentbehrlichen Wissenschaft annahm und die Jahrbücher des Himmels Zeiten hindurch fortsetzte. So lockte die Natur die Menschen selbst zu Kenntnissen und Wissenschaften, daß also auch diese ihre Geschenke so lokale Erzeugnisse sind als irgendein anderes Produkt der Erde. Am Fuß des Kaukasus gab sie durch Naphthaquellen den Menschen das Feuer in die Hände, daher sich die Fabel des Prometheus ohne Zweifel aus jenen Gegenden herschreibt; in den angenehmen Dattelwäldern am Euphrat erzog sie mit sanfter Macht den umherziehenden Hirten zum fleißigen Anwohner der Flecken und Städte.
Eine Reihe anderer babylonischer Künste sind daher entsprossen, daß diese Gegend ein Mittelpunkt des Handels der Ost- und Westwelt von alten Zeiten her war und immerhin sein wird. Im mittlern Persien hat sich kein berühmter Staat gebildet, weil kein Fluß ins Meer strömt; aber am Indus, am Ganges und hier am Euphrat und Tigris, welche belebtere Punkte der Erde! Hier war der Persische Meerbusen nahe199, wo eine frühe Niederlage indischer Waren auch Babylon bereicherte und zu einer Mutter des handelnden Fleißes machte. Die babylonische Pracht in Leinwand, Teppichen, Stickereien und andern Gewanden ist bekannt; der Reichtum schuf Üppigkeit; Üppigkeit und Fleiß brachten beide Geschlechter näher zusammen als in andern asiatischen Provinzen, wozu die Regierung einiger Königinnen vielleicht nicht wenig beitrug. Kurz, die Bildung dieses Volks ging so ganz von seiner Lage und Lebensart aus, daß es ein Wunder wäre, wenn sich bei solchen Anlässen an diesem Ort der Welt nichts Merkwürdiges hätte erzeugen sollen. Die Natur hat ihre Lieblingsplätze auf der Erde, die insonderheit an den Ufern der Ströme und an erlesnen Küsten des Meers der Menschen Tätigkeit aufwecken und belohnen. Wie am Nil ein Ägypten, am Ganges ein Indien entstand, so erschuf sich hier ein Ninive und Babel, in spätem Zeiten ein Seleucia und Palmyra. Ja, wenn Alexander zur Erfüllung seines Wunsches gelangt wäre, von Babel aus die Welt zu regieren, welch eine andere Gestalt hätte diese reizende Gegend auf lange Jahrhunderte erhalten!
Auch an den Schriftcharakteren nehmen die Assyrer und Babylonier teil: ein Eigentum, das die Nomadenstämme des vordem Asiens von undenklichen Zeiten her unter ihre Vorzüge gerechnet haben. Ich lasse es dahingestellt sein, welchem Volk eigentlich diese herrliche Erfindung gebühre200; gnug aber, alle aramäische Stämme rühmten sich dieses Geschenkes der Vorwelt und haßten mit einer Art von Religionshaß die Hieroglyphen. Ich kann mich daher nicht überreden, daß die Babylonier Hieroglyphen gebraucht haben: ihre Zeichendeuter deuteten Sterne, Begebenheiten, Zufälle, Traumbilder, geheime Schriftzüge, aber nicht Hieroglyphen. Auch die Schrift des Schicksals, die jenem schwelgenden Belsazar erschien201, bestand in Silbenworten, die nach Art der morgenländischen Schreibkunst ihm in verschlungenen Zügen vorkamen, nicht aber in Bildern. Selbst jene Gemälde, die Semiramis auf ihre Mauern setzte, die syrischen Buchstaben, die sie dem Felsen zu ihrem Bildnis einhauen ließ, bestätigen in den ältesten Zeiten den hieroglyphenfreien Gebrauch der Buchstaben unter diesen Völkern. Durch sie allein war es möglich, daß die Babylonier so frühe schon geschriebene Kontrakte, Jahrbücher ihres Reichs und eine fortgesetzte Reihe von Himmelsbeobachtungen haben konnten; durch sie allein haben sie sich eigentlich dem Andenken der Welt als ein gebildetes Volk eingezeichnet. Zwar sind weder ihre astronomischen Verzeichnisse noch eine ihrer Schritten auf uns gekommen, ob jene gleich noch dem Aristoteles zugesandt werden konnten; indessen, daß sie dies Volk nur gehabt hat, ist ihm schon rühmlich.
Übrigens muß man sich an der Chaldäerweisheit nicht unsere Weisheit denken. Die Wissenschaften, die Babylon besaß, waren einer abgeschlossenen gelehrten Zunft anvertraut, die bei dem Verfall der Nation zuletzt eine häßliche Betrügerin wurde. Chaldäer hießen sie wahrscheinlich von der Zeit an, da Chaldäer über Babylon herrschten; denn da seit Belus' Zeiten die Zunft der Gelehrten ein Orden des Staats und eine Stiftung der Regenten war, so schmeichelten diese wahrscheinlich ihren Beherrschern damit, daß sie den Namen ihrer Nation trugen. Sie waren Hofphilosophen und sanken als solche auch zu allen Betrügereien und schnöden Künsten der Hofphilosophie hinunter. Wahrscheinlich haben sie in diesen Zeiten ihre alte Wissenschaft sowenig als das Tribunal in Sina die seinigen vermehrt.
Glücklich und zugleich unglücklich war diese schöne Erdstrecke, da sie einem Bergstrich nahe lag, von welchem sich soviel wilde Völker hinabdrängten. Das assyrische und babylonische Reich wurde von Chaldäern und Medern, diese wurden von den Persern überwunden, bis zuletzt alles eine unterjochte Wüste war und sich der Sitz des Reichs in die nordischen Gegenden hinaufzog. Weder im Kriege noch in der Staatsverfassung haben wir also von diesen Reichen viel zu lernen. Ihre Angriffe waren roh, ihre Eroberungen nur Streifereien; ihre politische Verfassung war jene elende Satrapenregierung, die in den Morgenländern dieser Gegenden fast immer geherrscht hat. Daher denn die unbefestigte Gestalt dieser Monarchien; daher die öftern Empörungen gegen sie und die Zerstörung des Ganzen durch Einnahme einer Stadt, durch einen oder zwei Hauptsiege. Zwar wollte Arbaces schon nach dem ersten Sturz des Reichs eine Art verbündeter Satrapenaristokratie aufrichten; aber es gelang ihm nicht, wie überhaupt keiner der modischen und aramäischen Stämme von einer andern Regimentsverfassung als der despotischen wußte. Aus dem Nomadenleben waren sie ausgegangen; das Bild des Königes als eines Hausvaters und Scheiks formte also ihre Begriffe und ließ, sobald sie nicht mehr in einzelnen Stämmen lebten, der politischen Freiheit oder der Gemeinherrschaft mehrerer keinen Raum. Wie eine Sonne am Himmel leuchtet, so sollte auch nur ein Regent auf der Erde sein, der sich denn auch bald in die ganze Pracht der Sonne, ja in den Glanz einer irdischen Gottheit hüllte. Alles floß von seiner Gnade her, an seiner Person hing alles, in ihr lebte der Staat, mit ihr ging er meistens unter. Ein Harem war der Hof des Fürsten; er kannte nichts als Silber und Gold, Knechte und Mägde, Länder, die er wie eine Weide besaß, und Menschenherden, die er trieb, wohin er wollte, wenn er sie nicht gar würgte. Eine barbarische Nomadenregierung, ob sie gleich auch in seltnen guten Fürsten wahre Hirten und Väter des Volks gehabt hat.