d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse

 

Da es Mode unter den englischen Kapitalisten ist, Belgien als das Paradies des Arbeiters zu schildern, weil "die Freiheit der Arbeit" oder, was dasselbe ist, "die Freiheit des Kapitals" dort weder durch den Despotismus der Trades' Unions noch durch Fabrikgesetze verkümmert sei, hier ein paar Worte über das "Glück" des belgischen Arbeiters. Sicher war niemand tiefer eingeweiht in die Mysterien dieses Glücks als der verstorbene Herr Ducpétiaux, Generalinspektor der belgischen Gefängnisse und Wohltätigkeitsanstalten und Mitglied der Zentralkommission für belgische Statistik. Nehmen wir sein Werk: "Budgets éonomiques des classes ouvrières en Belgique", Bruxelles 1855. Hier finden wir u.a. eine belgische Normalarbeiterfamilie, deren jährliche Ausgaben und Einnahmen nach sehr genauen Daten berechnet, und deren Nahrungsverhältnisse dann mit denen des Soldaten, des Flottenmatrosen und des Gefangnen verglichen werden. Die Familie "besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern". Von diesen sechs Personen "können vier das ganze Jahr durch nützlich beschäftigt werden"; es wird vorausgesetzt, "daß es weder Kranke noch Arbeitsunfähige darunter gibt" noch "Ausgaben für religiöse, moralische und intellektuelle Zwecke, ausgenommen ein sehr Geringes für Kirchenstühle", noch "Beiträge zu Sparkassen oder Altersversorgungskassen", noch "Luxus- oder sonstige überflüssige Ausgaben". Doch sollen der Vater und der älteste Sohn Tabak rauchen und sonntags das Wirtshaus besuchen dürfen, wofür ihnen ganze 86 Centimen die Woche ausgesetzt sind.

"Aus der Gesamtzusammenstellung der den Arbeitern der verschiednen Geschäftszweige bewilligten Löhne folgt ... daß der höchste Durchschnitt des täglichen Lohns ist: 1 fr. 56 c. für Männer, 89 c. für Frauen, 56 c. für Knaben und 55 c. für Mädchen. Hiernach berechnet, würden sich die Einkünfte der Familie allerhöchstens auf 1.068 fr. jährlich belaufen ... In der als typisch angenommenen Haushaltung haben wir alle möglichen Einkünfte zusammengerechnet. Wenn wir aber der Mutter einen Arbeitslohn anrechnen, entziehen wir dadurch die Haushaltung ihrer Leitung; wer besorgt das Haus, wer die kleinen Kinder? Wer soll kochen, waschen, flicken? Dies Dilemma tritt jeden Tag vor die Arbeiter."

Der Budget der Familie ist demnach:

 

der Vater

300 Arbeitstage zu

fr. 1,56

fr. 468,-

die Mutter

fr. 0,89

fr. 267,-

der Junge

fr. 0,56

fr. 169,-

das Mädchen

fr. 0,55

fr. 165,-

Total

fr. 1.068,-

 

Die Jahresausgabe der Familie und ihr Defizit würden ausmachen, falls der Arbeiter die Nahrung hätte:

 

des Flottenmatrosen

fr. 1.828,-

Defizit fr.

760,-

des Soldaten

fr. 1473,-

Defizit fr.

405,-

des Gefangenen

fr. 1112,-

Defizit fr.

44,-

 

"Man sieht, daß wenig Arbeiterfamilien sich die Nahrung verschaffen können, nicht etwa des Matrosen oder des Soldaten, sondern selbst des Gefangnen. Im Durchschnitt hat jeder Gefangne 1847-1849 in Belgien 63 c. täglich gekostet, was gegen die täglichen Unterhaltungskosten des Arbeiters einen Unterschied von 13 c. ergibt. Die Verwaltungs- und Überwachungskosten gleichen sich aus dagegen, daß der Gefangne keine Miete zahlt ... Wie aber geht es zu, daß eine große Zahl, wir könnten sagen, die große Mehrzahl der Arbeiter in noch sparsameren Verhältnissen lebt? Nur indem sie zu Notbehelfen flüchtet, wovon der Arbeiter allein das Geheimnis hat; indem sie an der täglichen Ration abknappt; Roggenbrot statt Weizenbrot ißt; weniger oder gar kein Fleisch ißt; ebenso mit Butter und Gewürzen; indem sie die Familie in eine oder zwei Kammern packt, wo Mädchen und Jungen zusammen schlafen, oft auf demselben Strohsack; indem sie an der Kleidung spart, der Wäsche, den Reinigungsmitteln; indem sie den Sonntagsvergnügungen entsagt, kurz, sich zu den schmerzlichsten Entbehrungen entschließt. Einmal bei dieser letzten Grenze angelangt, vermehrt der geringste Preisaufschlag der Lebensmittel, eine Arbeitsstockung, eine Krankheit das Elend des Arbeiters und ruiniert ihn vollständig. Die Schulden häufen sich, der Kredit wird versagt, die Kleider, die notwendigsten Möbel wandern ins Pfandhaus, und schließlich bittet die Familie um Einschreibung in die Armenliste."137)

In der Tat folgt in diesem "Paradiese der Kapitalisten" auf die geringste Änderung im Preise der notwendigsten Lebensmittel eine Änderung in der Zahl der Todesfälle und Verbrechen! (Sieh "Manifest der Maatschappij: De Vlamingen Vooruit!", Brüssel 1860, p. 12.) Ganz Belgien zählt 930.000 Familien, davon nach offizieller Statistik: 90.000 Reiche (Wähler) = 450.000 Personen; 390.000 Familien der kleinen Mittelklasse, in Stadt und Dorf, großer Teil davon stets ins Proletariat fallend = 1.950.000 Personen. Endlich 450.000 Arbeiterfamilien = 2.250.000 Personen, von welchen die Musterfamilien das durch Ducpétiaux geschilderte Glück genießen. Unter den 450.000 Arbeiterfamilien über 200.000 auf der Armenliste!

 

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136) "Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! (Wholesale starvation of the London Poor!) ... Während der letzten Tage waren die Mauern Londons überklebt mit großen Plakaten, die folgende merkwürdige Anzeige bringen: 'Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen haben ihre Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu mästen, während die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und sterben.' Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert. Kaum ist eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an demselben oder einem gleich öffentlichen Platz wiedererscheint ... Das erinnert an die omina, die das französische Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten ... In diesem Augenblick, während englische Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte und Hunger sterben, werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt englischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andren fremden Anleihen angelegt." ("Reynolds' Newspaper", 20. Jan. 1867.)

137) Ducpétiaux, l.c.p. 151. 154 155, 156.

 


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