2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar

 

Hören wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren.48)

"Der betrügerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, vor 6 Uhr morgens und schließt sie eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, nachmittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der nominell für das Frühstück anberaumten halben Stunde, und knappt 10 Minuten ab zu Anfang und Ende der für Mittagessen anberaumten Stunde. Samstag arbeitet er eine Viertelstunde, manchmal mehr, manchmal weniger, nach 2 Uhr nachmittags. So beträgt sein Gewinn:

 

 Vor  6 Uhr morgens

                

 15 Minuten

 Nach 6 Uhr nachmittags

 

 15 Minuten

 Für Frühstückszeit

 

 10 Minuten

 Beim Mittagessen

 

 20 Minuten

 

 

 _____________

 

 

 60 Minuten

 

Summa in 5 Tagen: 300 Minuten

 

An Samstagen

 

 Vor 6 Uhr morgens

                

 15 Minuten

 Für Frühstück

 

 10 Minuten

 Nach 2 Uhr nachmittags

 

 15 Minuten

_______________________________________________

Wöchentlicher Gesammtgewinn: 340 Minuten

 

Oder 5 Stunden 40 Minuten wöchentlich, was mit 50 Arbeitswochen multipliziert, nach Abzug von 2 Wochen für Feiertage oder gelegentliche Unterbrechungen, 27 Arbeitstage gibt."49)

"Wird der Arbeitstag täglich 5 Minuten über die Normaldauer verlängert, so gibt das 2 1/2 Produktionstage im Jahr."50) "Eine zusätzliche Stunde täglich, dadurch gewonnen, daß bald hier ein Stückchen Zeit erhascht wird, bald dort ein andres Stückchen, macht aus den 12 Monaten des Jahres 13."51)

Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur "kurze Zeit", nur während einiger Tage in der Woche, gearbeitet wird, ändern natürlich nichts an dem Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags. Je weniger Geschäfte gemacht werden, desto größer soll der Gewinn auf das gemachte Geschäft sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto mehr Surplusarbeitszeit soll gearbeitet werden. So berichten die Fabrikinspektoren über die Periode der Krise von 1857 bis 1858:

"Man mag es für eine Inkonsequenz halten, daß irgendwelche Überarbeit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber sein schlechter Zustand spornt rücksichtslose Leute zu Überschreitungen; sie sichern sich so einen Extraprofit ... " "Zur selben Zeit", sagt Leonard Horner, "wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz aufgegeben sind, 143 stillstehn und alle andren kurze Zeit arbeiten, wird die Überarbeit über die gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt."52) "Obgleich", sagt Herr Howell, "in den meisten Fabriken des schlechten Geschäftsstands wegen nur halbe Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach wie vor dieselbe Anzahl von Klagen, daß eine halbe Stunde oder 3/4 Stunden täglich den Arbeitern weggeschnappt (snatched) werden durch Eingriffe in die ihnen gesetzlich gesicherten Fristen für Mahlzeit und Erholung."53)

Dasselbe Phänomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter während der furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 1865.54)

"Es wird zuweilen vorgeschützt, wenn wir Arbeiter während der Speisestunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen, daß sie die Fabrik durchaus nicht verlassen wollen und daß es des Zwangs bedarf, um ihre Arbeit" (Reinigen der Maschinen usw.) "zu unterbrechen, namentlich Samstags. Aber wenn die 'Hände' nach Stillsetzung der Maschinerie in der Fabrik bleiben, geschieht es nur, weil ihnen zwischen 6 Uhr morgens und 6 Uhr abends, in den gesetzlich bestimmten Arbeitsstunden, keine Frist zur Verrichtung solcher Geschäfte gestattet worden ist."55)

"Der durch Überarbeit über die gesetzliche Zeit zu machende Extraprofit scheint für viele Fabrikanten eine zu große Versuchung, um ihr widerstehn zu können. Sie rechnen auf die Chance, nicht ausgefunden zu werden, und berechnen, daß selbst im Fall der Entdeckung die Geringfügigkeit der Geldstrafen und Gerichtskosten ihnen immer noch eine Gewinnbilanz sichert."56) "Wo die zusätzliche Zeit durch Multiplikation kleiner Diebstähle (a multiplication of small thefts) im Laufe des Tages gewonnen wird, stehn den Inspektoren fast unüberwindliche Schwierigkeiten der Beweisführung im Weg."57)

Diese "kleinen Diebstähle" des Kapitals an der Mahlzeit und Erholungszeit der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspektoren auch als "petty pilferings of minutes", Mausereien von Minuten58), "snatching a few minutes", Wegschnappen von Minuten59), oder wie die Arbeiter es technisch heißen, "nibbling and cribbling at meal times".60)

Man sieht, in dieser Atmosphäre ist die Bildung des Mehrwerts durch die Mehrarbeit kein Geheimnis.

"Wenn Sie mir erlauben", sagte mir ein sehr respektabler Fabrikherr, "täglich nur 10 Minuten Überzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jährlich 1.000 Pfd. St. in meine Tasche."61) "Zeitatome sind die Elemente des Gewinns."62)

Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung der Arbeiter, die volle Zeit arbeiten, durch "full times" und die der Kinder unter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als "half times" 63).

Der Arbeiter ist hier nichts mehr als personifizierte Arbeitszeit. Alle individuellen Unterschiede lösen sich auf in die von "Vollzeitler" und "Halbzeitler".

 


 © textlog.de 2004 • 08.09.2024 21:21:08 •
Seite zuletzt aktualisiert: 25.09.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright