f) Irland

 

Zersplitterte Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als Beschäftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu verwerten, sind ebensowenig Kapital, als das von seinem eigenen Produzenten verzehrte Produkt Ware ist. Wenn mit der Volksmasse auch die Masse der in der Agrikultur angewandten Produktionsmittel abnahm, so nahm die Masse des in ihr angewandten Kapitals zu, weil ein Teil früher zersplitterter Produktionsmittel in Kapital verwandelt ward.

Das außerhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte Gesamtkapital Irlands akkumulierte während der letzten zwei Dezennien langsam und unter beständiger großer Fluktuation. Um so rascher entwickelte sich dagegen die Konzentration seiner individuellen Bestandteile. Endlich, wie gering immerhin sein absolutes Wachstum, relativ, im Verhältnis zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es angeschwollen.

Hier entrollt sich also, unter unsren Augen, auf großer Stufenleiter, ein Prozeß, wie die orthodoxe Ökonomie ihn nicht schöner wünschen konnte zur Bewähr ihres Dogmas, wonach das Elend aus absoluter Übervölkerung entspringt und das Gleichgewicht durch Entvölkerung wiederhergestellt wird. Es ist dies ein ganz anders wichtiges Experiment als die von den Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, den Produktions- und entsprechenden Bevölkerungsverhältnissen des 19. Jahrhunderts den Maßstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so übersah diese Naivetät noch obendrein, daß, wenn jener Pest und der sie begleitenden Dezimation diesseits des Kanals, in England, Befreiung und Bereicherung des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, größere Knechtung und erhöhtes Elend auf dem Fuß nachfolgten.186a)

Die Hungersnot erschlug 1846 in Irland über eine Menschenmillion, aber nur arme Teufel. Sie tat dem Reichtum des Landes nicht den geringsten Abbruch. Der nachfolgende zwanzigjährige und stets noch anschwellende Exodus dezimierte nicht, wie etwa der Dreißigjährige Krieg, mit den Menschen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand eine ganz neue Methode, ein armes Volk Tausende von Meilen vom Schauplatz seines Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten übergesiedelten Auswanderer schicken jährlich Geldsummen nach Haus, Reisemittel für die Zurückgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht nächstes Jahr einen andren Trupp nach. Statt Irland etwas zu kosten, bildet die Auswanderung so einen der einträglichsten Zweige seines Exportgeschäftes. Sie ist endlich ein systematischer Prozeß, der nicht etwa vorübergehend ein Loch in die Volksmasse bohrt, sondern aus derselben jährlich mehr Menschen auspumpt, als der Nachwuchs ersetzt, so daß das absolute Bevölkerungsniveau von Jahr zu Jahr sinkt.186b)

Welches waren die Folgen für die zurückbleibenden, von der Übervölkerung befreiten Arbeiter Irlands? Daß die relative Übervölkerung heute so groß ist wie vor 1846, daß der Arbeitslohn ebenso niedrig steht und die Arbeitsplackerei zugenommen hat, daß die Misere auf dem Land wieder zu einer neuen Krise drängt. Die Ursachen sind einfach. Die Revolution in der Agrikultur hielt Schritt mit der Emigration. Die Produktion der relativen Übervölkerung hielt mehr als Schritt mit der absoluten Entvölkerung. Ein Blick auf Tabelle B zeigt, wie die Verwandlung von Ackerbau in Viehweide in Irland noch akuter wirken muß als in England. Hier wächst mit der Viehzucht der Bau von Grünfrucht, dort nimmt er ab. Während große Massen früher bestellter Äcker brachgelegt oder in permanentes Grasland verwandelt werden, dient ein großer Teil des früher unbenutzten wüsten Landes und Torfmoors zur Ausdehnung der Viehzucht. Die kleineren und mittleren Pächter - ich rechne dazu alle, die nicht über 100 Acres bebauen - machen immer noch ungefähr 8/10 der Gesamtzahl aus.186c) Sie werden progressiv in ganz andrem Grad als zuvor von der Konkurrenz des kapitalistisch betriebenen Ackerbaus erdrückt und liefern daher der Klasse der Lohnarbeiter beständig neue Rekruten. Die einzige große Industrie Irlands, die Leinenfabrikation, braucht verhältnismäßig wenig erwachsne Männer und beschäftigt überhaupt, trotz ihrer Expansion seit der Verteuerung der Baumwolle 1861 - l 866, nur einen verhältnismäßig unbedeutenden Teil der Bevölkerung. Gleich jeder andren großen Industrie produziert sie durch stete Schwankungen in ihrer eignen Sphäre beständig eine relative Übervölkerung, selbst bei absolutem Wachstum der von ihr absorbierten Menschenmasse. Die Misere des Landvolks bildet das Piedestal riesenhafter Hemdenfabriken etc., deren Arbeiterarmee zum größten Teil über das flache Land zerstreut ist. Wir finden hier das früher geschilderte System der Hausarbeit wieder, welches in Unterzahlung und Überarbeit seine methodischen Mittel der "Überzähligmachung" besitzt. Endlich, obschon die Entvölkerung nicht so zerstörende Folgen hat wie in einem Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich nicht ohne beständigen Rückschlag auf den innern Markt. Die Lücke, welche die Auswanderung hier schafft, verengert nicht nur die lokale Arbeitsnachfrage, sondern auch die Einkünfte der Kleinkrämer, Handwerker, kleinen Gewerbsleute überhaupt. Daher der Rückgang der Einkommen zwischen 60 und 100 Pfd.St. in Tabelle E.

Eine durchsichtige Darstellung der Lage der ländlichen Tagelöhner in Irland findet sich in den Berichten der irischen Armenverwaltungs-Inspektoren (1870).186d) Beamte einer Regierung, die sich nur durch die Bajonette und den bald offnen, bald verhüllten Belagerungszustand hält, müssen sie alle die Rücksichten der Sprache beobachten, die ihre Kollegen in England verachten; trotzdem aber erlauben sie ihrer Regierung nicht, sich in Illusionen zu wiegen. Nach ihnen hat sich die immer noch sehr niedrige Lohnrate auf dem Lande in den letzten 20 Jahren doch um 50-60% erhöht und steht jetzt im Durchschnitt auf 6-9 sh. die Woche. Hinter dieser scheinbaren Erhöhung aber verbirgt sich ein wirkliches Fallen des Lohns, denn sie gleicht nicht einmal den inzwischen erfolgten Preisaufschlag der notwendigen Lebensmittel aus; Beweis folgender Auszug aus den amtlichen Rechnungen eines irischen Workhouse.

 

Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr. Kopf

 

Jahr

Nahrung

Kleidung

Zusammen

29 .Sept. 1848 bis 29. Sept. 1849

1 sh. 31/4 d.

0 sh. 3 d.

1 sh. 61/4 d.

29. Sept. 1868 bis 29. Sept. 1869

2 sh. 71/4 d.

0 sh. 6 d.

3 sh. 1 1/4 d.

 

Der Preis der notwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und der der Kleidung genau zweimal so hoch als vor zwanzig Jahren.

Selbst abgesehn von diesem Mißverhältnis, ergäbe bloße Vergleichung der in Geld ausgedrückten Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. Vor der Hungersnot wurde die große Masse der ländlichen Löhne in natura entrichtet, in Geld nur der kleinste Teil; heute ist Geldzahlung Regel. Schon daraus folgt, daß, welches auch die Bewegung des wirklichen Lohns, sein Geldrate steigen mußte.

"Vor der Hungersnot besaß der Ackerbautagelöhner ein Stückchen Land, worauf er Kartoffeln baute und Schweine und Geflügel zog. Heutzutage muß er nicht nur alle seine Lebensmittel kaufen, sondern es entgehn ihm auch die Einnahmen aus dem Verkauf von Schweinen, Geflügel und Eiern."187)

In der Tat flossen früher die Landarbeiter zusammen mit den kleinen Pächtern und bildeten meistens nur den Nachtrab der mittleren und großen Pachtungen, auf denen sie Beschäftigung fanden. Erst seit der Katastrophe von 1846 hatten sie angefangen, einen Bruchteil der Klasse reiner Lohnarbeiter zu bilden, einen besonderen Stand, der mit seinen Lohnherren nur noch durch Geldverhältnisse verknüpft ist.

Man weiß, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich noch verschlimmert. Ein Teil der Landtaglöhner, der indes von Tag zu Tag abnimmt, wohnt noch auf den Ländereien der Pächter in überfüllten Hütten, deren Scheußlichkeiten das Schlimmste weit übertreffen, das uns die englischen Landdistrikte in dieser Art vorführten. Und das gilt allgemein, mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Süden in den Grafschaften Cork, Limerick, Kilkenny etc.; im Osten in Wicklow, Wexford etc.; im Zentrum in King's und Queen's County, Dublin etc.; im Norden in Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo, Roscommon, Mayo, Galway etc. "Es ist", ruft einer der Inspektoren aus, "es ist eine Schande für die Religion und die Zivilisation dieses Landes."187a) Um den Taglöhnern die Wohnlichkeit ihrer Höhlen erträglicher zu machen, konfisziert man systematisch die seit undenklicher Zeit dazugehörigen Stückchen Land.

"Das Bewußtsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und ihren Verwaltern getan sind, hat bei den Landtaglöhnern entsprechende Gefühle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die, welche sie als eine rechtlose Race behandeln."187a)

Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergrößtem Maßstab und wie nach einem von oben gegebenen Losungswort, die auf dem Arbeitsfeld gelegenen Hütten wegzufegen. Viele Arbeiter wurden so gezwungen, in Dörfern und Städten Schutz zu suchen. Dort warf man sie wie Schund in Dachkammern, Löcher, Keller und in die Schlupfwinkel der schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien, die sich selbst nach dem Zeugnis von in nationalen Vorurteilen befangnen Engländern durch ihre seltne Anhänglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose Heiterkeit und durch häusliche Sittenreinheit auszeichneten, fanden sich so plötzlich verpflanzt in die Treibhäuser des Lasters. Die Männer müssen jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pächtern und werden nur auf den Tag gemietet, also in der prekärsten Lohnform; dabei

"haben sie jetzt weite Wege zur Pachtung und zurück zu machen, oft naß wie die Ratten und andren Unbilden ausgesetzt, die häufig Abschwächung, Krankheit und damit Mangel herbeiführen".187b)

"Die Städte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Überschuß von Arbeitern in den Landdistrikten galt "187c), und dann wundert man sich noch, "daß in den Städten und Dörfern Überschuß, und auf dem Lande Mangel an Arbeitern herrscht!"187d) Die Wahrheit ist, daß dieser Mangel nur fühlbar wird "zur Zeit dringlicher Ackerbauarbeiten, im Frühjahr und Herbst, während den Rest des Jahres viele Hände müßig bleiben"187e); daß "nach der Ernte, vom Oktober bis zum Frühling, es kaum Beschäftigung für sie gibt"187f), und daß sie auch während der beschäftigten Zeit "häufig ganze Tage verlieren und Arbeitsunterbrechungen aller Art ausgesetzt sind"187g).

Diese Folgen der agrikolen Revolution, d.h. der Verwandlung von Ackerland in Viehweide, der Anwendung von Maschinerie, der strengsten Arbeitsersparung etc. - werden noch verschärft durch die Muster-Grundherren, solche, die, statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so gnädig sind, in Irland auf ihren Domänen zu wohnen. Damit das Gesetz von Nachfrage und Angebot ganz ungekränkt bleibe, ziehen diese Herren

"jetzt fast ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pächtern, die so gezwungen sind, für ihre Grundherrn zu schanzen für einen im allgemeinen geringeren Lohn als der der gewöhnlichen Taglöhner, und das ohne alle Rücksicht auf die Unbequemlichkeiten und Verluste, die daraus entstehn, daß sie zur kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre eignen Felder vernachlässigen müssen"187h).

 


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