Worte von Jean Paul, Schopenhauer und Bismarck

[Schopenhauer]


Schopenhauer:

Zwischen dem Wirken der schaffenden Natur und dem der Menschen ist eine eigentümliche, aber nicht zufällige, sondern auf der Identität des Willens in beiden beruhende Analogie. Nachdem, in der gesammten tierischen Natur, die von der Pflanzenwelt zehrenden Tiere aufgetreten waren, erschienen in jeder Tierklasse, notwendig zuletzt, die Raubtiere, um von jenen ersteren, als ihrer Beute, zu leben. Ebenso nun, nachdem die Menschen, ehrlich und im Schweiß ihres Angesichts, dem Boden abgewonnen haben, was zum Unterhalt eines Volkes nötig ist, treten allemal, bei einigen derselben, eine Anzahl Menschen zusammen, die, statt den Boden urbar zu machen und von seinem Ertrag zu leben, es vorziehen, ihre Haut zu Markte zu tragen und Leben, Gesundheit und Freiheit aufs Spiel zu setzen, um über die, welche den redlich erworbenen Besitz innehaben, herzufallen und die Früchte ihrer Arbeit sich anzueignen. Diese Raubtiere des menschlichen Geschlechts sind die erobernden Völker, welche wir, von den ältesten Zeiten an bis auf die neuesten, überall auftreten sehn, mit wechselndem Glück, indem ihr jeweiliges Gelingen und Mißlingen durchweg den Stoff der Weltgeschichte liefert; daher eben Voltaire Recht hat zu sagen: Dans toutes les guerres il ne s’agit que de voler. Dass sie sich der Sache schämen, geht daraus hervor, dass jede Regierung laut beteuert, nie anders, als zur Selbstverteidigung, die Waffen ergreifen zu wollen. Statt aber die Sache mit öffentlichen, offiziellen Lügen zu beschönigen, die fast noch mehr, als jene selbst, empören, sollten sie sich, frech und frei, auf die Lehre des Macchiavelli berufen. Aus dieser nämlich läßt sich entnehmen, dass zwar zwischen Individuen, und in der Moral und Rechtslehre für diese, der Grundsatz quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris allerdings gilt; hingegen zwischen Völkern und in der Politik der umgekehrte: quod tibi fieri non vis, id alteri tu feceris. Willst du nicht unterjocht werden; so unterjoche bei Zeiten den Nachbarn: sobald nämlich seine Schwäche dir die Gelegenheit darbietet. Denn, läßt du diese vorübergehn, so wird sie ein Mal sich als Überläuferin im fremden Lager zeigen: dann wird jener dich unterjochen; wenn auch die jetzige Unterlassungssünde nicht von der Generation, die sie beging, sondern von den folgenden abgebüßt werden sollte. Dieser Macchiavellistische Grundsatz ist für die Raublust immer noch eine viel anständigere Hülle, als der ganz duchsichtige Lappen palpabelster Lügen in Präsidentenreden, und gar solcher, welche auf die bekannte Geschichte vom Kaninchen, welches den Hund angegriffen haben soll, hinauslaufen. Im Grunde sieht jeder Staat den andern als eine Räuberhorde an, die über ihn herfallen wird, sobald die Gelegenheit kommt.

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Die Geschichte, von einem Ende zum andern, erzählt von lauter Kriegen, und dasselbe Thema ist der Gegenstand aller ältesten Bildwerke, wie auch der neuesten. Der Ursprung alles Krieges aber ist Diebsgelüst; daher Voltaire mit Recht sagt: dans toutes les guerres il ne s’agit que de voler. Sobald nämlich ein Volk einen Überschuß von Kräften spürt, fällt es über die Nachbarn her, um statt von seiner eigenen Arbeit zu leben, den Ertrag der ihrigen, sei es bloß den jetzt vorhandenen, oder auch dazu noch den künftigen, indem es sie unterjocht, sich anzueignen. Das gibt den Stoff zur Weltgeschichte und ihren Heldentaten. Besonders sollte in französischen Diktionären unter gloire zuerst der artistische und literarische Ruhm abgehandelt werden, und dann bei gloire militaire bloß stehn: voyez butin.

Inzwischen scheint es, dass zwei sehr religiöse Völker, Hindu und Ägypter, wenn sie Überschuß von Kräften fühlten, solche meistens nicht auf Raubzüge, oder Heldentaten, sondern auf Bauten verwendet haben, welche den Jahrtausenden trotzen und ihr Andenken ehrwürdig machen.

Aus »Parerga und Paralipomena«

 

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Nr. 405, XVI. Jahr

23. Februar 1915.


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